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Ökumenisches Wohnheim Überraschendes Denkmal an der Vahrer Straße

Das ökumenische Wohnheim in der Vahrer Straße war ein Ort der Toleranz und der Völkerverständigung. Eine Recherche zum denkmalgeschützten brutalistischen Gebäude, das inzwischen einen neuen Besitzer hat.
17.07.2025, 05:00 Uhr
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Überraschendes Denkmal an der Vahrer Straße
Von Christian Hasemann

Die Vahr ist einer der jüngsten Stadtteile Bremens, Teile wie die Gartenstadt Vahr und die Neue Vahr sind in den 1950er- und 1960er-Jahren auf der grünen Wiese aus dem Boden gestampft worden. Zweckbauten, nicht denkmalwürdig, möchte man meinen. Zur selben Zeit wurde direkt am Rande der Vahr – allerdings bereits im Hemelinger Ortsteil Sebaldsbrück – das ökumenische Wohnheim hochgezogen, ein wenig bekanntes Denkmal mit einer bewegten und besonderen Geschichte der Völkerverständigung.

In den Archiven: Völkerverständigung als Zweck

1960 veröffentlichte der WESER-KURIER die ersten Informationen über den geplanten Bau eines ökumenischen Wohnheims an der Vahrer Straße. Am Freitag, 5. Februar 1960, haben demnach Pastor Gerhard Bergner von der Norddeutschen Mission und Erich Zander, Vorsitzender des Vereins Ökumenisches Wohnheim und ehemaliger CDU-Innensenator, mitgeteilt, dass der Bau des Wohnheimes sicher sei. Möglich machte dies die Schenkung des Grundstücks durch die Evangelische Kirche Bremen. Erklärtes Ziel des Wohnheims: Vorurteile gegenüber ausländischen Studenten abbauen und Toleranz fördern.

Zander in dem Artikel: "Was sie in unserem Land erleben müssen, ist oft geradezu alarmierend und schadet dem Ansehen unseres Volkes." K.A. war damals eine gängige Abkürzung in Wohnungsannoncen, übersetzt: keine Ausländer. Zanders Vergangenheit lässt Toleranz und Völkerverständigung eher nicht vermuten – während der NS-Zeit arbeitete er als Staatsanwalt am Sondergericht in Bremen und war seit 1933 Mitglied der NSDAP. Dutzende Male wurde von diesem Gericht die Todesstrafe ausgesprochen. 1947 wurde Zander als Mitläufer entnazifiziert und trat 1955 der CDU bei.

Die Planungen in Bremen sahen ein Wohnheim bestehend aus drei miteinander verbundenen Gebäudeblöcken für insgesamt 72 Studenten vor. Dort sollten ausländische und deutsche Studenten und Praktikanten leben. Entworfen wurde das Gebäude vom Architekten Carsten Schröck, der in seinem Entwurf für je zwölf Studenten einen Gemeinschaftsraum und eine Teeküche vorsah. Die Baukosten wurden 1960 auf 720.000 Deutsche Mark beziffert.

Die Bauarbeiten schritten offenbar gut voran. Schon im September 1961 konnte das Richtfest gefeiert werden. In einem Artikel wird erneut Zander zitiert. "In diesem Haus wird niemals jemand wegen seiner Hautfarbe gedemütigt werden." Laut des damaligen Redakteurs habe eine Welle der Zustimmung den Baubeginn begleitet, denn das Wohnheim sei ein vorbildliches Beispiel.

Küche als Mittelpunkt des studentischen Lebens

Im Juni 1962 war das Gebäude dann bereits zu zwei Dritteln bezogen. Der Weser-Kurier titelte damals mit "Spaghetti an der Küchenfliese". Ein Treffpunkt der jungen Bewohner war offenbar die Küche. So heißt es in dem Text: "In den Küchen hocken die Deutschen mit den Chinesen, Ganaern, Indern und Ägyptern einträchtig um die Kochtöpfe herum, geben sich gegenseitig gute Tips und schnüffeln reihum an der riesigen Gewürzflasche, die der junge Chinese Soolong Lim aus Singapur in die Hansestadt brachte."

In den Anfangsjahren lebten, so lässt sich in den Archiven nachverfolgen, vor allem Afrikaner und Inder in dem Wohnheim, gefolgt von arabischstämmigen Bewohnern. Die meisten besuchten demnach die Ingenieurschule in Bremen, andere waren Praktikanten in Bremer Betrieben.

