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Bremer Traditionsbetrieb Gestra AG: Findorffer Standort durch Konzernpläne gefährdet

Zukunft der Gestra AG in Bremen ungewiss: Konzernpläne bedrohen Standort und Arbeitsplätze. Betriebsrat und Gewerkschaft warnen vor dem Ende des Traditionsunternehmens.
02.06.2025, 05:00 Uhr
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Von Anke Velten
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Verraten und verkauft: So in etwa fühlt sich zurzeit die Belegschaft der Gestra AG. Vertreter aus Betriebsrat und Gewerkschaft schilderten dem Findorffer Beirat den Ernst der Lage. Sie prophezeien, dass der geplante Stellenabbau der Anfang vom Ende wäre für den Bremer Standort. Der Beirat nennt die Konzernpläne „kurzsichtig und verantwortungslos“, und sicherte den Beschäftigten geschlossen seine Solidarität zu.

Worum geht es?

Noch vor zwei Jahren standen die Zeichen auf Wachstum und Zukunft. Im Frühjahr 2023 hatte der Gestra-Vorstand angekündigt, dass das Traditionsunternehmen nach gut 100 Jahren Findorff verlassen, und sich auf einem Fünf-Hektar-Grundstück auf dem ehemaligen Gelände des Fliesenherstellers Norddeutsche Steingut in Grohn neu und größer aufstellen werde. Im vergangenen Jahr musste das Unternehmen zurückrudern: Das Umzugsvorhaben sei auf Eis gelegt. Im April dieses Jahres wurde zudem bekannt, dass der Mutterkonzern am Findorffer Standort bis 2027 mehr als 80 Arbeitsplätze abbauen will. Für Betriebsrat und Mitarbeiter ein Schock, erklärte die stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Anja Hemmer: „Mit uns hat man nicht geredet. Mitbestimmung gab es nicht.“ Obwohl die Umstrukturierungsmaßnahmen – im Konzern als „Projekt Magnum“ bezeichnet – lange geplant gewesen seien: Die Beschäftigten habe man vor vollendete Tatsachen gestellt – auch seitens der hiesigen Unternehmungsleitung. Die Betriebsrätin sprach von einem „Vertrauensbruch“. Der Vorstandsvorsitzende Friedhelm Lefting konnte im Rahmen der Beiratssitzung nicht befragt werden – er hatte sich entschuldigen lassen. Dessen Einflussvermögen sei indes gering, erklärte Ute Buggeln, Geschäftsführerin der IG Metall Bremen. Die Entscheidungen würden in der britischen Konzernzentrale getroffen, der lokale Vorstand sei „entrechtet.“

Was bedeutet das für den Findorffer Standort?

Konkret geht es zunächst um die Auflösung der Metall-Zerspanung, die an andere Standorte verlegt werden soll. Es handele sich nicht um irgendeinen Bereich, betonte Hemmer: „Es geht um unsere Existenz. Sie reißen unser Herz heraus.“ Die ganzheitliche Produktion der Anlagen von Forschung und Entwicklung bis zu Fertigung der Elemente und Montage und die enge Verzahnung der Bereiche sei bisher Alleinstellungsmerkmal des Bremer Standorts mit rund 400 Beschäftigten. Ohne die rund 50 Mitarbeiter der Zerspanung sei „Gestra tot“, so die Betriebsrätin. Mit dem Managementwechsel im britischen Mutterkonzern Spirax Sarco trete nun offensichtlich ein, was bereits bei der Übernahme der Gestra im Jahr 2017 befürchtet wurde, hieß es: Für Buggeln „weist alles darauf hin, dass es das Ziel ist, sich eines Konkurrenten zu entledigen.“ Bestätigt habe sich dieser Verdacht beim Besuch eines Vertreters der Konzernführung vor einigen Wochen. Dieser habe klargestellt, dass der Konzern nicht weiter in Gestra investieren werde. Die Verlagerung weiterer Unternehmensbereiche habe er nicht ausgeschlossen. Für Buggeln ein Ausverkauf in „Salamitaktik“ und „das Todesurteil.“ Ein weiterer Hinweis sei, dass das Unternehmen die Zahl der neuen Auszubildenden stark reduziert habe, so Hemmer.

Wie argumentiert der Konzern?

Begründet wurde die Umstrukturierung mit der wirtschaftlichen Lage und der Wettbewerbsfähigkeit. Betriebsrat und Gewerkschaft halten dagegen: Gestra habe in den vergangenen Jahren beständig für Millionenumsätze im zweistelligen Bereich gesorgt, zwischen 2020 und 2024 den Umsatz um 50 Prozent gesteigert. Die Auftragslage sei gut, der Findorffer Standort ein „Kronjuwel“ im Konzern. „Wir reden nicht über ein marodes Unternehmen. Dieser Betrieb ist gesund und wettbewerbsfähig“, betonte Hemmer. Mit der Verlagerung von Abteilungen, Maschinen und Know How an andere Standorte solle nach Ansicht des Managements der Gewinn noch um weitere Prozentpunkte gesteigert werden. Mit Unterstützung eines Wirtschaftsberaters und einer Juristin wollen die Findorffer die Wettbewerbsfähigkeit der Gestra belegen und Lösungsoptionen erarbeiten. Man werde um jeden Arbeitsplatz kämpfen, kündigte Buggeln an. Gewerkschaftssekretärin Susanne Wichert bestätigte: „Wir setzen alles auf Widerstand.“ In einem Gespräch mit Wirtschaftssenatorin und Bürgermeister habe Andreas Bovenschulte angekündigt, dass er bereit wäre, persönlich nach England zu fliegen und der Konzernleitung die Lösungsvorschläge vorzulegen.

Was sagt der Beirat?

„Fassungslos“ und „eine Tragödie für den Stadtteil“, lauteten einige der Reaktionen. In einer gemeinsamen überfraktionellen Erklärung fordert der Beirat den Erhalt aller Arbeitsplätze und die langfristige Sicherung des Bremer Standorts. Die aktuellen Entwicklungen verfolge man mit großer Sorge, das Vorgehen des Mutterkonzerns sei kurzsichtig und verantwortungslos. „Der Wirtschaftsstandort Bremen darf nicht dem Kalkül internationaler Investoren geopfert werden“, heißt es weiter. Auch wenn sich ausländische Investoren von einem Beiratsbeschluss vermutlich wenig beeindrucken ließen, wie Ortsamtsleiterin Cornelia Wiedemeyer eingangs erklärt hatte: Im Namen der Gestra-Belegschaft betonte Betriebsrätin Hemmer, „Ihre Solidarität und Ihr Interesse bedeuten uns ganz viel.“

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