Nur ein Klassenzug pro Jahrgang, weniger als zwanzig Kinder in einer Klasse: So etwas gibt es nicht nur irgendwo auf dem Land. Mit ihren insgesamt 125 Schülern und einem Kollegium von gerade einmal 18 Lehrkräften ist die Mentor-Schule ein Zwerg unter den städtischen Oberschulen. Doch für diese Überschaubarkeit schicken Eltern aus der ganzen Stadt ihre Kinder nach Gröpelingen. „Hier wird jeder gesehen“, sagt Schulleiter Michael Borchers. In diesen Tagen feierte die Privatschule am Schwarzen Weg ihr 60-jähriges Bestehen.
Eine Schule aus der Not geboren
Ein Labyrinth aus Schulfluren gibt es hier nicht. Und selbst wenn alle gleichzeitig zusammenkommen, ist es gut vorstellbar, dass jede Lehrerin, jeder Lehrer und die Mitarbeitenden der Schulverwaltung sämtliche Gesichter und Namen der Kinder und Jugendlichen kennen – und umgekehrt sicher sowieso. Das Schulgebäude ist umgeben von den Einrichtungen des Sozialwerks der Freien Christengemeinde. Auf dem ehemaligen Gelände der Tirpitz-Kaserne entwickelte sich ein generationsübergreifender Campus mit Kindertagesstätte, Einrichtungen für Senioren und psychisch erkrankte Menschen, mit handwerklichen und hauswirtschaftlichen Werkstätten, und einem Freigelände, das allen gehört. „Hier kommen die Schülerinnen und Schüler in Kontakt mit dem ganzen Spektrum der Gesellschaft“, erklärt Dorothea Salzmann-Schimkus, Sprecherin des Sozialwerks. „Hier lernt man Toleranz.“

Gründer der Privatschule Mentor Hans-Joachim Kranzfelder (rechts) mit Lehrer Uwe Bornschein.
Die Schule wurde einst „aus der Not geboren“, berichtet Vorstand Matthias Bonkowski. Die Schulchronik berichtet, dass Gründer Hans-Joachim Kranzfelder (1922 -2000) im Zweiten Weltkrieg einen Arm verloren hatte, und daher nicht mehr als Arzt praktizieren konnte. „Er gab in seiner Nachbarschaft Kindern Nachhilfeunterricht. Dies traf auf so großen Anklang und wurde dermaßen nachgefragt, dass die Idee entstand, eine Schule zu gründen“, erklärt Bonkowski.
Im Jahr 1961 eröffnete Kranzfelder sein privates Lehrinstitut, und benannte es nach dem weisen und wohlwollenden Lehrmeister Mentor aus Homers Odyssee. Nach Stationen in Schwachhausen, Am Wall, Am Brill, im Stephaniviertel und an der Schlachte zog die Schule schließlich auf das Areal der Findorffer Plantage. Dort hätte die Geschichte der Schule auch enden können: Von den einst bis zu 240 Schülerinnen und Schülern waren irgendwann nur noch etwas mehr als vierzig übrig geblieben, die Schule stand vor dem Konkurs.
Digitale Tafeln in den Klassenzimmern sind Standard
Die Rettung kam mit dem Sozialwerk, das 1988 die Trägerschaft übernahm. 1994 erhielt die Schule ihre staatlich anerkannte gymnasiale Oberstufe. Im Jahr 1998 erwarb das Sozialwerk das rund 35.000 Quadratmeter große Tirpitz-Gelände mit dem Vorhaben, dort sein „Christliches Bildungs- und Sozialzentrum West“ zu errichten. Zwei Jahre später bezog die Mentor-Schule ihren heutigen Standort.
Im Jahr 2017 wurde die Privatschule Mentor von einer Gesamt- zu einer Oberschule, in der sämtliche Schulabschlüsse möglich sind. Für das Abitur lässt man den Jugendlichen hier ein Jahr mehr Zeit. Privatschule – das bedeutet aber auch monatliches Schulgeld – regulär knapp 300 Euro im Monat, die nach Antrag ermäßigt werden können. „Das ist den Eltern die Bildung ihrer Kinder wert“, sagt Salzmann-Schimkus.

Bis zum Jahr 2000 hatte die Privatschule Mentor ihren Standort an der Findorffer Plantage.
In früheren Zeiten war die Privatschule Mentor die Schule für Kinder und Jugendliche, die mehr und intensivere Unterstützung brauchten, als sie an den staatlichen Schulen erhielten. „Wir waren früher die Schule der zweiten Chance“, sagt Borchers. „Jetzt sind wir für viele die Bildungsalternative der ersten Wahl“. Im Bereich der Digitalisierung sei man vielen anderen Schulen voraus – digitale Tafeln in den Klassenzimmern sind Standard, alle Schülerinnen und Schüler arbeiten an Notebooks.
Pädagogischer Fokus auf Förderung von Kernkompetenzen
Statt sich mit spezialisierten Fachrichtungen abzuheben, richte man den pädagogischen Fokus auf die gezielte Förderung der Kernkompetenzen. Zum Lehrplan gehören Praktika in den Einrichtungen und Werkstätten des Sozialwerks, in denen berufliche und soziale Kompetenzen gleichermaßen gefördert werden.
Die Schule bekennt sich zu christlichen Werten und versteht darunter Werte, die von vielen Glaubensrichtungen geteilt werden – und die auch von vielen muslimischen Eltern geschätzt werden, berichtet Salzmann-Schimkus: zum Beispiel, dass die Stärkeren die Schwächeren unterstützen sollten. „In Lerngruppen lernen die Kinder schon früh, sich gegenseitig zu helfen“, erklärt Borchers, der 2003 als Sport- und Englischlehrer an die Schule kam, blieb, und vor drei Jahren die Leitung übernahm. „Wir sind eine ganz normale Schule“, sagt der Pädagoge. „Was uns unterscheidet: Hier gibt es von allem weniger – weniger Konflikte, weniger Stress, weniger Probleme. Bei uns geht es entspannter zu.“