Vor 38 Jahren wurde der Arbeiterverein Use Akschen gegründet. Seither treffen sich die Mitglieder mindestens einmal pro Jahr, und es gibt noch immer viel zu erzählen. Bei der diesjährigen Jahreshauptversammlung waren alle anwesenden Augen vor allem auf einen besonders dicken Brocken gerichtet: Auf das fast eineinhalb Kilo schwere, mehr als 220 Seiten starke Buch von Frauke Wilhelm können nicht nur die Autorin selbst, sondern auch viele Vereinsmitglieder stolz sein. Dass es so umfassend und spannend wurde, wie es ist: Dazu haben sie persönlich viel beigetragen.
„Stahlschnitt, Schweißer, Stapellauf“ lautet der Titel des Buchs, das vor einigen Wochen erschienen ist – und der Vorrat wird kleiner. Rund 150 Exemplare wurden alleine für die Vereinsmitglieder bestellt. Die Idee dazu entstand aus einer ungewöhnlichen Perspektive, berichtete Wilhelm, die viele Bremerinnen und Bremer auch als Golden City-Wirtin Ramona Ariola kennen. In den Jahren 2018 und 2019 war die temporäre Hafenkneipe am Lankenauer Höft vor Anker gegangen und hatte das Gröpelinger Panorama damit täglich vor Augen. „Ich wollte mehr erfahren über den Ort, an dem früher die riesigen Tanker gebaut wurden“, erklärte die Kulturpädagogin, Schauspielerin und Musikerin. Ihr erster Weg führte im Frühjahr 2019 zum Use-Akschen-Vereinsheim an der Hermann-Prüser-Straße. Es folgten mehrere Erzählcafés im Golden City und schließlich eine Abschlussveranstaltung, bei der eine Auswahl der Erzählungen im Rahmen einer Ton-Bild-Collage präsentiert wurden. Doch das sollte nur der Anfang sein.
Im Herzen verankert
Die Hafenbar platzte an diesem Abend aus allen Nähten, und fast 50 Gäste mussten aus Platzmangel abgewiesen werden, erinnerte sich Wilhelm. „Da wurde mir erst klar, wie stark dieses Thema im Herzen der Bremer verankert ist.“ Ihr Buch ist mehr als eine Chronik über den Beginn, Aufstieg und Fall einer Werft von Weltrang. Es zeigt viele bislang unveröffentlichte Fotos aus den privaten Alben der Beschäftigten und spektakuläre Aufnahmen aus den Archiven professioneller Industriefotografen wie Hans Brockmöller und Werner Krysl: Bilder, die eindrucksvoll zeigen, was die Belegschaft leistete und welche gigantischen Projekte gestemmt wurden. Vor allem aber kommen diejenigen zu Wort, die aus erster Hand berichten können: Unzensiert, ungeschönt und wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, erzählen sie über ihre Arbeitszeit in der Werft, und auch darüber, wie sie selbst den Untergang eines Unternehmens erlebten, das sie bis zuletzt für unsinkbar hielten. Da wird ordentlich geschimpft auf die Politik und „den Krupp“, die die Bremer Werft ins Messer laufen ließen. „Diese Wut – sie hat mich schwer beeindruckt“, sagt Wilhelm.
Noch immer kann sich Herbert Kienke aufregen, wenn er irgendwo liest, dass die AG Weser pleite gegangen sei. Erst kürzlich habe er wieder einen Verfasser angerufen, um dieses gängige Narrativ richtigzustellen, erzählte der erste Vorsitzende des Vereins, den er liebevoll als „richtigen Haufen“ bezeichnet. Von den rund 300 Mitgliedern der Anfangszeit sind noch knapp 150 geblieben – vom Schlosser bis zum Ingenieur, vom Feuerwehrmann bis zum Sicherheitsbeauftragten, im Alter zwischen Anfang 70 und Mitte 90. Jeden Mittwochnachmittag und an jedem ersten Sonntag im Monat trifft man sich in den Räumen im Lichthaus. Für die jährlichen Hauptversammlungen reisen manche ehemaligen Kolleginnen und Kollegen aus der gesamten Republik an, erzählt der 79-jährige ehemalige Schweißer und Schiffbauer, der im Jahr 2009 mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet wurde. Ihre Zeit auf der Werft hat sie für immer zusammengeschweißt.
Spezialistinnen und Spezialisten
Der Verein wurde gegründet, um die Interessen der vormaligen Kolleginnen und Kollegen zu vertreten, die auf dem Trockenen saßen: Es war, so Wilhelm, eine „Olympiamannschaft“ an Spezialistinnen und Spezialisten, die ihren Arbeitsplatz verloren hatten. Die Tatsache, dass der Verein nicht nur einen Schatz an persönlichen Erinnerungen, sondern auch wichtige Dokumente, technische Unterlagen und Chroniken aus dem AG Weser-Archiv hütet, ist aber auch für künftige Generationen von Relevanz und Interesse geblieben. So habe im vergangenen Jahr eine fast 30-köpfige Gruppe von schwäbischen Metallfacharbeitern dem Vereinsheim einen Besuch abgestattet. „Die wollten mehr über die AG Weser wissen“, erzählte Kienke bei seinem Jahresbericht. Auch die Berliner Doktorandin der Sozialgeschichte, die Düsseldorfer Autorin, der Kapitän aus den Vereinigten Staaten und der Professor für Militärgeschichte aus Marokko („muss man sich mal vorstellen!“, sagt der Vorsitzende) hatten um Informationen und Unterlagen für ihre jeweiligen Arbeits- und Interessensgebiete angefragt, diese auch erhalten und große Dankbarkeit und Wertschätzung zurückgemeldet.
„Wir sind nach 38 Jahren immer noch am Ball“, so Kienke. Im laufenden Jahr wird der Verein sich zusätzlich mit den Vorbereitungen für ein kommendes Großereignis beschäftigen: Im September 2023 wird das 40-jährige Vereinsbestehen gefeiert. Ort der Jubiläumsfestlichkeit ist das Werkstattgelände am Ufer des Pier 3. Dort macht es seit einigen Jahren das moderne Innside-Hotel seinen Gästen ungleich komfortabler. Doch die Kolleginnen und Kollegen von Use Akschen, betonte Hotelmanager Frank Bauchwitz, sollen sich dort jederzeit ganz in ihrem Element fühlen.