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Neuer Trägerverein Frischer Wind in alten Segeln

Er ist extra aus Köln gekommen, um bei der Rettung der Findorffer Torfkähne zu helten: Ullrich „Mick“ Mickan. Um das Ziel zu erreichen, hat er zahlreiche Strippen gezogen.
25.05.2023, 08:00 Uhr
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Von Anke Velten

Da stehen sie wieder mit ihren typischen braunen Segeln: Die Findorffer Torfkähne sind startklar für die neue Saison. Selbstverständlich ist das nicht. Unbemerkt von der Öffentlichkeit hatte der Beschäftigungsträger Bras im vergangenen Sommer den Entschluss gefasst, das Findorffer Standbein nach 15 Jahren aufzugeben. Damit hätte Schluss sein können. Doch dann kam Mick. Ein neuer Trägerverein ist gefunden. Nun soll das in die Jahre gekommene Schiff wieder auf Kurs gebracht werden. Die Findorffer Torfkähne sollen inklusiver werden und mit neuen Angeboten neue Zielgruppen ansprechen. Der Torfhafen soll attraktiver werden und vor allem barrierefrei.

Ullrich „Mick“ Mickan: Sechs Jahre lang hatte man ihn am Torfhafen nicht gesehen, doch nicht nur in Findorff wird man sich gut an ihn erinnern. Der Theologe und Krankenhauspastor mit sorbischen Wurzeln, politische Widerständler, Republikflüchtling und Autor war im Bremen der 1980er-Jahre als Mitgründer mehrerer Szenekneipen bekannt geworden – die Mischpoke in der Bremer Neustadt, das Sewastopol und das Oblomov in der östlichen Vorstadt sowie auch das Scusi Tedeschi im Schnoor sind einige der Namen.

2003 tauschte er die Erlebnisgastronomie gegen lebendige Geschichte ein: Im Auftrag des Vereins Bras entwickelte er das Konzept für das Bremer Geschichtenhaus. 2007 übernahm der Beschäftigungsträger die beiden Findorffer Torfkähne, die nach der Insolvenz des vorigen Betreibers führungslos geworden waren. Unter Mickans Leitung vergrößerte sich die Flotte, und das Programm entwickelte sich zur Touristenattraktion.

„Mein Herz hängt daran“

Nach zehn Jahren als Betriebsleiter verabschiedete sich Mickan, um im Alter von 66 Jahren zu neuen Ufern aufzubrechen. Ruhestand stand nicht auf seinem Lebensplan. „Ich bin Bauernsohn“, hatte er beim Abschied gesagt. „Da gibt es so was auch nicht“. Auf der kanarischen Insel La Gomera leitete er zwei Jahre lang natur- und lebensphilosophische Exkursionen, Fastenwandertouren und eine Whale-Watching-Agentur. Danach zog es ihn nach Köln, um dort ein Haus für Geschichte der Migration mit aufzubauen, erzählt er. Dort erreichte ihn im vergangenen Sommer auch der Anruf von Sara Fruchtmann, seiner langjährigen Kollegin und Nachfolgerin in der Leitung des Geschichtenhauses. Die Zukunft der Torfkähne stehe auf dem Spiel. „Das konnte ich nicht zulassen“, sagt Mickan. „Mein Herz hängt daran.“

Seit Monaten pendelt der mittlerweile 72-Jährige nun zwischen Köln und seiner Wohnung in Sebaldsbrück, um Gleichgesinnte mit ins Boot zu holen – komplett ehrenamtlich, wie er betont. Er sprach vor im Ortsamt West, in Politik und Wirtschaft, bei Ämtern und Behörden, im Büro des Bürgermeisters. Gezielt habe er direkt Akteurinnen und Akteure angesprochen, von denen er um ihre persönliche Beziehung zu Findorff wusste: Die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Gönül Bredehorst zum Beispiel („sie hat sich richtig reingehängt“, sagt er), oder Oliver Rau, zuständig für Tourismus und Marketing bei der Wirtschaftsförderung Bremen.

