Zur Begrüßung rappelt sich Jelle noch einmal auf, beschnuppert den Besucher, heißt ihn in der großen, hellen Wohnung mitten in Findorff willkommen. Dann bricht der Golden Retriever in seiner Ecke wieder in sich zusammen wie ein Kartenhaus. Die vergangenen dreieinhalb Wochen im Wohnmobil zwischen Bremen und Finnland sieht man dem Hund mehr an als dem Rest der Familie – zumindest auf den ersten Blick. Während Jelle die ersten Stunden zu Hause wie erschlagen in der Ecke liegt, sitzt Familie Drieling um den großen Esstisch herum und erzählt mit strahlenden Augen, wie es ist, mit fünf Leuten und einem Hund von der Weser bis an den nördlichen Polarkreis zu fahren.
Für Jonathan (14), Martha (12) und Lene (10) war es ein „cooles Erlebnis“ mit Musik, Podcasts und Filmen auf der rund 4500 Kilometer langen Autofahrt – mit Elch-Sichtungen, Reitevents, Mitsommerfeiern und dem Bad in eiskalten Bergseen in Nordschweden. Für Mutter Nadine und Vater Daniel war es die Fahrt an einen „Sehnsuchtsort“, über den anvisierten Campingplatz im kleinen Jokkmokk hinaus bis nach Finnland, wo am Polartag die Sonne nicht untergeht. Was die große Reise für keines der Familienmitglieder hingegen war, ist Stress.
Mama und Papa unten im großen Ehebett, zwei Kinder oben in der Bettnische im Dach des Wohnmobils, eines auf den Sitzbänken am großen Tisch und Jelle, Familienmitglied Nummer sechs, vorne zwischen den Vorderplätzen oder wo gerade Platz ist. Geprobt haben sie das vorher nicht, geklappt hat es trotzdem. Die Drielings reisen, seit Tochter Lene drei Jahre alt ist, also seit sieben Jahren, zum Campen nach Schweden. Für gewöhnlich mit einem großen Premium-Familienzelt, dieses Jahr allerdings erstmalig im geliehenen Wohnmobil, weil der Familienwagen in der Werkstatt ist. Streit gebe es auf den langen Fahrten eigentlich selten, sagen alle fünf und grinsen. Nur bei der Abfahrt oder Ankunft wird es schon mal hektisch und stressig. Doch wenn es erst mal losgeht, überwiegt die Vorfreude.
In ihren Schulklassen seien sie mit ihren Campingurlauben die Ausnahme, berichten die Kinder. Meist gehe es bei den anderen mit dem Flieger nach Mallorca oder in die Türkei. Das haben Nadine und Daniel den Dreien auch angeboten: eineinhalb Wochen Pauschalurlaub oder vier Wochen mit Sack und Pack auf der Autobahn gen Norden. Die Entscheidung war schnell getroffen. Nicht nur das Abenteuer sei verlockender, auch der Umweltgedanke ist für sie ausschlaggebend, wie die Jüngste der Familie erklärt.
Nadine und Daniel Drieling ist das nur recht. Es war ihre erste gemeinsame Reise ins Ausland, ein Campingurlaub in die Toskana, der sie damals für das Übernachten in der Natur begeisterte. Seitdem geht es für sie Jahr für Jahr auf die verschiedensten Campingplätze im Norden. Dort wird das Buffet nicht um 10 Uhr wieder abgebaut, dort fanden sie Freunde, Entspannung und das große Abenteuer.

Vier in einer Hütte: Tamme (v.l.), Sandra, Jonte und Jette Lindemann waren im niederländischen Doesburg an der Ijssel.
Ein magischer Schlüssel, wie das funktioniert, erschließt sich dem Zuhörer nicht direkt. Aber eines zieht sich durch die Erzählungen der Familie wie ein roter Faden: Pausen. Eine Nacht auf einem Campingplatz und am nächsten Tag wieder los? Stressig. Vier Wochen Urlaub braucht es in der Regel schon, damit man auch mal ankommen kann an einem Ort, zur Ruhe kommen kann. Am Anfang gebe es meist nur eine grobe Idee, der genaue Plan entstehe auf der Tour. Dann zeichnen die Drielings mit einem Marker die Route auf der Straßenkarte ein, nehmen auch mal eine Sehenswürdigkeit am Straßenrand mit. Am schönsten findet Jonathan, dass er und seine Geschwister heute mitentscheiden und alle die Reise zusammen planen.
Ein paar Kilometer weiter, am Rande von Lilienthal, spielt sich derweil ein neues Camping-Team ein. Im vergangenen Jahr hatten Sandra Lindemann und ihre drei Kinder ein Erweckungserlebnis. Der Ausdruck Urlaub war bis dahin für sie fest verbunden mit Ferienwohnungen in Dänemark, erzählt Mutter Sandra. Doch dann habe sie sich als alleinerziehende Mutter nach immer weiter steigenden Preisen gesagt: „Ich will das nicht mehr bezahlen.“ Sie googelte nach einem geeigneten Campingplatz für Kinder und fand ihn in einer Anlage im niederländischen Doesburg an der Ijssel. Jetzt kommt die Familie von ihrem inzwischen zweiten Campingurlaub in den Niederlanden wieder und Lindemann sagt: „So ein Gefühl von Freiheit hatte ich vorher noch in keinem Urlaub.“
Ein Schwimmbad mit Rutsche, viele andere Kinder, kochen unter freiem Himmel und mittags auch mal Kekse statt Gemüse. Für Jonte (13), Tamme (9) und Jette (6) war es der Himmel auf Erden, für Mutter Sandra eine Woche ohne Alltagsstress, ohne Termine, ohne den Blick zur Uhr. „Das ist ein ganz anderes Gefühl von Urlaub.“ Statt die Freizeit alleine in einer Ferienwohnung zu verbringen, finde das Leben auf einem Campingplatz draußen statt. Vier Stunden ging es mit dem vollgepackten Siebensitzer zur minimalistisch ausgestatteten Campinghütte ins Nachbarland. Anders als zu Hause hätten die Kinder dort morgens Brötchen von nebenan holen können, die Angestellten hätten sie sogar aus dem vergangenen Jahr wiedererkannt. „Es ist wie zu Hause, nur woanders“, strahlt Lindemann.
Jetzt hat sich die kleine Familie ein Zelt gekauft. Nächstes Jahr wollen sie ein neues Experiment wagen. Und die Kinder denken sogar noch weiter. Sie schauen Dokus im Fernsehen: Camping in Italien. Sandra Lindemann sagt: „Wir sind alle im Fieber.“