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Welttag der Poesie Lieblingsgedichte zum Nachlesen und Mitfreuen

Zum Tag der Poesie stehen in der Region einige Lesungen an. Wir haben fünf Borgfelder gebeten, ihnen beim Lesen sozusagen über die Schulter schauen zu dürfen und sie nach ihren Lieblingsgedichten gefragt.
21.03.2023, 09:00 Uhr
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Lieblingsgedichte zum Nachlesen und Mitfreuen
Von Antje Stürmann
Inhaltsverzeichnis

Den 21. März hat die Unesco bereits 1999 zum Welttag der Poesie ernannt. Ziel ist es, die sprachliche Vielfalt durch poetische Ausdrucksformen zu fördern und bedrohten Sprachen mehr Gehör zu verschaffen, heißt es seitens der Unesco. Der Welttag der Poesie biete einen Anlass, um Dichterinnen und Poeten zu ehren, mündliche Traditionen des Gedichtvortragens wiederzubeleben sowie das Lesen, Schreiben und Lehren von Poesie zu fördern – und die Sichtbarkeit von Poesie in den Medien zu erhöhen.

An diesem Tag feiern Menschen und Institutionen weltweit die Kraft und die Vielfalt der Poesie. Das Kulturforum Borgfeld beispielsweise lädt aus diesem Anlass am Sonntag, 26. März, ab 15 Uhr zu einer Lesung in den Ratsspiekerpark ein. Unter dem Motto "Frühling und Frieden" rezitieren Rainer Goetz und Ute Schmidt Verse und Gedichte unter anderem von Rainer Maria Rilke, Max Dauthendey, Kurt Tucholsky, Joachim Ringelnatz, Eduard Mörike, Erich Kästner, Fred Endrikat und Heinz Erhardt.

Kern des Vortrags sollen das Leben und die Gedichte von Mascha Kaléko sein. Das Leben der Schriftstellerin sei von Migration, Flucht und Heimkehr geprägt gewesen – ähnliches müssten Menschen weltweit aktuell durchleben. Kalékos Gedichte erzählten anrührend von ihren Erfahrungen und Gefühlen. Eine Novelle der Dichterin werde Dorothea Bunse-Winkler vor tragen. Der Eintritt ist frei, das Kulturforum bittet jedoch um eine Spende für ukrainische Kinder, die in Borgfeld leben. Der Eingang zum Ratsspiekerpark ist auf Höhe Borgfelder Landstraße 22 zu finden.

Aus Anlass des Welttages haben wir Vertreterinnen und Vertreter des Kulturforums gebeten, einmal in ihren Gedichtsammlungen zu kramen und uns an ihrer Leidenschaft für die Poesie teilhaben zu lassen. Herausgekommen sind fünf ganz unterschiedliche Werke zum Mit- und Nachlesen.

Monika Hüls

Monika Hüls ist als Vorsitzende des Kulturforums Borgfeld weniger für die Kunst und die Poesie als vielmehr für die Organisation der Aktivitäten zuständig. Die Rentnerin, Jahrgang 1949, begründet die Wahl ihres Lieblingsgedichts mit ihrer Leidenschaft für die Nacht: "Ich bin eine Nachteule und Mondnächte haben mich schon immer fasziniert." Und schließlich sei eine Nacht nicht wie die andere: "Die Unterschiede der Nächte in weiten Teilen der Welt sind einfach unglaublich schön." Das Gedicht "Mondnacht" von Joseph von Eichendorff zeichne gut nach, was sie in solchen Nächten empfinde.

Mondnacht (Joseph von Eichendorff)

Es war, als hätt' der Himmel

Die Erde still geküßt,

Daß sie im Blüten-Schimmer

Von ihm nun träumen müßt'.


Die Luft ging durch die Felder,

Die Ähren wogten sacht,

Es rauschten leis die Wälder,

So sternklar war die Nacht.


Und meine Seele spannte

Weit ihre Flügel aus,

Flog durch die stillen Lande,

Als flöge sie nach Haus.

