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Anziehungspunkt Einblick in andere Lebenswelten

Als Beispiel für Nachhaltigkeit, Teilhabe, Toleranz und Menschlichkeit hat Gabriele van Sterkenburg den sozialen Kleiderladen der Inneren Mission durch ihr Ehrenamt kennengelernt.
02.08.2022, 05:00 Uhr
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Einblick in andere Lebenswelten
Von Ulrike Troue

Als Gabriele van Sterkenburg der Kundin, die nur mit Mühe laufen kann, den Rucksack abnehmen möchte, klingelt das Telefon. "Nein, die Sachen müssen nicht gebügelt sein, aber gewaschen wäre toll", klärt sie die Anruferin über die Vorgaben für die Kleiderannahme auf. "Hi Gabi", begrüßt ein Cap-Träger, der gerade einen Rollkoffer ergattert hat, im Vorbeischieben gut gelaunt die ehrenamtliche Mitarbeiterin im Anziehungspunkt. Mit einem Lächeln im Gesicht entgegnet sie: "Hi, take care!" (Pass auf dich auf.)

"Es ist immer wuselig hier, immer etwas zu tun", sagt Gabriele van Sterkenburg mit ruhiger Stimme. Die 47-Jährige ist vor allem im Verkauf tätig, dienstags und donnerstags ist sie sieben bis neun Stunden im Einsatz. Sie begegnet allen offen, freundlich und wertschätzend. "Englischkenntnisse sind von Vorteil", merkt die beflissene Servicekraft im Sozial-Kleiderladen der Inneren Mission in der Bornstraße nebenbei an. Sie wirkt zufrieden.

"Das Team ist toll"

"Ich bin total glücklich, dass ich hier gelandet bin, das passt perfekt", bekennt die Freiwillige aus dem aktiven Helferpool von rund 50 Personen des sozialen Secondhand-Ladens, der für Gabriele van Sterkenburg ein Ort der Begegnung und Teilhabe ist. "Auch das Team ist toll."

Die freiberuflich tätige Lektorin wollte im Ehrenamt viel Kontakt zu Menschen haben und idealerweise im Team arbeiten. Diese Wünsche hat Gabriele van Sterkenburg auch bei der Engagementberatung der Freiwilligen-Agentur in der Stadtbibliothek angegeben und wurde darüber Anfang 2020 zum Anziehungspunkt vermittelt. 

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Zu Beginn der dritten Einarbeitungswoche musste der soziale Kleiderladen wegen des ersten Corona-Lockdowns geschlossen werden, erzählt sie im Rückblick. Doch glücklicherweise konnte sie beim Sortieren der Sachen gleich "sehr intensiv" einsteigen. Die gebrachte Kleidungsmenge habe sie erschrocken, gesteht die Viertelbewohnerin, die mit ihrem Mann vor drei Jahren nach Bremen gezogen ist. Andererseits sei es schön für Spendende, die Sachen so einer sinnvollen Weiterverwendung zuzuführen, findet Gabriele van Sterkenburg und betont: "Ich finde den Punkt Nachhaltigkeit wichtig."

Auch von der Kundenzahl ist sie persönlich berührt, dabei gleichzeitig fasziniert von so unterschiedlichen Mentalitäten. Zwischen 30 und 60 Menschen in schwierigen Lebenssituationen decken sich pro Öffnungstag im Anziehungspunkt für kleines Geld mit Kleidung, Schuhen, Gürteln, Handtüchern, Bettwäsche oder Elektrokleingeräten ein. "Im Moment kommen viele Geflüchtete aus der Ukraine," berichtet Gabriele van Sterkenburg. Sie schätzt etwa ein Drittel der Kundschaft.

Ein T-Shirt wechselt für einen Euro den Besitzer

Außerdem stellt sie fest, die Zahl derer steige, die zwar arbeiten, aber trotzdem ständig knapsen müssen. Im Dezember 2021 sei für sie der "lange Donnerstag" bis 19 Uhr eingeführt worden. Ein T-Shirt wechselt zum Beispiel für einen, eine Winterjacke für vier Euro den Besitzer. Auf Betreiben der studierten Literaturwissenschaftlerin wurden auch Bücher ins Sortiment aufgenommen, die es zum Nulltarif gibt.

"Wir kämpfen um jedes Stück, nehmen auch mal eins mit nach Hause, nähen oder waschen es", sagt Gabriele van Sterkenburg, die auch Mitglied der Strukturgruppe ist, die sich mit der Planung und langfristigen Organisation des Anziehungspunktes befasst. Die Einnahmen werden für soziale Aktivitäten im Bereich Wiedereingliederung, Anschaffungen und Betriebskosten verwendet.

Die freiwillige Helferin legt großen Wert darauf, dass Damen-, Herren- und Kindersachen nach Größen, Farben und jahreszeitlich passend einsortiert sind und in den hellen Räumen "mit Liebe" präsentiert werden. "Die Kunden sollen nicht das Gefühl haben, Menschen zweiter Klasse zu sein, bloß weil sie hier einkaufen", betont die 47-Jährige, die dankbar dafür ist, durch ihr Ehrenamt viele kleine Einblicke in andere Lebenswelten zu bekommen. "So ist mir noch mehr bewusst geworden, wie gut es mir eigentlich geht", erzählt sie. 

"Man muss ein gutes Gespür haben"

Neugier auf und Offenheit für Menschen, Einfühlungsvermögen, Gelassenheit, viel Geduld und Verständnis hält Gabriele van Sterkenburg für wichtige Voraussetzungen für ehrenamtliche Mitarbeit im Anziehungspunkt. "Weil so viele Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen kommen, muss man ein gutes Gespür haben, ob jemand einfach nur einen schlechten Tag hat, sich vielleicht gerade benachteiligt fühlt oder es einen Konflikt mit anderen Kunden gibt", erklärt sie. Streitigkeiten gäbe es halt manchmal. Sie seien stets eine Herausforderung. "Dabei wird man häufig mit den eigenen Vorurteilen konfrontiert und angeregt, darüber nachzudenken", sagt van Sterkenburg und verbucht für sich wertvolle, bereichernde Erfahrungen und Erkenntnisse. 

"Manchmal braucht jemand eher ein offenes Ohr oder dass er etwas geschenkt bekommt", erzählt die 47-Jährige, die glücklich ist, wenn sie wem auf diese einfache Art den Tag verschönern kann. Ein "Herzensmoment" sei für sie, als eine Kundin ihr eine Blume und Teebeutel als Dankeschön überreicht hat: "Auch das macht es für mich so wertvoll, hierher zu kommen."

Info

Steckbrief

Verein/Projekt: Innere Mission / Sozial-Kleiderladen.

Engagementbereich: Einkleidung von sozial schwachen Menschen aus allen Kulturen.

Aufgabe: Annahme, Sortierung und Verkauf von gespendeter Kleidung, gegenüber der Kundschaft wird eine wertschätzende Haltung erwartet, Englischkenntnisse sind von Vorteil.

Zeitaufwand: Flexible Einsatzschichten nach individueller Absprache.

Kontakt: Petra Wulf-Lengner, 04 21 / 38 87 02 10, wulf-lengner@?inneremission-bremen.de.

Internetadresse: www.inneremission-bremen.de.

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