Vertrautes hinter sich lassen und an einem völlig neuen Ort ganz von vorne anfangen: Zeynep Sümer weiß, wie sich das anfühlt. Und sie weiß auch, wann sich Türen öffnen: Wenn man sich dem Neuen nicht verschließt. „Warum nicht?“ dachte sie sich zum Beispiel, als sie vor fast 15 Jahren gefragt wurde, ob sie beim Zentrum für Migranten und Interkulturelle Studien (Zis) im Vorstand mitarbeiten wolle: „Ich bin nicht der Typ, der zu Hause sitzt. Also habe ich das gerne angenommen.“ Nur wenige Monate zuvor war Sümer, die kürzlich ihren 80. Geburtstag gefeiert hat, von Hannover nach Bremen umgezogen, wo sie außer ihrer Tochter und der Enkelin damals niemanden kannte. Keine einfache Zeit, wie sie sich erinnert: „Dieses Gefühl, allein zu sein, das war nicht schön.“
Doch von einem ist Zeynep Sümer seit jeher fest überzeugt: "Wir sollten mit einem positiven Glauben an unsere Zukunft denken." Neue Dinge zu planen, genießt sie ebenso, wie an alte Zeiten zu denken. Zum Beispiel an ihre Kindheit in Bulgarien, wo sie 1944 geboren wurde. Als sie sieben Jahre alt war, verließ ihre Familie das kommunistische Land in Richtung Türkei, wo Zeynep Sümer in der zentralanatolischen Stadt Eskisehir aufwuchs. Inspiriert durch eine Staatsanwältin aus der Nachbarschaft absolvierte sie nach dem Abitur in den 1960er-Jahren ein Jura-Studium in Ankara. Schwarz-weiß-Fotos von damals zeigen Sümer mit anderen Studentinnen – junge Frauen mit einem wachen Blick, toupierten Haaren, Halstüchern und kurzen Röcken: „Wir waren glücklich und zufrieden, es gab keine Begrenzung, das war eine tolle Zeit.“
Hilfsarbeiterjob für 4,21 DM pro Stunde
1972, Sümer war inzwischen verheiratet und Mutter einer kleinen Tochter, kam sie auf Basis des Anwerbeabkommens als Gastarbeiterin nach Deutschland und fing für 4,21 D-Mark pro Stunde als Hilfsarbeiterin bei Telefunken in Hannover an. Schritt für Schritt ging es weiter: Zeynep Sümer besuchte eine Sprachschule, organisierte für ihre Tochter einen Kindergartenplatz und machte den Führerschein, um mobiler zu sein. Schließlich fand sie eine besser bezahlte Arbeit als Facharbeiterin in einem Vorort von Hannover, den sie mit ihrem VW Käfer gut erreichen konnte.
Ihr großes Ziel blieb aber ein Bürojob, wie ihr Mann ihn bereits hatte. Und so machte sie sich eines Tages auf den Weg zum Landgericht, um dort nach Arbeit zu fragen. Unterwegs kam sie an der Deutschen Bank vorbei. „Eine Kraft hat mir gesagt: Geh rein!“ erzählt Sümer, die sich damals ohne Anmeldung oder Bewerbungsschreiben vom Pförtner bis zum Personalchef durchfragte: „Ich habe ihm erzählt, was ich bisher gemacht habe und dass ich alles machen kann.“ Als sie wieder ging, hatte sie einen Job in der Zahlungsverkehrsabteilung: „Mein Mann hat mir das erst nicht geglaubt.“
Über die Jahre wuchsen die Freundschaften
Der Anfang sei schwierig gewesen, erzählt Zeynep Sümer: „Aber wir waren ein gutes Team und hatten einen netten Abteilungsleiter, der auch mal etwas Persönliches gefragt hat.“ Auch privat lief es gut, der Bekanntenkreis der Familie wuchs und über die Jahre wuchsen Freundschaften. Nach dem Tod ihres Mannes, Sümer war inzwischen Rentnerin, war dann 2009 die Zeit reif für etwas Neues: Sie verkaufte ihre Wohnung in Hannover und zog ins Bremer Steintor.
Dort erzählte ihre Tochter ihr eines Tages von einer Ausstellung, die das in Gröpelingen ansässige Zis organisiert hatte. Sümer ging hin und lernte dort Zis-Vorstand Ali Elis und seine Frau Gudrun Münchmeyer-Elis kennen. Ein Wendepunkt: Kurze Zeit später machte sie beim Gesprächskreis für Frauen verschiedener Herkunft mit und war Leiterin ihres ersten Zis-Malkurses.
Delegierte in der Seniorenvertretung
Bis heute engagiert sie sich beim Zis in der interkulturellen Arbeit. Über das Zis entstand außerdem der Kontakt zur Bremer Seniorenvertretung, wo sie ab 2010 als Delegierte mitwirkte. Seit 2012 ist Sümer auch dort im Vorstand aktiv und arbeitet beim Journal „Durchblick“ mit. Zweimal war die Bremerin zu Gast in Schloss Bellevue, wo sich der Bundespräsident bei Bürgerinnen und Bürgern für deren ehrenamtliches Engagement bedankte.
Deutschland und Bremen sind für Zeynep Sümer längst zur zweiten Heimat geworden. „Ich lebe hier, meine Tochter und meine Enkelin auch. Ich gehöre hierher und hier fühle ich mich sicher. Aber geprägt wurde ich als Türkin, und ich bin auch Bulgarien noch immer tief verbunden“, sagt die 80-Jährige. Zwar sei sie einst, wie viele andere auch, als Gastarbeiterin nach Deutschland gekommen, aber: „Wir waren aber keine Gäste. Deutschland dachte, wir sind nur vorübergehend da. Deshalb wurde nicht so viel für die Integration getan. Wir sind die erste Generation – die verloren gegangene Generation. Für uns wurde gar nichts gemacht, wir konnten die Sprache nicht lernen und als die ersten Bemühungen kamen, war es zu spät.“
Damit es in Zukunft besser läuft, setzt sich Sümer über das Zis und die Seniorenvertretung für die Schaffung von mehr interkulturellen Treffpunkten und interkulturellen Tagesstätten für ältere Menschen ein. Sie ist überzeugt: „Wir brauchen mehr Teilhabe und Partizipation in den Vertretungen, Vereinen und Stadtteilbeiräten und bei der Mitgestaltung der Stadtteile und Quartiere.“