Jürgen Linke

Sich auszudrücken und sich anderen mitzuteilen, ist Jürgen Linke schon immer ein Bedürfnis gewesen, sagt der frühere Lehrer und heutige Ortspolitiker über sich selbst. Im April werde er 80, aber auch weiterhin engagiere er sich als Hobbyautor. Sein Lieblingsgedicht hat er selbst geschrieben. "Hunde mochte ich schon immer. Schon als kleiner Junge", sagt Linke. Mit Gedanken an große kuschlige Hunde sei er oft eingeschlafen. Aus dem realen Teddy in seinem Arm sei wohl beim Einschlafen das Bild eines pelzigen, freundlichen und anhänglichen Vierbeiners geworden. "Das war schön. Deswegen habe ich ein Gedicht über einen Hund geschrieben." Und das viel später, als er schon längst kein kleiner Junge mehr war. Mittlerweile habe er wirklich einen Hund, der ziemlich genau den Traumbildern seiner Kindheit entspreche: Groß, schwarz, treu und anhänglich. "Wir sagen, er ist unser drittes Kind, nachdem Tochter und Sohn längst nicht mehr im Elternhaus wohnen."

Der Hund (Jürgen Linke)

Der große Hund von nebenan
das ist ein wahrer Tatzenbär.
Auf dicken Pfoten kommt er an,
mit dunklem Pelz kommt er daher.

Er legt sich gern auf unsre Brücke
und wartet, bis ihn jemand sieht,
und wartet ohne jede Tücke
auf das, was eben dann geschieht.

Ich hab' ihn längst vom Fenster aus erspäht.
Es ist ein Berg aus Kopf und Fell.
Ich weiß, dass jeder, der vorübergeht,
sich freut am freundlichen Gebell.

Es ist kein lautes, böses Kläffen,
mehr ein Wuff, als wollte er
den Leuten sagen:
Ich bin jetzt da, der Hundebär.

Der große Kopf liegt zwischen Pfoten.
Der Hund, der steht nicht auf,
wenn Leute ihn begrüßen,
er lässt den Dingen ihren Lauf.

Er schaut die Leute an
mit großen blanken Augen.
So zieht er alle in den Bann.
Als guter Freund kann er wohl taugen.

Er ist mein guter Freund
und soll es immer bleiben.
Ich stehe auf aus meinem Sessel
und winke ihm durch Fensterscheiben.

Das reicht mir nicht.
In seinen Pelz will ich die Hände graben,
der ist so schwarz und dicht
als wie fünftausend Raben.

Ach Hund, was wird die Zeit noch bringen?
Wirst du an meinem Sarge liegen,
wenn Trauermenschen leise Lieder singen
und draußen Bäume sich in Kälte wiegen?

Ach Hund, vielleicht bin ich's,
der deinen letzten Atemzug vernimmt.
Dann werd' ich deinen Kopf noch einmal streicheln,
bevor dein Weg aus dieser Welt beginnt.

Jörg Behrmann

Der 66-jährige Jörg Behrmann ist pensionierter Schulleiter und studierter Sonderschulpädagoge. Im Kulturforum Borgfeld bekleidet er das Amt des Kassenwarts. "Ich arbeite gern beim Kulturforum mit. Man trifft dort auch kultivierte Menschen", sagt er und präsentiert als Lieblingsgedicht einen Klassiker von Eduard Mörike. "Dieses Frühlingsgedicht hatte es mir schon in der eigenen Schulzeit angetan. Später, während meiner Studentenzeit in Worpswede, auf einer grünen Löwenzahnwiese liegend, die Schäfchenwolken übers Moor fliegen sehend, fiel es mir wieder ein." Seine Schülerinnen und Schüler hätten es im März auswendig aufsagen müssen. "Sie haben es gerne getan; es war so schön kurz."

Er ist's (Eduard Mörike)

Frühling lässt sein blaues Band

Wieder flattern durch die Lüfte

Süße, wohlbekannte Düfte

Streifen ahnungsvoll das Land

Veilchen träumen schon,

Wollen balde kommen

Horch, von fern ein leiser Harfenton!

Frühling, ja du bist's!

Dich hab ich vernommen!

