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Integration in Gröpelingen Wie das Miteinander gelingen kann

Gröpelingen gilt als Bremens Ankommensstadtteil. Wir haben mit zwei Ortspolitikern aus dem Stadtteil darüber gesprochen, wie Integration gelingen kann.
29.12.2023, 05:00 Uhr
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Wie das Miteinander gelingen kann
Von Anne Gerling

Bis November 2023 hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge nach eigenen Angaben 304.581 (2015: annähernd 890.000) Asyl-Erstanträge entgegengenommen. Nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel werden asylsuchende Menschen auf Bundesländer und Kommunen verteilt. Bis September 2023 wurden dem Sozialressort zufolge in Bremen 2058 Asylanträge gestellt. Zum Vergleich: 2015, zum Höhepunkt der sogenannten Flüchtlingskrise, waren es 8947 Asylsuchende, 2016 waren es 4888 Menschen, die Schutz in Bremen suchten. Hauptherkunftsländer sind Syrien und Afghanistan – eine Ausnahme bildete das Jahr 2022, als viele Ukrainer vor dem Angriffskrieg Russlands auf ihr Land flüchteten.

Ein nicht unerheblicher Anteil der Zugewanderten kommt in Gröpelingen an. Das zeigen die Zahlen des Statistischen Landesamtes, wonach der Ausländer-Anteil unter den Zugezogenen im Jahr 2022 bei 64,8 Prozent und damit weit über dem Bremer Durchschnitt von 50,6 Prozent lag.

Besondere Rolle für Gröpelingen

Auch für die Zukunft gilt somit: Gröpelingen kommt bei der Integration von Zugewanderten eine besondere Rolle zu – während der Stadtteil gleichzeitig mit der höchsten Arbeitslosenquote (2022: 22,7 Prozent) und dem niedrigsten durchschnittlichen Jahreseinkommen (2018: 22.300 Euro) zu einem der ärmsten Stadtteile Bremens zählt. Darüber, wie Integration dennoch gelingen kann und wo sie Handlungsbedarf sehen, haben wir mit zwei Gröpelinger Ortspolitikern gesprochen.

„Ein negatives Image war meist Standard, wenn man Gröpelingen nur schon gehört hat“, sagt Mustafa Alkan Ertunc, der seit 24 Jahren im Ohlenhofquartier lebt und seit Juli der SPD-Fraktion im Gröpelinger Beirat angehört. Während seiner Schulzeit, an einem Bremer Gymnasium, hat er Verschiedenes gehört und auch erlebt: „Wenn du deinen türkischen Namen genannt hast und dann kommst du auch noch aus Gröpelingen, waren abfällige Kommentare auch schon mal drin.“

Kulturelle Vielfalt

Für den 40-Jährigen ist die kulturelle Vielfalt in seinem Stadtteil vor allem eines:  „Eine Bereicherung!“ Und zwar deshalb, weil man in Gröpelingen weltoffen sei, sich um Zusammenhalt bemühe und keine Nachteile durch den Zuzug anderer Menschen befürchte: „Gerade das macht Gröpelingen auch aus. Wir sind hier eine Wertegemeinschaft, wo man zusammenlebt und das Beste daraus macht.“

Kürzlich hat Ertunc eine Schulklasse besucht. „Die war sehr gemischt, und ich habe unterschiedliche Hautfarben und Nationalitäten gesehen. Das muss sicher eine pädagogische Herausforderung sein, aber alle waren friedlich miteinander“, sagt er. Und dass Sport bei der Integration helfen kann: „Über Fußball zum Beispiel kann man gut kommunizieren und gemeinsam ein Ziel verfolgen, was einem mentale Kraft gibt.“

Freude über Einbürgerung

Ertunc ist Rechtsanwalt für Migrations- und Strafrecht und hat häufig erlebt, wie sich Menschen zum Beispiel aus Syrien über ihre Einbürgerung gefreut haben: „Weil sie wissen, dass sie nun an einem normalen Leben hier in Deutschland teilhaben können. Sie können wählen und haben Rechte – damit können sie sich dann auch besser integrieren. Die Voraussetzung dafür ist selbstverständlich, dass sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung akzeptieren.“

Besonders wichtig für die erfolgreiche Integration von Zugewanderten ist Ertuncs Ansicht nach eine rasche Arbeitserlaubnis: „Wir haben hier Menschen, unter anderem aus Balkan-Staaten, die nicht arbeiten dürfen. Gleichzeitig haben wir Fachkräftemangel, und es kommen auch Fachkräfte. Es sollte so organisiert werden, dass die Leute schnellstmöglich in den Arbeitsprozess integriert werden. Wenn man aus seiner Heimat vertrieben wird und in ein Land kommt, wo man keine Arbeitserlaubnis bekommt, muss man sehen, wo man bleibt. Manche kommen auf diese Weise vom richtigen Weg ab und werden kriminell.“ Gerade der Stadtteil Gröpelingen werde häufig mit Kriminalität verbunden, hat Ertunc beobachtet: „Dabei kann man überall in Schieflage geraten, nicht nur hier.“

