Scherenklappern und das Summen einer Rasiermaschine füllen die Stille. Eine Sprühflasche mit Wasser, Desinfektionshauben und -spray, Aufsätze für die Rasiermaschine, Föhn, Schneidewerkzeug und Haarspray stehen bereit. Während die Borgfelder Friseurin Angela Behrens (50) und ihre Lilienthaler Kollegin Kirsten Roba (58) von den Barber Angels Brotherhood ihren Gästen die Haare schneiden, wird schnell klar: Hier geht es nicht nur um ein neues Styling. Einmal im Monat streift sich Unternehmerin Angela Behrens, die in Borgfeld, Lilienthal, Walle und Bremen-Nord vier Läden unter dem Namen „Angi darf das“ führt, ihre Kutte über und schneidet bedürftigen Menschen die Haare.
Vor dem Drogenkonsumraum an der Friedrich-Rauers-Straße warten bereits fünf Leute. In Bremen hat die Stadt eine sogenannte „Akzeptanzfläche“ mit offenen Containern eingerichtet. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich der „Ara“-Drogenkonsumraum, in dem suchtkranke Menschen die Rauschmittel, die sie mitbringen, legal konsumieren dürfen. Knapp hundert Personen nutzen das Angebot täglich – zum Konsum, aber auch für Beratungsgespräche. Heute steht hier Haareschneiden auf dem Plan.
Für andere da sein
Die Wiedersehensfreude ist groß. „Mensch, Angi, gut, dass du heute da bist. Beim letzten Mal war ich gar nicht zufrieden, da wurde das so rund geschnitten“, sagt eine Frau, die sich als Meike vorstellt. Die 54-Jährige bezeichnet sich selbst als „Alt-Junkie“. Seit sie 14 Jahre alt ist, konsumiere sie Drogen. Heute ist sie die Erste in dem mobilen Friseursalon der Barber Angels, der an diesem Tag von Angela Behrens organisiert wird.
„Es geht darum, für die Menschen da zu sein, mit ihnen zu sprechen“, sagt Behrens. „Allein, dass wir fragen, was kann ich heute für dich tun, was möchtest du gerne? Das werden diese Menschen sonst ja gar nicht mehr gefragt.“ Sie tue ja nichts Besonderes, meint die Handwerkerin. „Hier reicht es einfach, für die Leute da zu sein, zuzuhören, Haare zu schneiden.“ Dafür gebe es viel zurück: „Ein Lächeln, echte Dankbarkeit, ein Strahlen in den oft unglücklichen Gesichtern“. Es sei schön zu helfen. „Und es ist nicht so schlimm, wie sich das manche Menschen ausmalen“, sagt die Borgfelderin.
2016 haben Friseurinnen und Friseure die Barber Angels Brotherhood im süddeutschen Biberach gegründet. 2019 entstand die Gruppe in Bremen. Angela Behrens ist von Anfang an dabei. Nach einem Einsatz in Hamburg bei minus fünf Grad war ihr klar: „Das ist was für mich.“ In Zusammenarbeit mit karikativen Organisationen werden kostenlose Friseurdienste für Bedürftige angeboten. Inzwischen sind die Barber Angels auch in Österreich, der Schweiz, Spanien den Niederlanden und Norwegen vertreten.
Die Organisation und die Kleidung erinnern an Rocker. Dies solle den Einstieg ins Gespräch und den Wiedererkennungseffekt steigern, erklärt Behrens. Vollmitglieder tragen eine Lederkutte mit Emblem und Aufklebern. Zenturionen leiten regionale Chapter und managen die Veranstaltungen. Angela Behrens ist die Vizeleiterin des Bremer Chapters. Sie hält bei Einsätzen oft die Fäden zusammen.

Barber Angels Borgfelder Friseurin schneidet obdachlosen Menschen die Haare
Meikes Haarschnitt sitzt perfekt – sie ist begeistert. "Brauchst du noch etwas?", fragt die Friseurin. "Shampoo, Creme, Styling, Sonnenbrille?" Meike entscheidet sich für die Brille. Sie mag die Barber Angels: „Die sind einfach nett zu uns, sie haben das gut drauf und sie sind menschlich“, sagt sie beim Gehen. Ach, noch was fällt ihr ein: "Jenny ist vor drei Wochen gestorben. Der hast du auch mal die Haare geschnitten, Angi.“ Meike zückt ihr Handy und zeigt ein Foto. Es seien Momente wie diese, in denen sie merke, warum sie hier stehe, sagt Behrens später.
Barber Angel Kirsten Roba schneidet einem Mann die Augenbrauen, Bart und Haare kommen ab. Der Mann schließt die Augen, seine Gesichtszüge entspannen sich. Ein Mann aus Lettland betritt den Container. Er habe aus dem Fernsehen von den Barber Angels gehört. Er sei im Gefängnis gewesen und brauche jetzt einen neuen Haarschnitt. Im Garten vor dem Drogenkonsumraum füllen sich die Plätze. Geduldig warten die Neuankömmlinge, bis sie aufgerufen werden.
Alle vier Wochen schneiden die Barber Angels ihren Gästen, wie sie sie nennen, die Haare am Elefantendenkmal in der Nähe des Bremer Hauptbahnhofes. Die Ehrenamtlichen fahren regelmäßig zu Mittagstischen und Suppenküchen oder organisieren große Events für Bedürftige. Wer sich der Gruppe als Gastengel anschließen will, könne sich für Einsätze melden, berichtet Behrens. „Es werden nicht nur Friseure, sondern auch Leute für die Organisation oder zum Produkteverteilen gebraucht.“
Es gebe Kollegen, „die sagen, einmal und nie wieder." Die könnten das einfach nicht. „Ich denk mir dann: Nach drei Stunden gehe ich nach Hause zu meiner Familie – die Menschen hier gehen dann oft einfach unter die Brücke. Natürlich müssen wir ihnen helfen, sie ansehen und ihnen ihre Würde zurückgeben.“