Ein halbes Jahrhundert ist das Jugendkammerorchester, das die ersten 45 Jahre seines Bestehens als „Jugendsinfonieorchester“ oder schlicht „JSO“ firmierte, in diesem Jahr alt geworden. Nach einem großen Festakt steht den Jubilaren nicht der Sinn: „Sowohl die aktuellen Orchestermusiker als auch die bereits kontaktierten Ehemaligen empfinden einen großen Jubiläumsfestakt zum jetzigen Zeitpunkt als unpassend“, gibt Lentz zu Protokoll. Er hat vor rund zehn Jahren die Leitung des damaligen JSO übernommen – und es 2017 in Jugendkammerorchester umbenannt.
Zumindest ein kleines Ständchen zum eigenen Jubiläum werden sich die derzeitigen Orchestermitglieder an diesem Wochenende dennoch spielen: Am Sonnabend, 26. November, gastiert das Ensemble mit seinem Jubiläumsprogramm „Nix wie als Talente“ mit Werken von unter anderem Johann Sebastian Bach und Georg Philipp Telemann ab 19 Uhr im Bremer Sendesaal. Ein etwas anderes Konzertprogramm wird das Orchester tags darauf, am Sonntag, 27. November, gemeinsam mit der Jugendsinfonietta Bremen-Nord im Rahmen eines Benefizkonzerts ab 17 Uhr im Bürgerhaus zum Besten geben.

Martin Lentz leitet das Jugendkammerorchester Bremen-Nord.
Das 1972 durch den damaligen Bezirksleiter der Musikschule Bremen-Nord, Herbert Koloski, ins Leben gerufene, einstige Jugendsinfonieorchester hat sich im Laufe der Jahrzehnte stilistisch immer weiter entwickelt. Koloski, der das JSO bis zu seinem Tod im Jahr 2001 leitete, prägte die Geschicke seines Orchesters nachhaltig. Nicht nur frühere Mitstreiter und Weggefährten loben das Wirken und die musikalische Leidenschaft Koloskis bis heute in den höchsten Tönen.
Jedoch: „In musikalischer Hinsicht war Koloski aus heutiger Sicht womöglich etwas konservativ und der traditionellen Orchesterliteratur sehr verbunden“, erinnert sich seine frühere Schülerin Christine Philippsen. Sie leitete nach dem Tod ihres einstigen Mentors unter ihrem Geburtsnamen Schwarz zehn Jahre lang das Orchester leitete. Während dieser Zeit öffnete sie dieses auch für andere musikalische Strömungen.
Prägende Orchester-Reisen
So benennt Philippsen unter anderem die Kooperation des Orchesters mit der Bremer Band „Mellow Melange“ und die gemeinsame Konzertaufführungen deren Konzeptalbums „The Answer“ im Jahr 2009 als einen Höhepunkt ihrer Laufbahn als JSO-Leiterin: „Ein solches Projekt wäre vorher vielleicht nicht unbedingt zustande gekommen“, vermutet Philippsen.
Dabei handelte es sich dabei quasi um eine Familienangelegenheit. Denn der Violinist und „Mellow Melange“-Mastermind Ingo Höricht zählte zu den damaligen Gründungsmitgliedern des JSO: „Bereits zuvor gab es in den Reihen der Musikschule Bremen-Nord bereits Orchesterarbeit: Ich war also quasi schon dabei, bevor 1972 die offizielle Gründung unter dem Namen JSO erfolgte“, erklärt Höricht. Er empfindet seine Zeit mit dem Orchester bis heute als ebenso inspirierend wie beeinflussend: „Besonders prägend waren die internationalen Orchesterfahrten und Konzertreisen, auf denen es relativ wenige Regeln gab – außer jener, dass die Beteiligten zu den Proben- und Konzertterminen konzentriert und spielfähig zu Erscheinen hatten“, erinnert sich Höricht. Er ist heute als Komponist und Bandmusiker tätig und arbeitet darüber hinaus auch als Musiklehrer und Ensembleleiter. Koloskis Ansatz beibehielt er bei seinem Wirken selbst bei: „Wenn ich selber derartige Fahrten organisiere, versuche ich, heutigen Musikschülern ähnlich schöne Erfahrungen zu ermöglichen, wie wir sie als damalige JSO'ler unter Koloski erleben durften.“

Das Jugendkammerorchester Bremen-Nord umfasst heute 35 Musiker.
Auch Philippsen bestätigt den prägenden Einfluss der Orchesterfahrten auf alle Beteiligten. Auch heute zählen internationale Konzertreisen nach wie vor zur Praxis des Jugendkammerorchesters: „Wir waren in den letzten zehn Jahren unter anderem in Zypern, Brasilien und Rumänien“, berichtet Martin Lentz. Die Kooperationsprojekte mit unterschiedlichen Klangkörpern vom Chor bis zur Band haben sich daraufhin abermals stilistisch erweitert: Neben klassischer Orchesterliteratur zählen heute unter vielem anderen Rock, Pop, Metal und vielfältige Ethno-Folklore zum Kanon des Orchesterrepertoires.
Diese kommen im Rahmen der beiden Jubiläumskonzerte des Jugendkammerorchesters nur auszugsweise zum Tragen. Warum nach 45 Jahren aus dem früheren Sinfonie- nun ein Kammerorchester geworden ist, erklärt Lentz auf Nachfrage so: „Das frühere JSO war in Bremen das erste seiner Art und hatte dementsprechend großen Zustrom. Als sich jedoch auch in Bremen-Mitte ein JSO formierte, fuhren sukzessive immer weniger Musiker zum Proben nach Nord.“ Heute musizieren etwa 35 junge Musiktalente in den Reihen des Jugendkammerorchesters: „Das ist für ein Sinfonieorchester natürlich zu wenig; für ein Kammerorchester vielleicht etwas viel – aber zumindest müssen wir nicht mehr dauernd Fragen beantworten, warum wir uns als Klangkörper dieser Größenordnung als 'Sinfonieorchester' bezeichnen“.