Vermutlich alle Kinder – und auch viele Erwachsene – lieben sie: Die magischen Schaufenster mit bewegten märchenhaften Szenen, die es alljährlich zur Weihnachtszeit in den großen Kaufhäusern zu bestaunen gibt. Wie funktioniert so etwas eigentlich? Diese Frage beschäftigt in diesem Schuljahr einige Sechst- und Siebtklässler an der Gesamtschule West (GSW), die sich fragen: Wie lässt man ein Einhorn durch die Luft fliegen, Drachen hinter einem Felsen auftauchen oder einen Haarzopf von einem hohen Turm hinabgleiten?
Die Mädchen und Jungen wollen nämlich im Zuge des Projekts „Faszination Automation“ eigene automatische Schaukästen entwerfen und bauen, in denen jeweils eine Szene aus einem Buch zu sehen ist – und zwar mit allem, was dazu gehört: Sich bewegenden Figuren, Licht-, Video- und Audioeffekten. „Am Ende soll es so sein, dass das Ganze mit einem wie auch immer gearteten Schalter gestartet wird“, erklärt die Gröpelinger Grafik-Designerin und Medienpädagogin Tatjana Blaar, die das Projekt entwickelt hat und es gemeinsam mit Mediengestalter und Webprogrammierer Pierre Hansen leitet: „Im Moment sind wir im Mechanik-Thema drin, später kommt dann noch das Programmier-Thema dran.“
Fliegendes Einhorn
Chiara und Lisa zum Beispiel wollen eine Szene aus dem Buch „Abenteuer in der Megaworld“ nachbauen. Ihr Schaukasten soll vier Kinder zeigen, denen in einem Erlebnispark ein fliegendes Einhorn begegnet. Das Einhorn wird an einer Seilbahn durch die Luft schweben. Gerade sind die beiden Mädchen dabei, aus Pappe ein Laufband zu konstruieren, auf dem die vier Figuren dann mithilfe von zwei Walzen in Bewegung gesetzt werden.
Am Nachbartisch suchen Batuhan und Mads nach einer technischen Lösung für ihre Szene aus einer Neufassung des Märchens „Rapunzel“. Das Mädchen ist in einem Turm gefangen, in den man nur gelangt, indem man an ihrem langen Haar hinaufsteigt. Im Schaukasten soll Rapunzel ihr Haar hinabgleiten lassen. Dabei kommt eine Winde zum Einsatz. „Durch die Schwerkraft wickelt sich der Zopf von alleine ab“, sagt Mads. „Aber er soll nicht einfach fallen, sondern gleiten.“ Mit Unterstützung von Pierre Hansen versuchen die Jungen, mehrere Zahnräder einzubauen, die den Prozess verlangsamen sollen. Die zweite Herausforderung, vor der sie stehen: Sobald es im Schaukasten dunkel wird und die Szene sich wieder auf Anfang stellt, muss der Zopf auch wieder aufgewickelt werden.
Erst die Theorie, dann die Praxis
Kendra wiederum baut gerade aus Legoteilen ein Gestell zusammen, über das für ihre Szene zu „Lilli Luck: Da lachen ja die Drachen“ aus einer waagerechten Drehung eine senkrechte Bewegung entstehen soll. „Das Schwierige an meiner Szene ist, dass nicht alle drei Drachen gleichzeitig hochkommen sollen“, sagt sie.
Bevor es ans Bauen ging, war die Theorie dran: Nachdem sie ihren Erzählstoff gefunden hatten, fertigten die Mädchen und Jungen Skizzen dazu an, was in ihren Schaukästen zu sehen sein soll. Alles wurde in Originalgröße gezeichnet, ausgeschnitten und auf großen Bögen Papier platziert. Im nächsten Schritt wurden diese Entwürfe dann in Kartons umgesiedelt, die ungefähr der angestrebten Größe entsprechen, schildert Blaar: „Da haben einige ganz schön geschluckt, weil ihnen nicht so klar war, wie groß die Sachen am Ende werden.“
Mit der sogenannten Kanban-Methode wurden dann sämtliche anfallenden Aufgaben für jeden Schaukasten in kleine Schritte geteilt, die nun nacheinander abgearbeitet werden müssen. Auf diese Weise lernen die Kinder, wie man ein Projekt strukturiert und gliedert. Im September sollen die Schaukästen fertig sein und ausgestellt werden. Dann werden sich wohl auch Mitarbeiter der Bremischen Landesmedienanstalt (Brema) die Arbeiten genau ansehen. Denn: Das Konzept für „Faszination Automation“ ist voriges Jahr von der Brema mit dem Medienkompetenzpreis „Das Ruder“ ausgezeichnet worden.
„Die Projektidee verbindet in wunderbarer Weise verschiedenste Prozesse: Making, Coding, Umgang mit Elektronik und Robotik, Audio und Video ebenso wie Fehlerkultur, Teamfähigkeit und sicherlich viel Freude daran, eine Geschichte zum Leben zu erwecken. So fördert das Projekt ganz wichtige Medienkompetenzen für die moderne Arbeitswelt“, hatte Radio-Bremen-Intendantin Yvette Gerner in ihrer Laudatio unterstrichen.