Ärzte warnen davor, dass mit steigenden Corona-Infektionszahlen bald Engpässe in den Krankenhäusern entstehen könnten. Grund dafür sei der akute Pflegekräftemangel, der den Kliniken bereits vor der Corona-Pandemie zugesetzt habe. „Das Personal kann zum limitierenden Faktor bei den betreibbaren Betten auf den regulären und den Intensivstationen werden“, sagt Martin Langenbeck dem WESER-KURIER. Er ist Chefarzt der Notaufnahme im Bremer Rotes Kreuz Krankenhaus (RKK) und Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensiv- und Notfallmedizin.
Der Arzt geht davon aus, dass die Zahl der Covid-Patienten, die stationär behandelt werden müssen, zunächst weiter ansteigen wird – trotz Lockdown. Die Dynamik sei so, dass diese Patienten mit einem Zeitverzug von etwa zwei Wochen von der Infektion an in die Kliniken kämen. „Wenn wir optimistisch gerechnet davon ausgehen, dass die Lockdown-Maßnahmen bereits in etwa einer Woche greifen, hätten wir auch dann noch mindestens drei Wochen steigende Fallzahlen in den Kliniken“, betont Langenbeck.
Dabei gehe es nicht nur um die Intensivstationen, der Großteil der Covid-Patienten werde auf regulären Stationen behandelt. Dazu kämen Corona-Verdachtsfälle, die ebenfalls in den Kliniken versorgt würden. „Das bedeutet, Personal aus anderen Bereichen muss für die Behandlung der Covid-Patienten eingesetzt werden. Die personellen Kapazitäten sind jedoch endlich. Zusätzliches Pflegepersonal einzustellen scheitert, weil wir einen bundesweiten Fachkräftemangel haben. Alle Kliniken stehen vor dem Problem, und nicht erst seit Corona“, betont der Arzt. Nach acht Monaten Corona-Pandemie sei das Personal an der Belastungsgrenze. Krankheitsbedingte Ausfälle kämen hinzu, auch wegen Grippe und Erkältung.
Das Augenmerk dürfe zudem nicht nur auf Covid-19-Patienten liegen, es gebe viele andere schwerkranke Menschen, die akut und intensivmedizinisch in den Kliniken behandelt werden müssten. Um Versorgungsengpässe zu verhindern, bleibt aus Sicht des Bremer Arztes nur, bei steigenden Infektionszahlen den Regelbetrieb in den Kliniken herunterzufahren. Das würde bedeuten, dass wie im Frühjahr planbare Operationen verschoben würden.
Schulungen für Pflegekräfte
Auch bei Bremens größtem Krankenhausbetreiber, dem Klinikverbund Gesundheit Nord (Geno), ist der Pflegekräftemangel derzeit ein großes Thema: Was die reinen Kapazitäten an Betten und Räumen betreffe, seien die Häuser des Klinikverbunds gut aufgestellt. Viele zusätzliche Kapazitäten seien mit Pandemie-Beginn geschaffen worden, sagt Geno-Sprecherin Karen Matiszick. „Allerdings wird man dort nicht unbegrenzt Personal aus anderen Bereichen einsetzen können.“ In den Geno-Kliniken seien Pflegekräfte von anderen Stationen für den Umgang mit Beatmungsgeräten geschult worden. Ein Ersatz für die Fachweiterbildung seien diese Schulungen nicht, „sondern Vorkehrung dafür, dass wir es nicht anders schaffen könnten“.
Mit mehr Corona-Fällen in der Bevölkerung steigt auch das Infektionsrisiko für Pflegekräfte und Ärzte. In Belgien, wo die Corona-Lage außer Kontrolle geraten ist, müssen nach Angaben der „Ärzte-Zeitung“ in den völlig überlasteten Kliniken teilweise auch symptomfreie, aber infizierte Pflegekräfte eingesetzt werden. Ist das auch denkbar in Bremer Kliniken?
„Mitarbeiter, die positiv auf Corona getestet worden sind, dürfen nicht weiter arbeiten und bleiben zu Hause – auch dann, wenn sie keine Symptome haben“, sagt Geno-Sprecherin Matiszick. Sollten die Patientenzahlen weiter dramatisch ansteigen und die Versorgung nicht mehr anders sichergestellt werden, müsse man sich mit der Frage beschäftigen. Matiszick: „Aber: An diesem Punkt sind wir eindeutig noch nicht. Und eine solche Regelung würde nur dann zum Tragen kommen, wenn die Verhältnisse ähnlich katastrophal wären wie im Frühjahr in Italien oder dem Elsass.“
Bremens Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke) teilt die Sorge, dass steigende Corona-Infektionen zu personellen Engpässe in Kliniken führen könnten: „Fachkräftemangel ist ein breit diskutiertes Thema, das in der aktuellen Situation natürlich verschärft auftritt. Gerade im intensivmedizinischen Bereich, in dem Schulungen auch zum Umgang mit Beatmungsgeräten notwendig sind, limitiert das Personal irgendwann die Behandlungskapazitäten.“ Eine Umverteilung innerhalb oder auch über die Kliniken hinaus sei für Intensivstationen nicht immer ohne Weiteres möglich.