Die Gischt schäumt meterhoch hinter einer wilden Eisgebirgslandschaft. Die aufgetürmten Eisblöcke schillern in Türkis und in hellem Blau in glasklarer Transparenz und erinnern ein wenig an das Gemälde "Das Eismeer" von Caspar David Friedrich, dessen 250. Geburtstag in Deutschland gleich mit mehreren Ausstellungen begangen wird. Diese Ansicht von Island, die die Fotografin Kerstin Potthoff mit ihrer Kamera eingefangen hat, ist atemberaubend. Der Gedanke an die klimatische Erwärmung der Erde taucht bei diesem Anblick automatisch auf.
Malerin und Fotografin
Das, was die Foto-Kunst von Kerstin Potthoff so besonders und beeindruckend macht, ist die Bildhaftigkeit. Ihre auf Leinwand aufgezogenen Fotografien wirken wie gemalt. Und das nicht von ungefähr, denn Kerstin Potthoff kommt ursprünglich von der Malerei und wandte sich zur Jahrtausendwende auch der Fotografie zu. Ihre Werke waren bereits in zahlreichen Ausstellungen im In- und Ausland zu sehen.
Erinnerung an die Rheintöchter
Der Ausstellungsteil, dem Potthoff ihren Unterwasser-Bildern gewidmet hat, weckt vielschichtige, kulturhistorische Assoziationen an Mythen und Opern. Auch das macht die Werke so ungemein reizvoll. So scheinen die Rheintöchter aus Richard Wagners Musikdrama "Rheingold" in der Galerie Quartier bezogen zu haben. In Wagners Tetralogie "Der Ring des Nibelungen" sind die Rheintöchter die Hüterinnen des Rheingoldes, mit dem alles Unglück seinen Anfang nimmt. Und an dessen Ende die "Götterdämmerung", der Weltuntergang, steht. Nun, Potthoff hat die drei Grazien nicht unter Wasser im Rhein porträtiert, sondern ganz prosaisch im Swimmingpool. Der Bildeffekt ist trotzdem nicht weniger spektakulär. Die hüllenlosen Damen, deren Konturen unter Wasser verschwimmen, wirbeln umeinander und, wer weiß, vielleicht auch um das Rheingold herum.
Bei dem Galeristen, dem Fotografen Jürgen Nogai, der in Los Angeles Karriere machte und nun, wieder zurück in Bremen, seine eigene Foto-Galerie aufgezogen hat, löst das Bild noch andere Assoziationen aus: Er stellt Bezüge zur Freskenmalerei des Barock und zur Malerei von Rembrandt und Rubens her. Potthoffs Werke sind Foto-Kunst pur, sie sind kaum bearbeitet. "Ist das unscharfe Bild nicht oft gerade das, was wir brauchen?" fragt der Galerist mit dem Philosophen Ludwig Wittgenstein und zitiert die Fotografen-Ikone Ansel Easton Adams: "Ein Foto wird meistens nur angeschaut – selten schaut man in es hinein."
Von Ophelia bis Rusalka
Aber gerade diese Perspektive bietet Potthoffs Foto-Kunst, die zuweilen auch an die Plakate des tschechischen Jugendstilkünstlers Alphonse Mucha erinnert. Da sind zwei Frauen mit aufgelöstem Haar zu sehen, die Wellenbewegungen um sie herum hat die Fotografin täuschend echt eingefangen. Es könnte eine gedoppelte Ophelia sein, die sich da aus Liebeskummer um Shakespeares Dänen-Prinzen Hamlet ertränkt. Und die nächste Schönheit mit dem aus sich heraus leuchtenden, Alabaster farbenen Leib, deren rotes Haar sie im Wasser umschwebt und die Potthoff mit ihrer Foto-Kamera in langen Belichtungszeiten eingefangen hat, könnte Rusalka sein, die Titelfigur aus Antonin Dvoraks gleichnamiger Oper. Eine Meerjungfrau, die sich wünschte, für ihren geliebten Prinzen Mensch zu werden und die es aus enttäuschter Liebe wieder zurück ins Meer zieht. Apropos: Für das Düsseldorfer Ballett hat die Fotografin eine Ballerina in rosafarbener Trikotage abgelichtet.
Silberstreif am Horizont
Wie gemalt wirken beispielsweise auch die Landschaften, die Potthoff vom Beifahrersitz eines fahrenden Autos in Nordschottland eingefangen hat. Landschaften in Schwarz-, Grau- und Blau-Tönen über denen ein roséfarbenes Licht leuchtet. Das könnte der berühmte Silberstreif am Horizont sein. "Hier greift die Fotografin Elemente der impressionistischen Landschaftsmalerei auf", sagt der Galerist. Verwischte Impressionen aus einem vorbeirasenden Fahrzeug, die zwar die Details verlieren ließen, aber dafür den Blick des Betrachters schärften.