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Fördergebiet Gröpelingen Im Win-Forum können alle mitentscheiden

Wie kann in benachteiligten Quartieren für mehr Teilhabe gesorgt werden? Bremen hat dazu vor 25 Jahren ein international beachtetes kommunales Förderprogramm ins Leben gerufen. Was kann dieses Programm?
23.09.2024, 05:00 Uhr
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Im Win-Forum können alle mitentscheiden
Von Anne Gerling
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Vor gut 25 Jahren hat sich Bremen zu einem nahezu radikalen Schritt entschieden: Mit der Schaffung von Bewohner-Foren –  heute allgemein als Win-Foren bekannt  – wurde damals die Gestaltung und Entwicklung verschiedener Quartiere zumindest zu einem Teil unmittelbar in die Hände der Anwohnerinnen und Anwohner gegeben. „Wir halten es für ein Instrument, das das Potenzial hat, auch Menschen einzubinden, die sonst nicht in Gremien sitzen. Weil es seit 25 Jahren so wenig formalisiert ist, ist diese Form eine Erfolgsgeschichte“, sagt Steffen Nadrowski, der das Referat Soziale Stadtentwicklung im Sozialressort leitet und dort für die Programme der Sozialen Stadtentwicklung verantwortlich ist. Mit dem Gröpelinger Beirat hat er sich in dessen erster Sitzung nach der Sommerpause nun über Win ausgetauscht.

Was ist Win?

Die Abkürzung Win bezieht sich auf das 1999 gestartete kommunale Förderprogramm „Wohnen in Nachbarschaften“, das die alltäglichen Wohn- und Lebensbedingungen in benachteiligten Quartieren verbessern, Bewohner zu Engagement und Mitwirkung ermutigen und die Zusammenarbeit der Akteure vor Ort stärken soll. Verantwortlich für das Programm sind Bauressort und Sozialressort, die Fördergebiete werden auf Grundlage verschiedener Sozialindikatoren (Sprachförderbedarf, Nicht-Abiturquote, Anteil von Leistungsbeziehern) ausgewählt. Jedes Fördergebiet erhält aktuell 150.000 Euro pro Jahr, die im jeweiligen Win-Forum –  an dem jeder teilnehmen, mitdiskutieren und mit abstimmen kann  – nach dem Konsensprinzip an einzelne Projekte verteilt werden: Geld geht nur an Projekte, wenn niemand dagegen stimmt. Aktuell gibt es in Bremen 13 Win-Gebiete, das größte davon ist Gröpelingen, das kleinste Wohlers Eichen in Oslebshausen. „Jeder vierte Bremer lebt in einem Win-Gebiet“, sagt Nadrowski, der immer wieder von Experten aus anderen Städten und sogar aus den USA oder Japan auf dieses „bundesweit einmalige kommunale Förderprogramm“ angesprochen wird: „Win ist berühmt.“

Wie hat sich Win in Gröpelingen entwickelt?

Im Jahr 2000 wurde mit dem Areal um die Stuhmer Straße herum das erste Schwerpunktgebiet in Gröpelingen eingerichtet, das 2008 auf die Ortsteile Gröpelingen, Ohlenhof und Lindenhof ausgeweitet wurde. Bereits 2006 wurde auch Wohlers Eichen zum Fördergebiet. 2019 wurden die Mittel für Gröpelingen von 150.000 auf 225.000 Euro pro Jahr erhöht und 2021 das Quartiersmanagement im Fördergebiet Gröpelingen um eine halbe Stelle aufgestockt. Ansprechpartnerinnen sind die beiden Quartiersmanagerinnen Rita Sänze (Fördergebiet Gröpelingen) und Bärbel Froemel (beide Fördergebiete), die die Win-Foren moderieren, die verschiedenen Akteure in den Quartieren miteinander vernetzen, sich um die Beteiligung von Anwohnerinnen und Anwohnern kümmern, gemeinsam mit Trägern Projekte für den Stadtteil entwickeln und diese –  auch über Win hinaus  – geeigneten Förderprogrammen zuordnen.

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Was ist mit Win in Gröpelingen bewirkt worden?

