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Das sagen die Bürger Bürgermeister-Koschnick-Platz: Was die Videoüberwachung bewirkt

Der Bürgermeister-Koschnick-Platz in Gröpelingen wird seit gut drei Wochen videoüberwacht. Wir waren vor Ort und haben mit Bürgern und Anrainern über die Maßnahme gesprochen. Die Bilanz eines Nachmittages.
15.08.2024, 05:00 Uhr
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Bürgermeister-Koschnick-Platz: Was die Videoüberwachung bewirkt
Von Marc Hagedorn

Viel Platz auf dem Bürgersteig lassen die Tische vor Tifi’s Eiscafé nicht. Wie gut, dass der Chef Routine hat und das Tablett mit den zwei Espressi sicher zum Ziel balanciert. Wenige Augenblicke später hätte es gescheppert. Ein Radfahrer hat keine Lust, die Straße zu benutzen oder abzusteigen, sondern kurvt riskant um die Fußgänger herum. „Früher hätten die Menschen an dieser Stelle geschoben“, sagt Bahrudin Softic, „heute ist es den Leuten völlig egal, ob sie andere über den Haufen fahren.“

Softic führt seit 16 Jahren Tifi’s Eiscafé an der Ecke Lindenhofstraße/Gröpelinger Heerstraße. Von hier aus hat er freien Blick auf den Bürgermeister-Koschnick-Platz gegenüber. „Stellen Sie sich zu mir“, fordert Softic seinen Gesprächspartner auf, „wir gucken gleich mal fünf Minuten dabei zu, was hier alles abgeht.“ Vorher muss er nur noch schnell an zwei Tischen abrechnen. „Warten Sie so lange“, sagt er im Weggehen, „ich kann Ihnen alles über den Ort hier erzählen.“

Seit gut drei Wochen wird der Bürgermeister-Koschnick-Platz in Gröpelingen videoüberwacht. Uwe ist fast jeden Tag hier. Immer zur Mittagszeit trifft er sich an dieser Stelle mit ein paar Leuten, die er eine „Schicksalsgemeinschaft“ nennt. Sie quatschen, rauchen und trinken Bier. Uwe sitzt im Rollstuhl. 63 ist er, hat als Gabelstaplerfahrer gearbeitet. „Jetzt ist der Fuß kaputt“, sagt er. Uwe hat sein ganzes Leben in Gröpelingen verbracht. Was er von der Videoüberwachung hält? „Das ist uns ziemlich egal“, sagt er, „wir tun nichts Verbotenes hier, deshalb haben wir auch nichts zu befürchten.“

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Andere haben an diesem Ort viel Verbotenes getan. 1559 Straftaten hat die Polizei allein zwischen Juni 2022 und Mai 2024 registriert. Die Hälfte davon waren Eigentumsdelikte, bei jeder zehnten Tat ging es um Körperverletzung. Seit Installation der zwei Kameras vor drei Wochen sei in einem Fall – gefährliche Körperverletzung – die Videoaufzeichnung gesichert worden, heißt es von der Polizei. Ob die Kameras langfristig eine abschreckende Wirkung haben, sei derzeit noch nicht zu beurteilen, heißt es weiter.

Uwe stellt schon Veränderungen fest. „Die Cops sind häufiger hier“, sagt er. „Sie kontrollieren Leute. Das finde ich gut.“ Schlägereien habe er hier erlebt, Diebstähle. Drogen seien auch ein Thema. Sein Sicherheitsgefühl sei jetzt besser geworden. Uwe und seine Kumpels haben ihren Stammplatz vor der „Mall of Späti“. Der Laden bietet Getränke, Süßigkeiten und Tabak an. Der Mitarbeiter im Geschäft sagt: „Seitdem die Kameras hier sind, ist es ruhiger geworden. Keine Junkies mehr. Mein Chef ist zufrieden.“

Tatsächlich geht an diesem Nachmittag vieles seinen geordneten Gang. Eine ältere Frau sammelt Altglas. Tauben suchen nach Essbarem. Ein paar junge Männer drücken sich an Häuserwände. Im Takt der Straßenbahn, die hier ankommt und ihre Türen öffnet, füllt sich der Platz in einem Moment und leert sich im nächsten. Viele verschiedene Sprachen werden hier gesprochen. Mütter mit Kinderwagen, Radfahrer und Fußgänger überqueren den Platz. Der Security-Mann, der vor der Sparkasse Wache hält, schaut in sein Handy.

„Der Ort hat sich verändert“, sagt Uwe. „Er ist schöner geworden.“ Die Sparkasse ist mit ihrer Stadtteilfiliale in das markante Eckhaus eingezogen. Eine bewusste Entscheidung für den Standort Gröpelingen, hieß es dazu vor einem Jahr von dem Unternehmen. Auch andere sehen Potenzial in dem Platz, zum Beispiel die Ortspolitik. „Wir halten daran fest, dass dies die gute Stube des Stadtteils wird“, sagt Ingo Wilhelms aus dem Ortsamt West. Seit einem Jahr laden geschwungene Sitzbänke zum Verweilen ein. Sechs Eschen sollen für Grün sorgen. Ein Trinkwasserbrunnen und eine Stele, die an den Namensgeber des Platzes erinnert, sind auch noch geplant. In ein leeres Eckgebäude soll ein Gastrobetrieb einziehen.

Im Eiscafé auf der anderen Straßenseite hat Bahrudin Softic seine Gäste versorgt und Zeit, das Treiben zu beobachten. „Sehen Sie“, sagt er und zeigt in Richtung eines Fußgängers, der bei Rot ungerührt die Straße überquert. „Und dort“, ein Autofahrer wendet regelwidrig. „Und da hinten“, sagt Softic, „sitzen sie nachher wieder, rauchen Joints und blasen den Passanten und Kindern ihren Qualm entgegen.“ Kleinigkeiten vielleicht, aber sie prägten das Gesamtbild, findet er. Und über die wirklich schlimmen Dinge, „die bringen hier Macheten mit, vor ein paar Wochen wurde geschossen“, habe er noch gar nichts gesagt.

Die Videoüberwachung findet der Geschäftsmann grundsätzlich gut, „aber halbherzig“. Warum das? „Weil sie zu spät kommt und weil ich nicht glaube, dass hart genug durchgegriffen wird – wird in Bremen ja nie“, sagt er. Er habe das mit eigenen Augen gesehen. An einem Tag würde die Polizei Täter abführen, am nächsten Tagen seien sie wieder vor Ort.

Gröpelingen, sagt Softic, sei kein schlechter Stadtteil. „Hier leben tolle Menschen, aber eine Minderheit quält die Mehrheit.“ Er wisse, dass viele Gröpelinger, „Leute wie du und ich, die sich an die Regeln halten“, inzwischen genug davon hätten. „Die wählen beim nächsten Mal AfD, das weiß ich. Ich mache das auch.“

Die Kameras am Bürgermeister-Koschnick-Platz sollen noch zwei weitere Monate hängen bleiben. Dann wollen Polizei und Politik Bilanz ziehen. Die Datenschutzbehörde hatte vorab schon Bedenken angemeldet. Sie hegt Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme.

Info

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes wurde der Bürgermeister-Koschnick-Platz fälschlicherweise als der Hans-Koschnick-Platz bezeichnet.
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