Sigrun Kurz

Sigrun Kurz ist Künstlerin und Autorin, als Psychotherapeutin im Ruhestand, 68 Jahre alt, und schon seit vielen Jahren im Kulturforum Borgfeld aktiv. Die Poesie sei ihr schon seit ihrer Jugend ein wichtiges Anliegen. "Genauso wie die Musik berührt sie uns und beeinflusst mit der ihr eigenen Sprachmelodie unser Fühlen", sagt sie. So könne die Poesie fröhlich stimmen oder traurig, melancholisch oder zuversichtlich, lähmend oder belebend, erschreckend oder tröstlich sein. "Bei meiner künstlerischen Arbeit entstehen oft lyrische Texte, die zu den Bildern gehören. Manchmal ist der Weg auch umgekehrt; dann sind ein paar Zeilen der Beginn einer Bildwerdung." Eines ihrer Lieblingsgedichte begleite sie schon seit ihrer Jugend. Sie liebe die sprachliche Melodie dieses Gedichts. Das Werk lege auf eindringliche Weise nahe, Vergangenes und Verlorenes hinter sich zu lassen. "Für mich beinhaltet dieser Text immer wieder die Ermutigung, mich dem Gegenwärtigen, dem Neuen und somit Unbekannten zuzuwenden."

fund im schnee (Hans Magnus Enzensberger)


eine feder die hat mein bruder verloren

der rabe

drei tropfen blut hat mein vater vergossen

der räuber

ein blatt ist in den schnee gefallen

vom machandelbaum

einen feinen schuh von meiner braut

einen brief vom herrn kannitverstan

einen stein einen ring einen haufen stroh

wo der krieg sie begraben hat

das ist lang her


zerreiß den brief

zerreiß den schuh

schreib mit der feder auf das blatt

weißer stein

schwarzes stroh

rote spur

ach wie gut daß ich nicht weiß

wie meine braut mein land mein haus

wie mein bruder

wie ich heiß

Rainer Goetz

ist 69 Jahre alt und seit rund 12 Jahren Mitglied des Kulturforum Borgfeld. Als Maler von Tier- und Landschaftsmotiven habe er seine Bilder in vielen Ausstellungen gezeigt. Seit zwei Jahren rezitiere er Gedichte und veranstalte Vorträge mit Gedichten von Ringelnatz, Eugen Roth und Mascha Kaléko. Sein Lieblingsgedicht heiße "Sozusagen grundlos vergnügt“ von Mascha Kaléko. "Weil es so zeitlos positiv stimmt. Man kann über die kleinen Dinge des Alltags wirklich grundlos vergnügt sein. Wenn mich die Nachrichten über Kriege, Katastrophen und die sinnlosen Verbrechen an Menschen und an der Natur deprimieren, dann sage ich mir das Gedicht laut vor", sagt Goetz. "Danach fühle ich mich getröstet, sozusagen poetisch beglückt. Ich wünsche mir, dass viele Menschen den Sinn dieses Gedichtes erkennen und danach handeln. Besonders den Nächsten lieben, dann wäre die Welt ,a better place'."

Sozusagen grundlos vergnügt (Mascha Kaléko)

Ich freu mich, dass am Himmel Wolken ziehen

Und dass es regnet, hagelt, friert und schneit.

Ich freu mich auch zur grünen Jahreszeit,

Wenn Heckenrosen und Holunder blühen.

- Dass Amseln flöten und dass Immen summen,

Dass Mücken stechen und dass Brummer brummen.

Dass rote Luftballons ins Blaue steigen.

Dass Spatzen schwatzen. Und dass Fische schweigen.


Ich freu mich, dass der Mond am Himmel steht

Und dass die Sonne täglich neu aufgeht.

Dass Herbst dem Sommer folgt und Lenz dem Winter,

Gefällt mir wohl. Da steckt ein Sinn dahinter,

Wenn auch die Neunmalklugen ihn nicht verstehen!

Ich freue mich. Das ist des Lebens Sinn.

Ich freue mich vor allem, dass ich bin.


In mir ist alles aufgeräumt und heiter:

Die Diele blitzt. Das Feuer ist geschürt.

An solchem Tag erklettert man die Leiter,

Die von der Erde in den Himmel führt.

Da kann der Mensch, wie es ihm vorgeschrieben,

- Weil er sich selber liebt - den Nächsten lieben.

Ich freue mich, dass ich mich an das Schöne

Und an das Wunder niemals ganz gewöhne.

Dass alles so erstaunlich bleibt, und neu!

Ich freue mich, dass ich ... Dass ich mich freu.

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