Man könne Armut zwar nicht einfach verschwinden lassen, sagt Steffen Nadrowski, „aber wir können die Folgen von Armut abfedern und Teilhabe herstellen“. Der Referatsleiter verweist auf Gröpelingens herausragende Rolle bei der Integration von Zuwanderern. Aufgrund vergleichsweise niedriger Mieten zögen dort verstärkt Menschen zu, denen die guten Angebote und Netzwerke im Stadtteil bei den ersten Schritten in ihr neues Leben eine große Hilfe seien, bis sie dem Stadtteil dann wieder entwachsen. Dann rückten neue nach, so Nadrowski. „Das bildet das regelmäßige Monitoring leider nicht ab. Aber von der Vorstellung, dass durch Städtebauförderung nach 15 Jahren aus einem benachteiligten Stadtteil ein prosperierender Stadtteil wird, muss man sich verabschieden. Es geht vielmehr um Gröpelingens Leistung für die gesamte Stadt.“ Und durch Win habe der Stadtteil hier eine gute Infrastruktur mit vielen Angeboten und engagierten Akteuren zu bieten.

Ist es geglückt, die Anwohner mit den Win-Foren zu erreichen?

In den Win-Foren, die sich alle sechs bis acht Wochen treffen, sitzen naturgemäß auch Vertreter von Einrichtungen und Trägern. Aber inwiefern sind dort eigentlich die Anwohner vertreten? Deutlich zu wenig, finden offenbar Teile des Beirats. „Erreicht Ihr eigentlich die Bürger? Das wollten wir doch ursprünglich. Aber ist es auch so?“ fragte deshalb nun Ortsamtsleiterin Cornelia Wiedemeyer die Verantwortlichen. Tatsächlich habe die letzte der regelmäßigen Evaluierungen ergeben, dass an dem Thema „Wen erreichen wir?“ weitergearbeitet werden müsse, sagt dazu Nadrowski. „Ich sehe es auch so, dass zu wenig Bewohner im Forum sind“, sagt Quartiersmanagerin Bärbel Froemel. In Gröpelingen sind es ihr zufolge etwas weniger als in Wohlers Eichen. „Man sollte das Forum nicht mit Bürgerbeteiligung gleichsetzen“, unterstreicht sie aber auch. Schließlich seien zum Beispiel aufgrund von Sprachbarrieren aber auch aus anderen Gründen nicht alle in der Lage, sich in ein Forum einzubringen. Es gebe aber andere Möglichkeiten, sie anzusprechen. Zum Beispiel über die Bewohnertreffs in den Schwerpunktgebieten Rostocker Straße und Liegnitzplatz, über den Kunstkiosk in der Bromberger Straße und einen neuen Treff, der "hoffentlich" noch in diesem Jahr in Wohlers Eichen eröffnet werde.

Geht es in Win-Foren ausschließlich um Win-Mittel?

Was jüngst zu Irritationen bei einigen Besuchern des Win-Forums führte: Dass in der Tischvorlage unter anderem ein Antrag auf Fördermittel aus dem Bund-Länder-Programm „Sozialer Zusammenhalt“ in Höhe von 112.000 Euro für einen neuen Bewohnertreff auftauchte. „Der Antrag kam für uns aus heiterem Himmel, da fühlen wir uns ein bisschen abgehängt“, so SPD-Beiratspolitiker Pierre Hansen, der sich bei Investitionen in dieser Größenordnung grundsätzlich mehr Transparenz wünscht. Win und Städtebauförderung seien unterschiedliche Fördermöglichkeiten, unterstreicht dazu Bianca Matthes vom Team des Gebietsbeauftragten für das Integrierte Entwicklungskonzept (IEK) Gröpelingen. „Unser Ziel ist es, beides zu kombinieren und gemeinsam zu bewerben, aber keine Doppelstrukturen zu schaffen.“ Deshalb nutze man das Win-Forum auch als Netzwerk für die Beantragung von Städtebaufördermitteln, hier steht ein bestimmtes Gebietsbudget zur Verfügung. „Wir wollten dafür nicht noch ein zusätzliches Forum schaffen.“ Bei der Städtebauförderung schlössen sich ans Win-Forum allerdings weitere Prüfungen an: „Das ist also nur der Beginn des Verfahrens, im Nachhinein finden dann noch weitere Prüfungsschritte statt.“

Wie geht es mit Win weiter?

Das 25-jährige Win-Jubiläum soll Ende Februar groß gefeiert werden. Im Bauressort und im Sozialressort laufen die Vorbereitungen für einen Festakt im Rathaus.

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