Zwei junge Menschen, die aus ihrem Alltag gerissen werden. Die getrennt werden von äußeren Umständen, für die sie nichts können und denen sie machtlos ausgeliefert sind. Ihre Geschichte beginnt in einem Kriegsgebiet, sie führt nach Bremen. Sie kommt fast ohne Worte aus und erzählt dennoch viel über Angst, Flucht, Tod, Verlust, Trauer und fast fatale Verzweiflung. Kitschfrei – da leider wahr. Nikita-Siddharta Vasiliuk hat all das in einen fünfminütigen Kurzfilm gepackt. Für seinen Friedensappell mit dem einfachen Titel „Flucht“ wurde der 17-jährige Findorffer Oberschüler mit dem ersten Preis in seiner Altersklasse im Kreativwettbewerb „Ausweg gesucht“ ausgezeichnet.
Die Story ist erfunden, und doch ist alles daran real. Sie sei ein Konzentrat von Lebensgeschichten, die ihm in den vergangenen Jahren begegnet seien, erzählt Nikita. Viele davon hörte er von den Ensemblemitgliedern des Theater 11, zu dem er selbst seit neun Jahren gehört, und in dem viele Heranwachsende mitspielen, die in ihrer Kindheit und Jugend Krieg, Todesangst und Flucht erlebt haben.
Besonders betroffen machten ihn auch die Erzählungen aus der Ukraine, wo junge Männer – Jungs in seinem Alter – zurückgelassen wurden, während die Mütter, Schwestern, Freundinnen sich in Sicherheit bringen konnten. „Es ist alles ganz nah“, sagt der Zwölftklässler, der seine ungewöhnlichen Vornamen den weißrussischen Wurzeln der Mutter verdankt und der Begeisterung für buddhistische Philosophie des ostfriesischen Vaters.
Beim Theaterspielen lernt man viel über Schauspielerei und Dramaturgie. Das Filmen hat er sich selbst beigebracht. Zeit genug zum Experimentieren gab es in den Corona-Monaten, als der klassische Schulalltag unterbrochen wurde, erklärt er. Gemeinsam mit einem Freund habe er zunächst Videos mit Unterrichtsstoff produziert, die über die sozialen Netzwerke verbreitet wurden und dort sehr gut ankamen.
Wettbewerb seit 2015
Sein Talent entdeckte Theater 11-Gründerin und Regisseurin Kira Petrov, die ihn auch auf den Kreativwettbewerb aufmerksam machte. „Ausweg gesucht“ wird seit 2015 vom Landesinstitut für Schule und der Medienagentur „vomhörensehen“ ausgelobt und gefördert von der Handelskrankenkasse. Gesucht werden Beiträge von jungen Menschen aus Bremen, Niedersachsen und Hamburg, die sich mit Themen beschäftigen, die sie bewegen.
Diesmal hatte die 16-köpfige Jury von Profis aus Film, Musik, Journalismus, Medienpädagogik und Suchtprävention mehr als 100 Texte und Kurzfilme zu sichten, aus denen die Preisträger in acht Kategorien herausgefiltert wurden.
Ein Film ist immer ein Gemeinschaftswerk. Nikita war Produzent, Casting-Agent, Regisseur, Kameramann und Cutter. Beim Script hatte ihn Freundin Sophia Eliseev unterstützt. Das namenlose Pärchen wird von Sofia und Mykola gespielt – zwei Mitgliedern des Theater 11-Ensembles. Die Innen- und Außenaufnahmen wurden während eineinhalb Wochen an verschiedenen Drehorten in Bremen und im Umland gedreht. Schwierig sei gewesen, das Material auf die vorgegebenen fünf Minuten zu kürzen, erzählt der 17-Jährige.
Spannung wie bei der Oscar-Verleihung
Feierlich geöffnet wurden die „goldenen Umschläge“ mit den Preisträgern am 18. November vor großem Publikum im Kinosaal in der Waterfront – eine Spannung wie bei der Oscar-Verleihung. „Als dann unser Name fiel, sind wir ausgeflippt“, erzählt Nikita. Und natürlich wurde der Film dann auch gezeigt. „Das war schon was, die eigene Arbeit auf der großen Leinwand zu sehen“, sagt er. Die Jury habe gelobt, wie feinfühlig der Film die Emotionalität in vielen kleinen Details abbilde, erzählte der junge Filmemacher. Das Preisgeld in Höhe von 1000 Euro wird Projekten des Theater 11 zugute kommen.
Mittlerweile hat Nikita ein Praktikum in einer Bremer Videoproduktionsfirma absolviert, bei der er viel dazugelernt habe und die ihn auch gleich behalten hat. Für Drehprojekte bleibe grade nicht viel Zeit – die Schultage sind lang, das Abitur rückt näher. Das Filmemachen könnte aber die Zukunft sein, sagt Nikita. „Wenn ich könnte, wie ich wollte, wäre ich jeden Tag mit der Kamera unterwegs.“
Sein ausgezeichneter Kurzfilm ist auf der Wettbewerbs-Homepage ausweggesucht.de zu sehen. Er endet mit einer lebensbejahenden Szene. Die Botschaft, die die Zuschauer dabei mitnehmen sollen: „Es gibt so viel Leid auf der Welt“, sagt Nikita. „Ich wollte diesen Geschichten eine Stimme geben.“