Es ist leise um das Gebäude der Grundschule am Ellenerbrokweg. Einige Kinder spielen sich unter Aufsicht auf dem Hof den Ball zu. Ansonsten ist das Schulgelände leer. Auf dem Boden vor dem Eingang sind mit gelber Farbe in jeweils anderthalb Metern Abstand Markierungen aufgemalt. „Abstand, Leute“, ruft Gudrun Bleeker zwei Schülern zu, die sich beim Spielen zu nahe gekommen sind. „Man muss sie immer wieder daran erinnern“, sagt die Schulleiterin.
Auch wenn die Viertklässler in Bremen seit vergangenem Montag wieder in den Unterricht gehen – von normalem Schulalltag lässt sich derzeit kaum sprechen. Denn: Die Hygiene- und Abstandsregeln zum Schutz vor dem Coronavirus verändern fast alles. Die drei vierten Klassen am Ellenerbrokweg mit jeweils 23 Schülern sind so eingeteilt, dass pro Gruppe nicht mehr als sechs Kinder gleichzeitig unterrichtet werden, wie die Schulleiterin erklärt.
Die Gruppen kommen zwei- bis dreimal die Woche für je zwei Stunden in die Schule. In dieser Zeit gibt es keine Frühstücks- oder Toilettenpausen. Wenn ein Kind zur Toilette muss, gilt die Regel, dass kein anderes Kind gleichzeitig im Waschraum sein darf. An den Türen hängen Bilder, die das vereinfacht erklären sollen.
Händewaschen vor dem Unterricht
In dem Klassenraum, den die Schüler gleich betreten sollen, riecht es nach Putzmittel. Die „Zwischenreinigung“ hat gerade stattgefunden – dabei handelt es sich um die Reinigung von Oberflächen, Türklinken, Waschbecken und Böden, nachdem die ersten Viertklässler ihren Unterricht beendet haben. An der Seite des Klassenraums sind die Stühle gestapelt. Am Rand steht ein Tisch, ausgestattet mit einer Schutzscheibe: „Falls die Lehrer den Schülern mal etwas im Einzelgespräch erklären wollen“, sagt Bleeker. Dies sei persönlicher als ein Gespräch mit großem Abstand.
Vor dem Eingang stellt Klassenlehrerin Kristina Mensendiek ihre fünf Schüler an den Markierungen auf und teilt sie in eine Reihenfolge ein. Mit dem Sicherheitsabstand von eineinhalb Metern sollen die Schüler der Klasse 4b jetzt in Richtung Klassenraum gehen. Dort angekommen, nimmt jedes Kind seinen Platz ein. Die Tische stehen in großen Abständen voneinander entfernt, an jedem von ihnen ist nur ein einziger Stuhl platziert. Nun ruft die Lehrerin ihre Schüler einzeln auf: Händewaschen ist angesagt. Die Viertklässler kennen diesen Ablauf bereits, zum dritten Mal sind sie in dieser Woche in der Schule. Alle Schüler folgen gehorsam den Anweisungen der Lehrerin. Es ist mucksmäuschenstill. Niemand spricht, von ausgelassener Klassenstimmung keine Spur.
Die Lehrerin hat nun zwei Stunden Zeit, den Unterrichtsstoff für Mathe, Deutsch und Englisch mit den Schülern durchzuarbeiten. „Die Zeit ist sehr knapp“, sagt Mensendiek. Trotzdem habe der Unterricht in der Woche im Großen und Ganzen schon gut geklappt. „Es geht vor allem darum, das bereits Gelernte zu festigen“, betont Bleeker. In den vergangenen Wochen hat die Schulleiterin immer wieder persönlich Unterrichtsmaterial für das sogenannte Homeschooling zu den Schülern nach Hause gebracht. Die Kinder benutzen eine App, damit können die Lehrer sehen, ob und wie viel die Grundschüler gearbeitet haben. Per Brief kam dann die Information zu die Eltern, dass der Unterricht der vierten Klassen am 4. Mai wieder beginnt.
Im Mathe-Unterricht soll schließlich jedes Kind eine Aufgabe an der Tafel vorrechnen. Den Rest der Zeit steht die Lehrerin meist vor der Klasse, sie trägt vor oder stellt Fragen. Gruppen- oder Partnerarbeit gibt es in Corona-Zeiten nicht mehr. „Alles was Grundschule ausmacht, geht momentan verloren“, sagt Bleeker. Ob diese Art von Schulbesuch überhaupt etwas bringen kann? „Auf jeden Fall. Es ist ein Stück Normalität für sie, ihre Mitschüler und Klassenlehrer zu sehen“, betont die Schulleiterin. Das findet auch die neunjährige Lucille: „Ich habe meine Freunde und meine Lehrerin vermisst“, sagt sie, „aber ich finde es blöd, dass wir Abstand halten müssen.“
In der ersten Woche sei es viel um Eingewöhnung gegangen, sagt Bleeker. Die Kinder sollten erzählen, wie sie die vergangenen Wochen zu Hause verbracht haben und die Regeln einstudieren. Doch kaum sind die ersten Routinen gefestigt, steht wahrscheinlich bald die nächste Herausforderung an: Am Dienstag berät der Bremer Senat darüber, ob am 18. Mai alle Grundschüler in die Schule zurückkehren sollen. Bleeker hat in ihren Schicht-Stundenplänen bereits durchgespielt, wie das aussehen könnte. Wie das in Kombination mit der Notbetreuung laufen soll, weiß sie nicht.
Bilanz nach einer Woche
Auch an anderen Bremer Grundschulen habe die Umsetzung der Maßnahmen „überraschend gut geklappt“, wie Annette Kemp, Sprecherin von Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD). Es habe keine Meldungen gegeben, dass zu wenig Seife oder Papier zur Verfügung stand. Das Abstandhalten sei für Kinder, die sich länger nicht gesehen haben, nicht leicht einzuhalten.
Die meisten Schulen hätten sich aber gut vorbereitet. Barbara Schüll, Vorstandssprecherin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, hat ähnliche Beobachtungen gemacht. Kinder und Lehrer hätten sich gefreut, zurück in der Schule zu sein. Aber: „Wir fänden es besser, wenn wir erst mal die Inkubationszeit abwarten, bevor wir direkt wieder neue Kinder kommen lassen.“