Es schüttet in Strömen. Deichgräfin Christiane Rieve strahlt über das ganze Gesicht. „Ich liebe dieses Wetter“, sagt sie kurz vor dem Start der Borgfelder Deichschau am Donnerstagnachmittag. In jedem Herbst laden Deichhauptmann Michael Schirmer und seine Stellvertreterin Rieve zu sieben verschiedenen Schauen ein. Seit über 20 Jahren ist die Robin Wood- und Greenpeace-Bremen-Gründerin Rieve mit dabei.
Gemeinsam mit 14 Deichgeschworenen, Mitarbeiterinnen der Bremischen Umweltbehörde, Landwirten und Deichgutachtern stiefeln der Deichhauptmann und die Deichgräfin alljährlich viele Kilometer über die Hochwasserschutzanlagen rund um Bremen. Das Outdoor-Event kann trotz Corona stattfinden. „Wir gehen auf Abstand, wer in den Bus steigt, trägt Maske“, stellt Deichverbandschef Wilfried Döscher gleich zu Beginn klar.
„Das ist nicht so, dass wir hier einfach nur über den Deich stiefeln. Wir prüfen die Wehrhaftigkeit der Anlage. Das ist ein Vorgang, der im Bremischen Wasser- und Deichrecht festgelegt ist“, erklärt der Deichverbandschef auf dem gut vierstündigen Spaziergang. Die Inspektion sei länderübergreifend. „Hochwasser macht nicht vor Landesgrenzen halt“, sagt Döscher. Die Grasnarbe hat der Landschaftsplaner dabei stets im Blick. „Sie ist die schützende Haut, die die Widerstandsfähigkeit des Deiches ausmacht.“
1881 sei die Wümme zuletzt im Niederbockland 15 über die Ufer getreten. „Bei der großen Sturmflut 1962 reichte die Flut bis zur Oberkante der Deichkrone, beim Weserhochwasser 2002 stand sie kurz darunter. Dann läuten im Deichverband alle Alarmglocken“, erklärt Döscher und zeigt die Alarm-App auf seinem Handy.
Bernhard Kahrs ist seit zehn Jahren Deichgeschworener. Tagtäglich begutachtet der Rentner den Hodenberger Deich und den Osterholzer Deich, prüft Grasnarben, schaut nach Nutria-Bauten, zählt Wühlmaus-Löcher und checkt die Deichkrone. Bernhard Kahrs hat das Ehrenamt als Deichgeschworener von seinem Vater übernommen. „Deichschau, das gehört für mich jedes Jahr dazu, auch wenn ich in diesem Jahr nicht richtig mitlaufen kann“, berichtet der Borgfelder vor dem Start.
Hunde-Wühllöcher sind ein Ärgernis
Viele Kilometer legen die Deichgutachter jedes Jahr zurück, um die Standfestigkeit der Deiche im Fall von Hochwasser zu beurteilen. Allein 17 Kilometer Wegstrecke führen um die Schutzbauwerke rund um Borgfeld – von Veerenmoor über Timmersloh bis nach Butendiek. An diesem Nachmittag geht es vom Borgfelder Kreuzdeich über den Hollerdeich, den Hodenberger Deich bis zum Schöpfwerk in Osterholz. Dort werden die Pumpen inspiziert.
Deichhauptmann Michael Schirmer begutachtet auf dem langen Spaziergang Bäume, zählt Wühllöcher von Hunden und wacht mit Argusaugen über die Unversehrtheit der Deichkrone. „Hundewühllöcher sind ein Dauerthema“, sagt er. „Wenn Hunde auf dem Deich spielen, graben sie sich gern in die Hochwasserschutzanlage.“ Auch manche Reiter nutzten die Grasnarbe für einen Ausritt. Das sei verboten. „Die Leute machen sich das beim Spaziergang mit ihren Tieren wahrscheinlich gar nicht bewusst, aber das Buddeln auf den Deichen gefährdet die Schutzbauwerke.“
Die Anlagen rund um Borgfeld sind im Vergleich zu den Deichen an der Weser relativ niedrig, berichtet Michael Schirmer. Am Wümmeufer seien sie gut vier Meter hoch. Borgfeld sei für die Winterhochwasser gut gerüstet. „Das ist nun auch amtlich festgestellt“, unterstreicht der Deichhauptmann nach dem Kontrollgang. „Die Deiche sind jetzt winterfest“, zieht der Deichverbandschef Bilanz. Die Deichgeschworenen besiegeln das mit ihrer Unterschrift.
Hüter des Deiches gegen die Flut
Seit 80 Jahren wacht der Deichverband, der am 1. Dezember 1940 gegründet wurde, darüber, dass die Bremerinnen und Bremer rechts der Weser bei Sturm und Starkregen gegen Hochwasser geschützt werden. Landschaftsplaner Wilfried Döscher und sein Team haben die Wasserstände rund um die Uhr im Blick. Über die Pegel am Lesum-Sperrwerk und an den Schöpfwerken kontrollieren sie die Wasserstände.
Der Wasserfluss im 600 Kilometer langen, weit verzweigten Grabennetzwerk auf den Ländereien rund um die Wümme werde vom Deichverband ständig reguliert. Messstellen liefern fortlaufend Daten, die in der Schaltzentrale am Lehester Deich abgerufen werden können. Das Deichverbands-Team teilt sich den Sicherheitsdienst, der an 365 Tagen im Jahr eingerichtet sei.
27 kleinere Hochwasserschutz-Verbände haben sich 1940 zusammengetan. Die Vorläufer des heutigen Deichverbands wurden vor allem von Landwirten getragen. Für die Bauern ist die Regulierung des Wasserstandes unmittelbar mit der Frage verbunden, ob sie ihr Land bewirtschaften können. Früher waren die Grundeigentümer persönlich dafür verantwortlich, die Deiche instand zu halten, damals noch mit dem Spaten in der Hand. Mittlerweile haben sie diese Aufgabe dem Verband übertragen. Die Finanzierung des Hochwasserschutzes fällt nach wie vor den Grundeigentümern zu.