Mehr kulturübergreifende Kommunikation

Was ihm gut gefallen hat, weil es seiner Ansicht nach ein wichtiger Schritt zu mehr gesellschaftlicher Teilhabe war: Dass in Gröpelingen kürzlich ein Platz nach dem ehemaligen Gastarbeiter, Klöckner-Betriebsrat und Mevlana-Moschee-Vorstand Mustafa Karabacak benannt worden ist: „Er hat in seinem Leben viel geleistet und dafür nun von der Stadt Anerkennung und Wertschätzung bekommen. Man muss ja auch mal sehen, wie schwierig es für Menschen in einem neuen Land ist, dessen kulturellen Hintergrund sie nicht haben.“  Mehr Aktivitäten in diese Richtung und mehr kulturübergreifende Kommunikation würden der Integration guttun, ist Ertunc überzeugt: „Das Wichtigste ist der würdevolle Umgang mit- und untereinander.“

Keerthi Kulanayagam hat als Asta-Vorstand an der Hochschule Bremen die Interessen der Studierenden vertreten, ist seit 23 Jahren Mitglied bei den Grünen und engagiert sich als Sachkundiger Bürger im Gröpelinger Beirat, seit er 2019 aus dem Bremer Süden in den Westen umgezogen ist. Aus vielen Gesprächen im Stadtteil weiß der in Sri Lanka geborene Diplom-Elektrotechniker: „Deutsche finden oft, dass sich Zugewanderte noch nicht genug integriert haben. Ausländer hingegen sind hier sehr glücklich. Sie wollen unbedingt lernen, arbeiten und auch so ein Leben haben wie die Deutschen. Das ist ihr Traum.“

Zwischen beiden Bevölkerungsgruppen gebe es mitunter noch zu wenig Berührungspunkte: „Aus Dänemark kenne ich es, dass sich alle getroffen und zusammen gefeiert haben. Das sehe ich hier etwas weniger. Mehr gemeinsame Treffen und Feste – zum Beispiel in Bürgerhäusern – könnten vielleicht helfen, eine Brücke zu bauen.“

Auch Deutsche sollten integriert werden

Zur Integration gehören immer zwei Seiten, unterstreicht der 52-Jährige gleichzeitig: „Wir sagen immer, dass Ausländer integriert werden müssen. Ich sage: Deutsche müssen auch integriert werden.“ Zur Veranschaulichung schreibt Kulanayagam eine Ziffer auf ein Blatt Papier und fragt die Reporterin ihm gegenüber: „Was sehen Sie? Für Sie ist es eine Neun. Ich sehe aber eine Sechs. Wir haben jeweils eine andere Perspektive – aber wir haben beide Recht.“

Kulanayagam weiß: Besondere Herausforderungen bedeutet Zuwanderung für die Schulen im Stadtteil, wo es an Fachpersonal und Plätzen mangelt. Hier brauche es schnelle und vor allem einfache Lösungen, ist der Diplom-Ingenieur überzeugt: „Viel Bürokratie verhindert einfache Lösungen – dabei sind einfache Lösungen oft die besten. Wir sollten zum Beispiel viel mehr Leute einsetzen, die noch keine Berufserfahrung in diesem Bereich haben, aber qualifiziert sind. Dadurch kämen wiederum neue Perspektiven in die Schulen, die dort die Innovationskraft und die pädagogische Qualität erhöhen könnten.“ Voraussetzung hierfür sei, dass die neuen Kräfte angemessen unterstützt und durch gezielte Ausbildungs- und Unterstützungsprogramme auf ihre neue Rolle vorbereitet würden.

Bessere Chancen durch Bürgergeld

Ein Stadtviertel könne auf lange Sicht vom Zuzug ärmerer Bevölkerungsgruppen durchaus auch profitieren, findet Kulanayagam außerdem. Denn mit dem im Januar eingeführten Bürgergeld eröffneten sich unter anderem dadurch neue Möglichkeiten, dass die Empfänger mehr Ersparnisse haben könnten als bislang. Dies biete ihnen die Chance, ein eigenes Geschäft oder Unternehmen zu gründen und sich eine Existenz aufzubauen – was wiederum ihre Stadtviertel stärke und verbessere: „Viele wollen doch gar nicht langfristig vom Staat abhängig sein. Anders als Hartz IV, das den Menschen ein Stigma aufdrückte, gibt das Bürgergeld Menschen die positive Energie und das Gefühl: Du bist kein armer Mensch, du kannst eine Perspektive und eine Zukunft haben.“

Für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt müsse dieser so gestaltet werden, dass er Freude und Zufriedenheit bei der Arbeit fördere, empfiehlt der Gröpelinger, der außerdem sagt: „Fachkräfte aus Entwicklungsländern sollten angemessen integriert werden.“ Gleichzeitig sei es sinnvoll, deutsche Arbeitslose zum Beispiel mit Austauschprogrammen dazu zu motivieren, sich im Ausland weiterzubilden, ist Kulanayagam überzeugt. Und: „Auch Berufseinsteiger könnten im Ausland erste Arbeitserfahrungen sammeln. Das wäre nicht nur kostengünstig, sondern auch sehr effektiv. Denn es eröffnet neue Perspektiven und stärkt interkulturelle Kompetenzen. Es ist wichtig, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen.“

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