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Forderung des Leiters der Arbeitsagentur Bremer Unternehmen müssen sich mehr auf die Bewerber einstellen

Langzeitarbeitslosigkeit sei ein großes Problem in Bremen, sagt Joachim Ossmann, der seit April die Agentur für Arbeit in Bremen leitet. Deswegen müssten Firmen ihre Ansprüche zurückschrauben.
16.07.2018, 04:18 Uhr
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Bremer Unternehmen müssen sich mehr auf die Bewerber einstellen
Von Stefan Lakeband

Herr Ossmann, seit April sind Sie Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Bremen-Bremerhaven. An Ihrer alten Wirkungsstätte Nürnberg liegt die Arbeitslosenquote bei 5,2 Prozent, im Land Bremen hingegen bei 9,7. Haben Sie sich den Wechsel gut überlegt?

Joachim Ossmann: Natürlich! Ich kenne Nürnberg sehr gut und Bremen mittlerweile immer besser. Und ich kann sagen, die großstädtischen Probleme sind vergleichbar, nur in Bremen deutlich stärker ausgeprägt: Langzeitarbeitslosigkeit, junge Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchen, aber auch Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen, sind typische Herausforderungen. Da ist es egal, ob eine Stadt in Süd- oder Norddeutschland liegt.

Warum sind Sie dann nach Bremen gekommen?

Ich wollte eine große Arbeitsagentur leiten. Und Bremen bietet noch eine weitere Besonderheit: Als Stadtstaat hat man direkt mit dem Land zu tun, also auch dem Gesetzgeber. In Nürnberg war das nicht der Fall.

Ihr Vorgänger Götz von Einem hat gesagt, der Bremer Arbeitsmarkt sei eine Herausforderung. Wo liegt für Sie die größte Herausforderung?

Die allergrößte Herausforderung ist natürlich die hohe Arbeitslosigkeit. Bremen liegt weit über dem Bundesdurchschnitt von 5,0 Prozent. Bei uns werden drei Viertel aller Arbeitslosen vom Jobcenter betreut. Der Abbau der bestehenden Langzeitarbeitslosigkeit muss also im Schwerpunkt dort geschehen. Bei der Agentur für Arbeit kümmern wir uns darum, wie man Langzeitarbeitslosigkeit vermeiden kann. Je länger jemand ohne Job ist, desto schwieriger ist es, ihn wieder zu integrieren.

Was können Sie überhaupt dagegen tun?

Die Bundesregierung hat ein Vier-Milliarden-Euro-Programm beschlossen, um geförderte Jobs für Menschen zu schaffen, die schon länger als sechs Jahre ohne Arbeit sind. Auch in Bremen gibt es mit Lazlo und Pass solche Programme vom Land, durch die sozialversicherungspflichtige Stellen entstehen.

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In Bremen gibt es etwa 16.000 Langzeitarbeitslose. Davon wird nur ein kleiner Teil an solchen Programmen teilnehmen können.

Das ist richtig. Wir haben aber auch noch andere Möglichkeiten, um Langzeitarbeitslose zu fördern. So geben wir etwa Lohnkostenzuschüsse oder finanzieren Probearbeiten von Langzeitarbeitslosen. Dadurch können Unternehmer besser einschätzen, ob jemand in den Betrieb passt.

Mit welchen Instrumenten wollen Sie verhindern, dass es überhaupt zu Langzeitarbeitslosigkeit kommt?

Wir müssen die Menschen wieder an die Arbeit heranführen. Durch Praktika, Lohnkostenzuschüsse und Qualifizierungsmaßnahmen. Unser Fokus liegt auf Maßnahmen, an deren Ende ein Qualifikationsnachweis steht. In der Summe können sie sich zu einer abgeschlossenen Berufsausbildung addieren.

Ist das ein neues Konzept?

Nein, aber wir wollen unseren Fokus mehr darauf legen.

Die Konjunktur ist gerade auf Ihrer Seite und schafft Jobs. Eigentlich könnten Sie die Zeit zum Durchatmen nutzen.

