Videokonferenzen seien immer so unpersönlich, heißt es oft. Von der am Mittwoch online abgehaltenen Sitzung des Gröpelinger Bildungsausschusses lässt sich das nicht behaupten. Die Bestürzung, die das dort Gesagte bei allen Zugeschalteten auslöste, war förmlich durch den Computerbildschirm hindurch zu spüren. Fachausschusssprecher Martin Reinekehr (SPD) war er erste, der sich schließlich äußerte: „Ich bin ja einiges gewohnt. Aber das macht mich sprachlos.“
Es ging in der Sitzung um nicht weniger als die Zukunft junger Gröpelingerinnen und Gröpelinger: Auf Einladung der Bildungspolitiker berichteten Leiterinnen und Leiter mehrerer Grund- und Oberschulen im Stadtteil aus ihrem Berufsalltag. Dabei war von immer mehr Grundschülern zu hören, die – obwohl hier geboren – nicht die deutsche Sprache sprechen, die keine Kita besucht und nicht gelernt haben, zuzuhören. Von Kindern, die traumatisiert oder sozial-emotional auffällig sind oder aus unterschiedlichen Kulturkreisen „mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen und Wertesystemen“ kommen. Kinder, denen zu Hause Strukturen fehlen oder die „einfach Hunger haben“. „Tolle Kinder“, sind sich Schulleiterin Angela Heidrich von der Grundschule am Halmerweg und Thomas Murken von der Grundschule am Pastorenweg einig, „die trotz ihrer Bedürftigkeit Fähigkeiten mitbringen, die wir stärken müssten. Wir sind aber völlig verzweifelt, weil wir ihnen nicht gerecht werden können.“
Denn die Rahmenbedingungen, unter denen mittlerweile an den Einrichtungen gearbeitet wird, sind alarmierend: Viele Lehrerkollegien sind unterbesetzt und haben einen hohen Krankenstand; es fehlen Klassenleitungen, Assistenzkräfte, Sozial- und Sonderpädagogen. Bürokratische Hürden und langwierige Prozesse verhindern nach Ansicht von Beobachtern außerdem nahezu, Unterstützung und Hilfe für Kinder zu bekommen.
Während sich die Kinder innerhalb weniger Tage nach den Sommerferien in dem tollen neuen Schulgebäude eingelebt hätten, sei bei den Lehrkräften aufgrund der angespannten Personalsituation die Freude über den Umzug in den Neubau leider getrübt worden, sagt auch Annekathrin Kelz, die die Grundschule an der Humannstraße leitet. Allein 45 Erzieherinnenstunden sind ihr zufolge an der Schule aktuell nicht besetzt. 80 Lehrerstunden und 34 Erzieherstunden fehlen auch an der Grundschule an der Oslebshauser Heerstraße aktuell. Und die Grundschule an der Fischerhuder Straße stößt derzeit vor allem räumlich an die Grenzen ihrer Kapazität, wie außerdem zu hören war.
Vor wenigen Tagen wurde mit einem Luftgewehr oder mit Stahlkugeln auf Fenster der Grundschule an der Humannstraße geschossen. Was Schulleiterin Kelz nach diesem ersten Vandalismusschaden am Neubau bedauernd feststellt: Dass es teilweise offenbar an Wertschätzung für die Schulen mangelt. Schulleiterin Angela Heidrich von der Grundschule am Halmerweg hat ähnliche Erfahrungen gemacht: „Von Juli 21 bis September 22 hatten wir acht Vandalismusfälle. Von Feuer über eingeschlagene Fenster, eingeschlagene Türen et cetera.“ Nach dem Einbruch in die Schule am Pastorenweg in den Osterferien (wir berichteten) kam es kürzlich zu einem Einbruchsversuch.
Auch an den Oberschulen fehlen Lehrkräfte, Assistenzen und insbesondere Sonderpädagogen. „Die Kollegen sind frustriert, krank und sehen kein Licht am Horizont“, beschreibt Schulleiterin Monika Steinhauer die Stimmungslage an der Oberschule im Park. „Egal, wo wir hingucken, herrscht Mangel. Das zehrt an den Nerven“, stimmt Rüdiger Vincenz von der Neuen Oberschule Gröpelingen (NOG) zu. Einige Klassen hätten aktuell nicht einmal die Hälfte der ihnen zustehenden Sonderpädagogenstellen, berichtet er: „Und auch drei genehmigte Schulbegleitungen fehlen.“ Kürzlich habe die Behörde außerdem mitgeteilt, dass sich der Sozialindikator – der über Budgets, Klassenstärken und Personalbedarf mitentscheidet – von 5 auf 4 verbessert habe: „Wir bekommen damit also zwei Schüler mehr pro Klasse.“ Auch an der ebenfalls unterbesetzten GSW fehlen laut Schulleiter Matthias Schmuhl Assistenzkräfte. „Das betrifft auch Kinder, die man gar nicht alleine lassen kann. Was dazu führt, dass wir Lehrkräfte einsetzen, die dann woanders fehlen.“
All dies, bedauern wohl nicht nur Angela Heidrich und Thomas Murken, „ist in unseren Schulen Alltag und wird hingenommen. Und zwar mit dem Wissen, dass jetzt schon zehn Prozent der Jugendlichen in Bremen – in Gröpelingen sind es bestimmt noch viel mehr – ohne Schulabschluss die Schulen verlassen. Wie viel Prozent sind es wohl in fünf bis sechs Jahren?“ Auch Beiratspolitiker Lutz Liffers (Grüne) stimmen die Berichte der Schulleitungen nachdenklich: „Man muss den Eindruck haben, dass es nicht gewünscht ist, dass man ernsthafte Bildungsgerechtigkeit herstellt.“
Die Gröpelinger Stadtteilpolitiker sind sich fraktionsübergreifend einig: Es muss dringend etwas passieren. „Wir haben uns immer um den Bau von mehr Kitas und Schulen gekümmert. Aber es nützt nichts, wenn man nicht das Fachpersonal hat. Wir müssen bevorzugt werden“, sagt Beiratssprecherin Barbara Wulff (SPD). Liffers ergänzt: „Die sozial-emotionalen Defizite bei Kindern und Jugendlichen sind immer auffälliger. Das hat zwei Ursachen: Die Migration hat sich verändert, Kinder steigen quer in unser Bildungssystem ein und Bildungswege verlaufen immer weniger so, wie wir es uns denken mit Kita, Grundschule, Oberschule. Außerdem geht die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auf, und viele Kinder kennen nichts anderes als die Armut um sie herum und finden untereinander wenig Alternativen und Vorbilder. Wir müssen deutlich machen, dass wir damit nicht zufrieden sind.“
Eine entscheidende Rolle könnte dabei der Sozialindikator spielen. Dieser müsse bei der Zuteilung von Mitteln und Personal eine deutlich größere Rolle spielen als bislang, ist Liffers überzeugt. Der Vandalismus an Schulen habe Gründe, meint er außerdem: „Das hört alles erst auf, wenn es uns gelingt, mehr soziale Gerechtigkeit und Bildungsgerechtigkeit herzustellen.“