Am Donnerstag nach Ostern wäre es beinahe laut geworden vor der Bremer Jobcenter-Zentrale an der Utbremer Straße. Transparente, Trillerpfeifen und Kochtöpfe lagen sozusagen schon bereit: Die Stadtteilgewerkschaft „Solidarisch in Gröpelingen“ hatte zu einer Kundgebung mobilisiert, weil einer vierköpfigen Gröpelinger Familie die Zwangsräumung drohte. Die Eltern und ihre beiden Kleinkinder seien in diese Notsituation geraten, weil das Jobcenter Zahlungen verzögert habe, schildern Sabine Zimmer und Olaf Weidner von der Stadtteilgewerkschaft. Würden die Schulden nicht bis zum 20. April beglichen, werde die Wohnung zwangsgeräumt, war der im Februar zugestellten Räumungsklage zu entnehmen.
Die Stadtteilgewerkschaft hatte daraufhin das Sozialgericht eingeschaltet, um dort eine einstweilige Verfügung zu erwirken. Per Eilverfahren wollte sie das Jobcenter dazu bewegen, der Familie ein Darlehen zur Begleichung der Mietrückstände zu gewähren. Das Jobcenter habe daraufhin abermals viel Zeit verstreichen lassen, schildern Zimmer und Weidner, obwohl es bei drohender Wohnungslosigkeit verpflichtet sei, Mietrückstände zu übernehmen.
Immer wieder Unterlagen angefordert
Immer wieder seien jedoch weitere Unterlagen angefordert worden. Unter anderem eine vom Vermieter unterschriebene Erklärung, in der der Familie bescheinigt werde, dass sie nach der Begleichung der Mietrückstände in der Wohnung bleiben könne. Dabei sei eine solche Zustimmung des Vermieters laut BGB bei einer fristlosen Kündigung – wie in diesem Fall – gar nicht notwendig, kritisieren Zimmer und Weidner.
Die Gröpelinger Familie sei dabei kein Einzelfall, sagt Zimmer. Das Jobcenter verlange bei fristlosen Kündigungen regelmäßig vom Vermieter unterschriebene Bescheinigungen: „Dabei entspricht diese Praxis nicht der geltenden Rechtsprechung. Aber was machst du, wenn du die Sprache nicht sprichst und deine Rechte nicht kennst?“
Demo abgesagt
Im aktuellen Fall hatte sich die Familie an die Stadtteilgewerkschaft gewandt – und die entschied zehn Tage vor Ablauf der Frist, auf die Straße zu gehen und die Jobcenter-Geschäftsführung direkt auf den Fall anzusprechen. „Es war ein sehr hoher Druck da, wir mobilisieren ja nicht zum Spaß“, sagt Zimmer. Zwei Tage vor der angekündigten Demonstration habe sich das Blatt dann schließlich doch noch gewendet: „Innerhalb von fünf Stunden hat das Jobcenter Kontakt aufgenommen und wir haben die angekündigte Aktion schließlich zurückgezogen“, so Weidner.
Ihm zufolge gibt es mittlerweile viele Fälle, in denen die 2017 gegründete Stadtteilgewerkschaft helfen konnte: „Wir beraten zu Aufenthalt, Miete, Jobcenter oder Arbeit und gewinnen auch viel vor Gericht.“ Geld verlange die Gruppe für derlei Unterstützung nicht, die Mitgliedschaft bei der Stadtteilgewerkschaft beruhe vielmehr auf etwas anderem: Solidarität. Denn, so Weidner: „Es gibt in unserer Gesellschaft viel Gegeneinander. Die Solidarität ist verloren gegangen.“
Kampf für gerechtere Gesellschaft
Das möchten Zimmer, Weidner und ihre Mitstreiter bei „Solidarisch in Gröpelingen“ ändern und gemeinsam mit möglichst vielen anderen Menschen für eine gerechtere Gesellschaft kämpfen. Für sie ist dies eine Gesellschaft ohne Armut und Diskriminierung und mit bezahlbarem Wohnraum für alle, in der Gleichberechtigung herrscht, alle Menschen Zugang zu einer angemessenen Gesundheitsversorgung und genügend Freizeit haben und direkt über Wirtschaft und Politik mitbestimmen können: „Wir wollen eine organisierte Stadtteilbewegung, die Macht von unten aufbaut. Eine Bewegung vieler Stadtteile, die gemeinsam für eine solidarische Gesellschaft kämpft.“ Auch überregional ist die Gruppe mit anderen Initiativen in Kontakt.
Die Stadtteilgewerkschaft ist unter anderem gegen überhöhte Nebenkostenabrechnungen und unzumutbare Wohnverhältnisse bei der Vonovia auf die Straße gegangen, im Februar demonstrierte sie gegen steigende Preise. Regelmäßig tauschen sich ihre Mitglieder bei Vollversammlungen miteinander aus und diskutieren im Zuge von Bildungsveranstaltungen über wechselnde politische Themen.
Gut genutzte Beratung
Im Büro der Stadtteilgewerkschaft an der Liegnitzstraße 12 wird aber auch immer mal gemeinsam gekocht. Die Beratung werde gut genutzt: fast täglich kämen mittlerweile Menschen, die nicht wissen, wie sie ihre Kinder noch ernähren sollen. Viele, die dort aufgrund persönlicher Probleme Hilfe gesucht hätten und ursprünglich nicht etwa mit dem Ziel gekommen seien, die Gesellschaft zu verändern, engagieren sich Zimmer und Weidner zufolge mittlerweile selbst bei der Stadtteilgewerkschaft.
„Am Anfang waren wir eine kleine Gruppe von weißen akademisch geprägten Menschen. Das ist mittlerweile ganz anders.“ So seien inzwischen etwa 90 Prozent der Mitglieder nicht deutschstämmig und bei Treffen und Veranstaltungen werde jeweils in mehreren Sprachen kommuniziert. Das Besondere: Für manche Mitglieder fühle sich die Stadtteilgewerkschaft dabei wie eine Familie an, und zwar über die Grenzen der verschiedenen Communities hinweg. Das Alter der Mitglieder variiere dabei von Anfang 20 bis Mitte 70, erzählt Weidner: „Oft zeigen sich linke Projekte ja als sehr jung. Das haben wir auflösen können.“
Nähere Informationen unter www.solidarisch-in-groepelingen.de.