Im Gegenteil. Arbeitgeber suchen jetzt dringend Auszubildende. Das ist eine Chance für die Jugendlichen, die früher nie eine Lehrstelle bekommen hätten. Deswegen appelliere ich auch immer an Arbeitgeber: Sie sollten auch schwächeren Schülern eine Chance geben. Die Agentur für Arbeit hilft dabei gerne, etwa indem wir Zusatzunterricht organisieren, damit der Azubi in der Berufsschule mitkommt.

Wenn auch schwächere Jugendliche eine Chance bekommen, wie sehr müssen sich die Unternehmen dann umstellen?

Natürlich ist das auch für Unternehmer ein Lernprozess. Viele, aber nicht alle, haben schon ihre Ansprüche zurückgeschraubt. In den Betrieben ist aber auch klar, dass Nachwuchskräfte fehlen und diese Lücke durch Ausbildung geschlossen werden kann.

Die demografische Entwicklung ist nichts Neues. Trotzdem klagen jetzt viele Unternehmen über fehlende Fachkräfte. Haben Sie zu lange die Augen vor diesem Problem verschlossen?

Manchmal muss sich eine Situation zuspitzen, bevor Entscheidungen getroffen werden. Jetzt ist aber klar: Wir brauchen ein Umdenken.

Gleichzeitig gibt es nicht genug Ausbildungsplätze in Bremen für alle Bewerber. Die Bremer Vereinbarung, bei der 7800 Arbeitsplätze geschaffen werden sollten, ist vergangenes Jahr gescheitert. Wer muss da mehr tun?

Es ist für Unternehmen eigentlich eine betriebswirtschaftliche Notwendigkeit, die Zahl der Ausbildungsplätze zu erhöhen, wenn am Markt die Fachkräfte fehlen. Das Angebot auf dem Arbeitsmarkt, gerade was junge Menschen angeht, ist endlich.

Die Bremer Vereinbarung wird gerade neu verhandelt, es gab Streit darüber, ob man sich wie zuletzt auf eine Zielzahl festlegen möchte. Finden Sie so eine Vorgabe gut?

Es sollte einen Konsens geben, dass alle jungen Menschen eine Chance auf einen Ausbildungsplatz bekommen. Wir haben seit mehreren Jahren einen extrem hohen Anteil an ungelernten Arbeitslosen. Schüler, die die Schule verlassen, dürfen ihre berufliche Karriere aber nicht mit Arbeitslosigkeit beginnen. Diesen Konsens wünsche ich mir – und ich habe den Eindruck, dass das in Bremen viele tun.

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Aber nochmal: Wünschen Sie sich eine klare Zielvorgabe?

Mir würde der Konsens reichen, dass Ausbildung den absoluten Vorrang hat. Natürlich ist es erstrebenswert, dass die Zahl der Ausbildungsplätze groß ist. Und sie kann auch gerne noch größer werden.

Diesen Konsens gibt es doch längst in der Hansestadt, weil sich jeder der Lage am Ausbildungsmarkt bewusst ist. Und trotzdem gibt es Probleme.

Wenn es Initiativen gibt, die Zahl der Ausbildungsplätze zu steigern, würde ich das sehr begrüßen.

Der Arbeitsmarkt ist natürlich immer stark von Wirtschaft und Politik abhängig. Haben Sie sich schon mit den entsprechenden Vertretern in Bremen treffen können?

Ich habe die Zeit seit Anfang April genutzt, um zu allen Stellen in der Politik, dem Senat, zu Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Betrieben Kontakt aufzunehmen. Wenn ich mir überlege, wie ich die Arbeitslosigkeit senken kann, dann ist natürlich der Kontakt zu den Arbeitgebern besonders wichtig. Daher haben wir den gemeinsamen Arbeitgeberservice mit dem Jobcenter, der Ansprechpartner für die Unternehmen ist, ausgebaut und auch eine Stelle in Bremen-Nord eröffnet. Durch diese Nähe kommen wir besser mit den Unternehmen ins Gespräch.

