"Was soll ich Zuhause? Herumsitzen und lesen?", fragt Uwe Martin und lacht bei der Vorstellung kurz auf. Nein, still sitzen war noch nie sein Ding, das wissen alle, die auch nur kurz mit ihm zu tun gehabt haben während seiner Amtszeit als Huchtinger Ortsamtsleiter. 2015 war nach 16 Jahren Schluss damit, Ruhestand, den er schon drei Jahre hinausgezögert hatte. "Ich dachte, der Ortsamtsleiterjob ist genau das, wo ich hingehöre, damit wollte ich eigentlich gar nicht aufhören", sagt Martin.
Mittlerweile habe er aber festgestellt: "Das hier ist noch besser." Damit meint der 74-Jährige sein Ehrenamt beim Projekt "Huchting hilft", das ihn seither voll in Beschlag genommen hat.
Arbeit in der Kleiderkammer
Ein Karton voller gespendeter Kindersachen ist eingetroffen: Warme Jacken, Pullis und Stiefel sind drin sowie ein paar Kuscheltiere und Puppen. Uwe Martin nimmt sie an der Tür in einem Flachbau neben dem Roland Center Empfang, dann geht es für ihn wieder ins Büro, das zeitgleich als Teeküche und Besprechungsraum dient.
Für den quirligen Pensionär ist die umgestaltete ehemalige Kita sein zweites Zuhause geworden. Gemeinsam mit anderen engagierten Menschen hat er 2015 angesichts der vielen neuen Geflüchteten im Stadtteil das Projekt "Huchting hilft" ins Leben gerufen – und arbeitet seither quasi Vollzeit in der wohl gemütlichsten Kleiderkammer der Stadt.
Es herrscht Kaufhausatmosphäre, auch wenn wegen Corona nur noch wenige angemeldete Personen zeitgleich das Angebot nutzen können: Es gibt eine Umkleidekabine, einzelne Abteilungen für Haushaltswaren, Herren-, Damen- und Kinderkleidung und eine Kinderspielecke für den wartenden Nachwuchs. Jeder kann kommen, jedes Teil kostet 50 Cent, "sonst ist die Wertschätzung dafür nicht da", zeigt sich Martin überzeugt.
Er ist jemand, der sich in Projekte reinkniet und darin wühlt, wie in frischer Gartenerde. Teambesprechungen, die Instandhaltung der Räume, die das Roland Center für einen symbolischen Euro Miete zur Verfügung stellt, Regale einräumen, Kundinnen und Kunden bedienen – Martin ist mittendrin und hält den Laden am Laufen. "Hier kommen unglaublich tolle Leute her, da sind viele Erlebnisse, die mich abends sehr zufrieden ins Bett fallen lassen.
Engagement für Huchting
Dass der pensionierte Ortsamtsleiter zu allzu viel Schlaf kommt, mag man kaum glauben. Denn die Leitung der Kleiderkammer ist nicht das einzige Ehrenamt, das er in Huchting bekleidet: Auch im Vorstand des Bürger- und Sozialzentrums engagiert er sich. "Eine ganz wichtige Institution für Huchting mit seinen vielen Anlaufstellen", sagt Martin.
Der Neubau der einzelnen Gebäude hat bereits begonnen und wird die kommenden Jahre noch weitere Aufmerksamkeit benötigen. Hinzu kommen dann noch eine neue Schule und Kita, die an der Amersfoorter Straße in das soziale Netzwerk eingebunden werden sollen.
Auch Zeit für seinen achtjährigen Enkelsohn nimmt er sich gerne. Meist aus der Ferne, der Kleine lebt in Rom. Aber als Opa ist er auch gerne Gastgeber, wenn das Enkelkind mittlerweile schon mal für mehrere Wochen nach Bremen kommt.
Fit mit dem Rad unterwegs
Und natürlich ist ihm auch weiterhin das Radfahren wichtig, die Tour an jedem Wochentag nach Huchting und zurück. "Der Weg ist toll und hält mich fit", ist Martin überzeugt. Und die Tour an der frischen Luft ist auch was für seine Seele: Er liebt den Geruch der Weser und die Fahrt durch den Park links der Weser, seinen Lieblingsort im Stadtteil.
Dass er die Stadtteilpolitik nicht mehr mitgestaltet, sondern nur noch aus der Ferne beobachtet, ist für ihn in Ordnung. "Das Schöne ist, dass niemand mehr zu mir kommt und sich beschwert", findet er rückblickend. Er kann nun selbst entscheiden, ob er zu Themen wie der Straßenbahnverlängerung etwas sagt oder nicht.
Mitmischen als Leidenschaft
Trotzdem sprudeln die Ideen und Gedanken weiterhin nur so aus dem Mann heraus. Das war in jungen Jahren so und wird sich wohl nicht mehr ändern. Warum auch? Er hat in der Vergangenheit schon oft bewiesen, dass er Gutes für sein Umfeld bewirken kann.
Nur ein paar Spuren, die er im Ostertor hinterlassen hat: Er ist 1972 Mitbegründer des bekannten Spielplatzes Robinsöhnchen gegenüber vom Stadttheater, das bis heute von einer Elterninitiative getragen wird. Damals war der Gründungsgedanke, dass Stadtentwicklung nur funktionieren kann, wenn die Menschen Treffpunkte vorfinden und Gestaltungsspielraum, um mitzumischen, erklärt Martin.
1981 gründete er zusammen mit anderen den Kultur- und Bildungsverein Ostertor (Kubo), in dessen Vorstand er bis heute aktiv geblieben ist. Ein weiterer Treffpunkt für den Stadtteil, diesmal auf kultureller Ebene. "Ich musste um viele Dinge kämpfen und mache gerne Dinge, wo ich mich selbst reinpacken kann", beschreibt Martin seinen Ansporn, immer weiterzumachen.
Und so steckt ganz viel Uwe Martin drin in Huchting. Und den Grund, warum der Mann, der im Ortsteil Peterswerder lebt, auch im Ruhestand noch seinem ehemaligen Arbeitsort so viel Aufmerksamkeit schenkt, klingt vom gelernten Werkzeugmacher ganz einfach: "Hier weiß ich einfach, wo ich den Schraubenzieher ansetzen muss."