Nur wer gut lesen kann, wird in der Schule erfolgreich sein können. Doch in den Hemelinger Schulen sieht es offenbar derzeit gerade beim Leseverständnis nicht gut aus. In der jüngsten Beiratssitzung haben Schulleiter aus dem Stadtteil Alarm geschlagen. Die Ortspolitiker des Hemelinger Beirats wollen nun nach Möglichkeiten suchen, mehr Ressourcen in die Hemelinger Schulen zu lenken.
Angesetzt war auf der Tagesordnung eigentlich nur ein kurzer Überblick über den Sprachstand der Schülerinnen und Schüler im Stadtteil, doch das, was die Schulen berichteten, schreckte den Beirat auf. Zunächst hatte Sylvia Rugen, Schulleiterin der Grundschule Glockenstraße, von dem Projekt „Mitsprache“ berichtet. Dieses soll Kinder unterstützen, deren Lesefähigkeiten nicht dem Regelstandard entsprechen. Trotz Corona sei das Projekt fortgesetzt worden, so Rugen. „Das Projekt war vorher schon immens wichtig, aber jetzt in Corona-Zeiten muss es unbedingt weitergehen.“ Mehr noch: Das Projekt sollte nicht nur weiterlaufen, sondern je nach Kapazität auch ausgebaut werden. Der Bedarf ist offensichtlich da und nicht gedeckt, so zumindest ließen sich auch die Worte von Carl Böhm deuten.
35 Prozent nicht mal Mindeststandard
Böhm ist stellvertretender Schulleiter an der Wilhelm-Olbers-Schule in Hemelingen. An der weiterführenden Schule wird zu Beginn des fünften Schuljahres der Kenntnisstand der Schülerinnen und Schüler ermittelt, mit der sogenannten Lale 5 (Lernausgangslagenerhebung in der 5. Jahrgangsstufe). „Seit zehn Jahren beobachten wir abnehmende Lesefähigkeiten.“ Er sei heilfroh, dass inzwischen mehr in die Grundschulen investiert werde. „Und es liegt sicherlich nicht an der Arbeit der Kollegen.“ Dennoch: „Wir haben Kinder, die den Regelstandard oder sogar den Mindeststandard nicht erreichen.“ Das sei ein Alarmsignal. „Und da müssen wir alle dran arbeiten.“
62 Prozent der Kinder hätten den Regelstandard bei der Lesefähigkeit zuletzt nicht erreicht. „Dieses Jahr erreichen 35 Prozent nicht mal den Mindeststandard und das ist alarmierend“, so Böhm. Ähnlich sehe es in Mathematik aus.
„Ich frage mich, ob die jetzt eingeleiteten Maßnahmen ausreichen und wann die Kinder diesen Rückstand noch aufholen sollen?“, sagte Ralf Bohr (Grüne). Quartiersmanagerin Heike Schilling ergänzte: „Das Thema ist so schwergewichtig, dass wir eine Sondersitzung halten sollten.“ Einige Einrichtungen beschrieben jetzt zur Corona-Zeit gar rückläufige Sprachkenntnisse.
Sylvia Rugen gab einen kleinen Einblick, wo die Probleme liegen: „Unsere Sozialpädagogen sind mit 73 Familien unserer Schule in Kontakt, Sonderpädagogen begleiten 60 Kinder, 86 unserer Kinder haben einen Sprachförderbedarf.“ Mathelabor, das Projekt Mitsprache, Leseboxen und Forscherstunden und zusätzliche Mathestunden - all dies ergänzt das schulische Angebot. „Aber es zahlt sich trotzdem nicht so aus, dass es für einige für den Regelstandard reicht.“ Rugens Forderung: „Die hohen Bedarfe der Kinder lassen sich mit einer Lehrkraft nicht mehr ausgleichen, es braucht eine qualifizierte Doppelbesetzung in den Klassen.“
Böhm bestätigte den Eindruck: „Es ist so drastisch wie dargestellt. Wir brauchen mehr Ressourcen.“ Es brauche eine dezidierte Lese- und Schreibförderung. „Wer nicht Lesen kann, wird keinen schulischen Erfolg haben.“ Eine Ursache sei, dass in den Elternhaushalten kaum oder gar nicht mehr gelesen werde.