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Online-Befragung Erschwerte Bedingungen und mehr Arbeitsbelastung

Wie geht es den Haupt- und Ehrenamtlichen, die andere Menschen unterstützen und sie beraten? Dieser Frage ist eine Studie nachgegangen, deren erste Ergebnisse nun in Gröpelingen vorgestellt wurden.
01.12.2022, 00:10 Uhr
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Erschwerte Bedingungen und mehr Arbeitsbelastung
Von Anne Gerling

Das Hilfesystem der sozial beratenden Einrichtungen ist überlastet – erst recht in Stadtteilen wie Gröpelingen, wo aufgrund der ohnehin ungünstigen Sozialstruktur und vermehrten Zuwanderung der Hilfebedarf hoch ist: Das zeigen die Ergebnisse einer Befragung zum Thema "Soziale Beratung in Krisenzeiten – ist das Hilfesystem am Limit?", die der Präventionsrat West in Kooperation mit der Hochschule Bremen, dem Nachbarschaftshaus Helene Kaisen (Na‘) und dem Bürgerinformationsservice (BIS) zwischen August und Oktober durchgeführt hat. Die ersten Untersuchungsergebnisse haben die Politikwissenschaftlerin und Hochschulprofessorin Silke Bothfeld und Kim Isabel Rathjen, die den Präventionsrat West koordiniert, am Dienstagabend im Nachbarschaftshaus Helene Kaisen (Na‘) vorgestellt.

Gute Beteiligung

Ziel war es, Beschäftigte im Hilfesystem nach ihren Arbeitsbedingungen, den besonderen Anforderungen durch die Pandemie, neuen Organisationsformen der Arbeit und ihren Wünschen an die Politik zu befragen. Rund 400 Menschen, die haupt- oder ehrenamtlich in Vereinen, Verbänden oder im öffentlichen Dienst tätig sind und aus eigener direkter Erfahrung über Unterstützungsangebote berichten können, wurden dafür über verschiedene Netzwerke und Verteiler angeschrieben. 234 Personen schickten ganz oder teilweise ausgefüllte Fragebögen zurück.

75 davon wurden vollständig beantwortet und sind in die Analyse eingeflossen. Etwa die Hälfte der Teilnehmenden arbeitet im Bremer Westen, der überwiegende Teil davon (68 Prozent) sind Sozialarbeiter, Sozialpädagoginnen, Erzieher oder Erziehungswissenschaftlerinnen.

Zusätzliche Arbeitsbelastung

Was die Untersuchung zeigt: Dass schon vor der Pandemie die Arbeitsbedingungen für die Helfenden vor Ort in den beratenden Einrichtungen nicht optimal waren, sich die Situation aber mit Corona noch verschärft hat: Für 77 Prozent der Befragten hat die Pandemie zusätzliche Arbeitsbelastungen mit sich gebracht.

Als einer der Hauptgründe dafür wurde dabei insbesondere die Erreichbarkeit anderer Ansprechpartner bei Behörden oder in Einrichtungen angegeben. Nur 14 beziehungsweise 15 Prozent der Befragten bewerteten zum Beispiel die Zusammenarbeit mit dem Migrationsamt beziehungsweise mit dem Jobcenter in der Corona-Anfangszeit als sehr gut bis gut. Die Kooperation mit dem Jugendamt und dem Amt für Soziale Dienste wurde von etwa einem Drittel der Befragten als befriedigend oder besser bewertet.

Sorge um Menschen

„Die Arbeit des Jobcenters machen jetzt wir. Zu mir kommen Leute aus Huchting, Tenever und der Vahr, weil sie gar nicht wissen, wo sie da hin sollen. Die Menschen gehen zugrunde und werden psychisch krank, das macht mir große Sorgen“, beschreibt die Mitarbeiterin einer Beratungsstelle in Gröpelingen die Folgen. Sie unterstreicht aber auch: „Die Jobcenter-Mitarbeiter arbeiten genauso viel wie wir. Ab 2015 hatten wir 13.000 Geflüchtete in vier Jahren, jetzt sind 10.000 Menschen aus der Ukraine in drei Monaten gekommen. Man kann sich ausrechnen, dass das Hilfesystem zusammenbrechen muss. Ich möchte deshalb für ein Miteinander plädieren und als Handlungsempfehlung an die Politik geben: Warum hat ein Jobcenter-Vermittler 400 bis 500 Kunden zu versorgen? Das kann nicht funktionieren, und so kommt man nicht an Fachkräfte. Um die heranzuziehen, braucht ein Vermittler Zeit, um sich die Menschen anzugucken.“

Keine Leistungen

„Ich weiß manchmal nicht, wo ich anfangen soll, weil ich die Behörde manchmal nicht erreiche“, schilderte wiederum die Mitarbeiterin einer Beratungsstelle in der Überseestadt: „Für die Menschen, die zu mir kommen, ist das eine Katastrophe, weil sie keine Leistungen bekommen.“

In den Einrichtungen wurden Hygieneregeln eingeführt, was ebenfalls zusätzliche Belastungen bedeutete. Auch die „Zwangs-Digitalisierung“ war für manche Helfende offenbar Fluch und Segen zugleich. Die Umstellung auf digitale Kita-Anmeldungen etwa sei eine „Vollkatastrophe“, berichtete eine Beschäftigte. Ähnlich verhält es sich mit dem Antrag auf Arbeitslosenhilfe, der nur noch online ausgefüllt werden könne. Wenn dann der Rechner abstürze, gingen sämtliche Eingaben verloren. „Das bedeutet für mich einen erhöhten Arbeitsaufwand, und die Leute werden damit sozusagen abhängig von Beratungsangeboten.“

Hoher Grad an Frustration

Die enorme Belastung während der Pandemie hat der Untersuchung zufolge bei 84 Prozent der Befragten zu einem hohen Grad an Frustration geführt, weil sie Aufgaben nicht mehr so erledigen konnten wie gewohnt. 72 Prozent gaben an, zumindest teilweise Motivationsprobleme gehabt zu haben. Bothfeld: „Dass in einer Profession, wo der Beruf geliebt wird und wo man helfen möchte, Frustration kommt, hat uns überrascht.“ Die komplette wissenschaftliche Ausarbeitung inklusive Handlungsempfehlungen soll im Frühjahr vorliegen.

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