Betrieb in guten Händen

„Viele haben ganz toll mitgezogen. Alle hatten ein Interesse daran, dass es hier weitergeht“, erzählt Mickan. Auch die Bras, betont Geschäftsführerin Astrid Eggeding. Man habe sich den Entschluss nicht leicht gemacht. Hauptproblem sei die Schwierigkeit gewesen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter außerhalb der begrenzten Saison weiter zu beschäftigen. „Wir haben das alle gerne gemacht. Aber nun freuen wir uns, dass der Betrieb in guten Händen ist.“

Das Amt für Versorgung und Integration sagte Unterstützung zu für Mickans Idee, die Torfkähne als Integrationsprojekt weiterfahren zu lassen. Mit der Stiftung Maribondo de Floresta mit Sitz in Osterholz-Scharmbeck wurde ein passender Partner gefunden: Die gemeinnützige Stiftung, die sich für die Förderung von Menschen mit Behinderungen einsetzt, betreibt in Bremen sechs Cafés und drei Lebensmittelmärkte, in denen Menschen mit körperlichen oder psychischen Handicaps beschäftigt werden, und hat nun auch die Trägerschaft der Torfkähne übernommen. Geschäftsführer Erwin Bienewald tritt als Geschäftsführer der Torfkähne auf. Für Mickans freiwillige Rolle gibt es keinen Namen. „Organisator“, sagt er.

Liste von Maßnahmen

Bei mehreren Ortsbegehungen mit Expertinnen aus Behindertenvertretungen wurde eine Liste von Maßnahmen zusammengestellt, die den Torfhafen barrierefrei und die Kähne zugänglich für mobilitätseingeschränkte Menschen machen sollen. Für blinde Gäste sollen ein Orientierungssystem entwickelt und Stolperstellen abgebaut werden.

Um Menschen mit Rollstuhl und Rollator das Ankommen zu erleichtern, soll der Zugang neben dem Biergarten an der Eickedorfer Straße umgebaut werden. Ein Lifter soll den Einstieg in die Kähne ermöglichen. Wer wofür zuständig ist, woher das Geld kommt, wann es los geht: All das wird Mickan noch herausfinden. „Ich hätte nie gedacht, dass alles so viel Arbeit macht“, sagt er. „Aber es macht einen Riesenspaß.“

Vor allem aber sollen die Kähne wieder so oft wie möglich auf Tour gehen. Nach einer Stellenanzeige, auf die sich innerhalb weniger Stunden 16 qualifizierte Interessentinnen und Interessenten meldeten, steht nun eine 22-köpfige Skipper-Crew bereit, berichtet Mickan. Fast 50 Fahrten seien bereits gebucht, fast die Hälfte der Buchungen komme von Außerhalb.

Neue Zielgruppen im Visier

Die Naturerlebnis- und lokalhistorischen Fahrten sollen der Markenkern der Findorffer Torfkähne bleiben. Mit Hochzeitsfahrten, Familientouren, Picknick- und Kaffeefahrten, Fahrten für blinde und sehbeeinträchtigte Menschen sollen neue Zielgruppen angezogen werden. Auch für den Heimathafen hat Mickan Ideen –  und bereits die Fühler in der Hochschule für Künste ausgestreckt. So könnten rund um das Hafenbecken Street-Art-Aktionen stattfinden oder die Torfkähne als schwimmende Bühne für Modenschauen, Lichtkunst oder kleine Chorkonzerte dienen, erzählt er.

Die Hafenmauern würde er gerne von den unschönen Graffiti gereinigt sehen. Die braunen Segel, die nun –  auch das ist neu  – permanent gesetzt sein sollen, sind das erste Zeichen des Neustarts. Das pittoreske Bild habe direkt die Sichtbarkeit erhöht – messbar an der Zahl der Passanten, die stehen bleiben und ihre Handykameras zücken, erzählt Mickan. „So wünsche ich mir das: Dass alle auf den Torfhafen schauen, und sich darüber freuen, was sie dort sehen.“

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