Wenn Sie mit Unternehmen sprechen, sprechen Sie sicher auch über die Integration von Geflüchteten auf dem Arbeitsmarkt. Wie geht es hier voran?

Von den Flüchtlingen, die die Gruppe der Arbeitslosen verlassen, steigen zwölf Prozent direkt in den Arbeitsmarkt ein. Ich finde, das ist eine ganz beachtliche Zahl. Der größte Teil geht aber nach wie vor weiter in Integrations- und Qualifizierungsmaßnahmen.

Bei diesen Jobs handelt es sich aber meist um Hilfsarbeiterstellen. Genau solche Positionen für Ungelernte, die Sie eigentlich gar nicht haben wollen.

Diese Jobs sind eher einfacher, ja. Ich finde es aber wichtig, dass Flüchtlinge überhaupt erstmal im Arbeitsmarkt Fuß fassen und die Chance haben, zu arbeiten und für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Wenn ein Flüchtling anfängt zu arbeiten, heißt das ja auch, dass keine Sozialleistungen mehr fließen. Das ist im Interesse des Staates und des Flüchtlings selbst. Bei jüngeren Flüchtlingen steht bei uns aber natürlich das Thema Ausbildung im Vordergrund. Das betrifft auch Leute, die schon deutlich älter als 20 Jahre sind.

Wie offen sind die Bremer Betriebe für Geflüchtete?

Es gibt viele Betriebe, die eine soziale Einstellung haben, aber auch die, die es betriebswirtschaftlich sehen und gerne junge Leute ausbilden und einstellen wollen. Vor allem über die Einstiegsqualifizierungen, EQ genannt, kommen viele Unternehmen mit Geflüchteten in Kontakt. Erst letztens haben mir mehrere Unternehmer erzählt, wie gut das EQ-Jahr ist. Für viele Flüchtlinge ist ein direkter Einstieg in die Ausbildung schwierig. Aber wenn er vorher ein Langzeitpraktikum gemacht hat, kennt er den Betrieb, ist ans Lernen gewöhnt und der Einstieg fällt leichter.

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Kann man sagen, ab wann die Integration der Geflüchteten nur noch ein marginales Problem sein wird?

Es gibt eine Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, die sagt: Fünf Jahre nach der Einwanderung werden 50 Prozent der Flüchtlinge in Arbeit sein. 2015 kamen die meisten Flüchtlinge. Dementsprechend wird bis 2020 rund die Hälfte wohl arbeiten.

Sie kommen vom Niederrhein und haben dann lange in der Oberpfalz gelebt und gearbeitet. Was reizt Sie an Bremen als Stadt?

Bremen ist eine sehr lebenswerte Stadt, sehr überschaubar. Vom Marktplatz und vom Schnoor bin ich sehr angetan. Und was ich vorher noch nicht wusste, ist, dass es einen so großen Bestand an gut erhaltenen Altbauten gibt. Für jemanden, der zum ersten Mal nach Bremen kommt, ist das überraschend.

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Vermissen Sie etwas aus Nürnberg?

Nein… naja, vielleicht den Christkindlesmarkt. Wobei der Weihnachtsmarkt in Bremen ja auch sehr schön sein soll.

In Nürnberg waren Sie auf Ihrer Position nur ein halbes Jahr. Wie lange bleiben Sie in Bremen?

Deutlich länger. Ich habe die Absicht, hier dauerhaft zu bleiben.

Das Gespräch führte Stefan Lakeband.

Zur Person

Zur Person

Joachim Ossmann leitet seit April die Agentur für Arbeit Bremen-Bremerhaven. Der 58-Jährige stammt aus Kleve am Niederrhein, hat drei erwachsene Kinder und hat zuletzt in Nürnberg gelebt und gearbeitet. Privat interessiert er sich für Geschichte und Fremdsprachen und geht gerne Bergsteigen. In Bremen will er nun mit dem Segeln anfangen.

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