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Unterwegs mit den Greeters Menschen und Gebäude in Burgdamm

Einheimische der „Greeter“-Initiative erklären Besuchergruppen in der Bremerhavener Heerstraße in Burgdamm Haus für Haus die Lokalhistorie. Zu hören gibt es ebenso traurige wie witzige Anekdoten.
10.12.2018, 08:00 Uhr
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Von Jörn Hildebrandt

Burgdamm. Hinter jedem Haus verbirgt sich eine Geschichte. Entweder geht es um das Schicksal der jüdischen Bewohner oder welcher Betrieb hier früher ansässig war. Haus für Haus setzt Lilo Brandenburg auf einer Führung der Bremer Greeters die Geschichte der Bremerhavener Heerstraße in Burgdamm zusammen – Lokalhistorie im Detail.

Die Nordbremer Greeters, deren Name aus dem Englischen „to greet“, also grüßen, kommt, zeigen und erklären als ehrenamtlich arbeitende Stadt- und Fremdenführer Gästen und Einheimischen die Stadtteile Blumenthal, Vegesack und Burglesum.

Die Bremerhavener und die Bremer Heerstraße waren bis 1937, als die Blocklandautobahn eingeweiht wurde, die einzigen direkten Straßenverbindungen zwischen Bremen und dem Gebiet nördlich der Lesum. Heute reihen sich an der Bremerhavener Heerstraße ein- bis viergeschossige Gebäude aneinander, die als Wohn- oder Geschäftshäuser genutzt werden.

Der Treffpunkt „Stadt London“, heute als Restaurant „Asiana“ betrieben, war einst Hotel und Gaststätte. Dieses markante Haus zwischen Stader Landstraße und Bremerhavener Heerstraße wurde 1825 gebaut und soll mit seinem Namen an den englischen König erinnern. „Dahinter erstreckte sich früher ein großer Sommergarten“, weiß Lilo Brandenburg.

Die Besuchergruppe überquert die Stader Landstraße und steht vor der ESSO-Tankstelle. Statt Benzin wurde hier im 19. Jahrhundert Gerstensaft gezapft: Der Erbauer von „Stadt London“, Anthon Winters, hatte etwa 1840 das Recht erworben, Bier zu brauen.

„Das nach eigenem Rezept gebraute Bier kam so gut an, dass es auch andere Gastwirtschaften bezogen.“ Der Hotelbetrieb geriet darüber fast zur Nebensache, erfuhren die Zuhörer beim Rundgang.

Nach dem Bau der Brauerei etwa 1875 schlossen sich weitere Betriebsgebäude an, die sich bis zum heutigen Goldbergplatz hinzogen. Entlang der Bremerhavener Heerstraße wurden die Bierwagen abgestellt. Dort gab es eine Reparaturwerkstatt für Fässer, eine Dampf- und Maschinenanlage zur Aufbereitung der Braugerste sowie das Sudhaus.

Das gelagerte Bier musste kühl gehalten werden und dazu brauchte man Eis. Man holte es vom überschwemmten „Lesumer Feld“, später auch von der „Meyerschen Weide“, die speziell zur Eisgewinnung im Winter unter Wasser gesetzt wurde. Wenn jedoch der Frost ausblieb, bot norwegisches Blockeis Ersatz, das per Schiff bis zum Lesumer Hafen gelangte.

Gleich hinter der Esso-Tankstelle steht heute der Fachbetrieb für Antennentechnik, Inhaber Bernhard Wendler. „Hier war früher eine Schmiede, in der Pferde beschlagen wurden“, erzählt Lilo Brandenburg und lenkt die Blicke auf die andere Straßenseite: „Lesum Hair Lounge“ steht dort auf der Hausfassade. Früher sei das eine Obst- und Gemüsehandlung gewesen.

Nur wenige Schritte weiter gelangt die Gruppe zum ältesten Haus der Straße, das aus dem Jahre 1928 stammt und sich seitdem kaum verändert hat. „Naturkostladen Ecks“ steht daran. Das Geschäft existiert aber nicht mehr, die Rollläden an den Fenstern sind heruntergezogen.

Einst warf man, wenn man von hier aus auf die andere Straßenseite schaute, weite Blicke in das Ihletal. Heute steht der „WM Werkmarkt“ im Weg und bietet Eisenwaren und Werkzeug an. Im Haus daneben wohnte der bekannte Bremer Historiker Walter Schniers, der mit seinem Buch „Mein Leben im alten Burgdamm“ eine Chronik mit Anekdoten über das alte Burgdamm geschrieben hat. Das Werk, so wird erzählt, sei die wichtigste Quelle für diese historische Führung der Greeter.

Lilo Brandenburg erläutert, was früher in den heutigen Geschäften war: Im Sanitätshaus „Medisan“ gegenüber war eine Tischlerei und im Haus der Burgdammer Apotheke wohnte der Tierarzt Wilhelm Beck.

Zwei Stolpersteine sind im Pflaster vor dem Haus Bremerhavener Heerstraße 18 eingebracht: Dort wohnte das Ehepaar Goldberg, nach dem der schräg gegenüber liegende Platz benannt ist. Adolph und Martha Goldberg wurden in diesem Haus am 10. November 1938 ermordet. In seinem Buch „Mein Lebensraum im alten Burgdamm“ beschreibt Walter Schnier das Ehepaar als kinderlieb, unauffällig lebend und kulturell wie sozial engagiert.

Nach der Machtergreifung der Nazis rieten sie Freunden und Bekannten, ihre wohlgemeinten Besuche einzustellen, um sich nicht in Gefahr zu bringen. Die beiden wollten aber aufgrund ihres Alters nicht auswandern.

In der „Reichskristallnacht“ am 9. November 1938 bekamen SA-Männer aus St. Magnus, Burgdamm und Lesum den Befehl, sich in einem Gasthof einzufinden. Ein Trupp machte sich auf zum Wohnhaus der Goldbergs, die dort am nächsten Tag erschossen aufgefunden wurden. Der Goldbergplatz wurde nach dem jüdischen Ehepaar benannt.

„Zum Gummibahnhof“ als Name einer Gaststätte ist auch zu lesen. Hier haben einst die Oberleitungsbusse gewendet. Und an dieser Stelle befand sich auch der Eiskeller der große Brauerei, nach dem die anliegende Kellerstraße benannt ist.

Als es dunkel wird, wandern die Mitglieder der Greeter-Initiative, Unterstützer und Interessierte noch ein Stück weiter in ein Café an der Hindenburgstraße. Hier wird über das ablaufende Jahr 2018 gesprochen.

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