Offenbar spielte sich das Leben in dem Wohnheim ein, zehn Jahre nach seiner Eröffnung folgt ein weiterer Artikel, der unter dem Titel "Die Hausordnung heißt Toleranz" das Leben in dem Haus beschreibt. Die paritätische Vergabe an deutsche und ausländische Studierende war 1972 aufgegeben worden. Zwei Drittel der 72 Zimmer wurden demnach an ausländische Studenten vergeben. Der Grund: Nach wie vor fanden diese schwer Zimmer in Bremen.

1984 ein Hinweis auf die Finanzierung: 318.907 Mark mussten für den Betrieb aufgebracht werden, die Hälfte davon kam von der Bremischen Evangelischen Kirche. Danach folgen nur wenige Artikel über das Wohnheim. Ab den 2000er-Jahren allerdings geriet das Wohnheim in finanzielle Schwierigkeiten, denn 2004 kürzte die Kirche den Zuschuss für die Unterkunft.

Der Trägerverein und damit das Wohnheim wurden im weiteren Verlauf von der Inneren Mission übernommen, die es ab 2014 weiterführte. In den vergangenen beiden Jahrzehnten wurde das Haus ehrenamtlich geleitet, unter anderem von dem in diesem Jahr verstorbenen Huchtinger Pastor Wulf Traugott Kruse. 2021 verkaufte die Innere Mission das Gebäude an einen Bremer Investor, nachdem nach und nach die letzten Studierenden auszogen und Wohnungen und Zimmer nicht erneut vermietet wurden. Seitdem steht das Haus leer.

Brutalistische Architektur mit Schutzstatus

Das ökumenische Wohnheim dürfte eines der am wenigsten bekannten Denkmäler in den umliegenden Quartieren sein. Fragt man in den Stadtteilen herum, kennt kaum einer das Wohnheim und noch weniger den Fakt, dass es unter Denkmalschutz steht. Das schlichte Exterieur aus Beton und Ziegel des zurückgesetzt liegenden Hauses lässt dies auch nicht auf den ersten Blick vermuten.

Ein verwittertes Schild an einem Stichweg weist auf das Wohnheim hin. Vor Ort kleine Erdhügel, mit Brombeeren überwachsen, dahinter schimmert himmelblau der Pool der Anlage durch das Gestrüpp. Am Gebäude selbst sind offenbar erste Entrümpelungsarbeiten gestartet, eine Schuttrutsche ist installiert. Schutt- und Müllcontainer sind zu erkennen, ansonsten gespenstische Ruhe, ein Schild warnt: Das Grundstück wird videoüberwacht.

Laut Denkmalliste der Bremer Landesdenkmalpflege ist das 2021 in die Liste aufgenommene Wohnheim Ausdruck der christlich-ökumenischen Bewegung nach dem Zweiten Weltkrieg. Die gewählten ästhetischen Ausdrucksmittel der Architektur seien als "brutalistisch" bekannt. Dieser Begriff leitet sich vom französischen Begriff "béton brut" ab und meint im Sinne eine "reine" oder auch "unverfälschte" Architektur, die die Baustoffe, wie zum Beispiel Stahl oder Beton sichtbar, also unverputzt, lässt". Das Prinzip der Verwendung "reiner" Materialien sowie die ästhetisch beabsichtigte Durchdringung von Außen- und Innenraum seien vom Architekten Schröck überzeugend und künstlerisch anspruchsvoll gelöst worden, heißt es weiter.

Neuer Eigentümer plant neue Nutzung

2021 wurde das Haus an einen Bremer Investor verkauft. Bei diesem handelt es sich um Lüder Kasten, Union Brauerei Bremen. Das Unternehmen hat in Bremen bereits mehrere denkmalgeschützte Gebäude gekauft und zu neuem Leben erweckt, unter anderem die Fabrikhallen von Wilkens Silberwarenmanufaktur in Hemelingen. Die Expertise, das Wohnheim zu sanieren und überhaupt wieder nutzbar zu machen, ist also vorhanden. Details verrät Kastens allerdings noch nicht. Nur, dass man in Absprache mit der Denkmalpflege sei und eine neue Nutzung mit einem sozialen Projekt geplant sei. Zuvor muss das Gebäude allerdings saniert werden.

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