Zwei Fälle in Bremen, die aktuell ein Schlaglicht darauf werfen, was den Sicherheitsbehörden nach eigenem Bekunden für die nächsten Jahre große Sorge bereitet. Beide Male sind Tschetschenen im Spiel. Ein 29-jähriger Mann, der mit seiner Familie in Grambke lebt, soll in Syrien für den Daesch gekämpft haben. Er steht deshalb seit April vor Gericht.
Am Montag haben seine Verteidiger die Plädoyers gehalten und Freispruch gefordert. Die Staatsanwaltschaft hält dagegen eine Haftstrafe von vier Jahren für angemessen. Das Urteil wird am 20. August gesprochen. Im zweiten Fall sind es Kriminelle, die ihre Strafen vor einigen Monaten bereits erhalten haben. Der Haupttäter, ein 30-Jähriger, der aus dem zerstörten Grosny nach Bremen gekommen war, musste für sechs Jahre ins Gefängnis.
Bei ihm wurden Kriegswaffen gefunden. Beiden Fällen gemeinsam ist der Bezug zum radikalen Islamismus in Bremen. Die Behörden sind alarmiert und treffen Vorkehrungen. Im kommenden Monat wird es in Bremen eine Fachtagung geben, dem Vernehmen nach sind neben den hiesigen Experten auch Vertreter des Bundeskriminalamtes (BKA) dabei, außerdem Historiker und andere Spezialisten aus den europäischen Nachbarländern.
Anwälte: S. war kein Mitglied des Daesch
„Unter der Regie der Hochschule für Öffentliche Verwaltung, dem Fortbildungsinstitut für die Polizei Bremen, wird noch vor den Herbstferien ein nichtöffentlicher Fachtag zur wirksamen Bekämpfung der Kriminalitätsphänomene im Zusammenhang mit Tschetschenen in der Hansestadt stattfinden“, bestätigt der Innensenator.
Dabei werde es sowohl um Strukturen der organisierten Kriminalität als auch um den Islamismus in tschetschenischen Kreisen gehen. Mehr wollen die Behörden aus Sicherheitsgründen nicht über die Veranstaltung verraten. Der Mann, gegen den zur Zeit vor dem Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg verhandelt wird, war von März 2014 bis Januar 2015 in Syrien und soll sich dort der tschetschenischen Kampfgruppe „Katiba Badr“ angeschlossen haben.
Die Staatsanwaltschaft hält das nach der Auswertung von Videos und Fotos, die Aslanbek S. inmitten der Kämpfer zeigen, für bewiesen. Anders die Verteidigung: Die Aufnahmen zeigten ein zufälliges Zusammentreffen unter Tschetschenen. S. sei kein Mitglied des Daesch gewesen, erklärten die Anwälte am Montag. Als der 29-Jährige von Syrien zurück in Bremen war, lebte er zunächst unbehelligt wieder bei seiner Frau und den zwei Kindern.
Nach Erkenntnissen der Ermittler gehörte er zur Gruppe der Salafisten und besuchte regelmäßig das Islamische Kulturzentrum (IKZ) am Breitenweg. Die Moschee steht seit Langem unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Während des sogenannten Bremer Terrorwochenendes im Februar 2015 war auf der Suche nach mutmaßlichen Terroristen und ihren Waffen auch das IKZ durchsucht worden, eine rechtswidrige Aktion, wie sich im Nachhinein herausstellte.
Erst im September vergangenen Jahres wurde S. nach monatelangen Ermittlungen verhaftet. Die Kämpfer des Daesch haben einen Hang zur Inszenierung, mit den Videos und Fotos, die auf Handys gespeichert sind oder in den sozialen Netzwerken ihre Kreise ziehen, liefern sie sich quasi selbst den Strafverfolgern aus. Bei Harry S. war das genauso. Er ist der erste Bremer, der wegen Beteiligung am Terrorismus in Syrien verurteilt wurde. Aslanbek S. wäre der zweite. Harry S. – kein Tschetschene, sondern ein Mann mit Wurzeln in Ghana – bekam wegen Mitgliedschaft beim Daesch drei Jahre Haft.
Starker Zusammenhalt bei Tschetschenen
Terroristen sind sie nicht; es ist eine andere Art von Kriminalität, für die zwei Bremer Tschetschenen jetzt im Gefängnis sitzen. Sie wurden vom Landgericht wegen schweren Raubs und schwerer Körperverletzung verurteilt, begangen bei dem Versuch, Geld einzutreiben. Einer der Männer, er stammt aus Grosny, war im Besitz eines BMW mit britischen Kennzeichen.
In diesem Auto hatten die Polizisten den Waffenfund gemacht: eine Maschinenpistole, ein Sturmgewehr, eine Pistole und jede Menge Munition. Versteckt war das Arsenal unter der Abdeckung des Kofferraums. Der Autobesitzer war für die Polizei kein Unbekannter, er hatte in Bremen bereits als Jugendlicher Straftaten verübt und saß längere Zeit im Gefängnis.
Polizei und Verfassungsschutz beobachten bei den Tschetschenen einen starken Zusammenhalt, auch wenn sie unterschiedliche Leben führen. „Die einen beten, die anderen trinken Wodka; trotzdem sind es Freunde“, sagt Daniel Heinke, Chef des Landeskriminalamtes. Heinke betont, dass er dieser Volksgruppe keinen Stempel aufdrücken wolle, sondern selbstredend nur den Teil meine, der in irgendeiner Weise auffällig werde. Zum Beispiel durch Besuche im IKZ.
Auch andere Kämpfer nach Deutschland zurückgekehrt
„Dort gehen die Tschetschenen als geschlossene Gemeinschaft rein und haben kaum Kontakt zu den anderen.“ Oder durch Straftaten, solche eben, wie sie der Mann mit den Kriegswaffen verübt habe. Die Grenzen dazwischen seien fließend. Man kenne sich in der Szene, das Gemeinschaftsgefühl sei überaus stark. Und warum dann nicht mal eine Waffe weitergeben?
Die Gefahr ist da, daran hat auch der Bremer Verfassungsschutz keinen Zweifel. In einem Vermerk der Behörde wird auf Erkenntnisse des Bundesamtes verwiesen. Demnach habe eine mittlere dreistellige Zahl von Tschetschenen, die teilweise über Verbindungen zur organisierten Kriminalität verfüge, in der Bundesrepublik extremistische Aktivitäten entfaltet. Eine mittlere zweistellige Zahl von ihnen sei seit dem Jahr 2013 nach Syrien und in den Irak ausgereist, um für den Daesch zu kämpfen – darunter Aslanbek S. aus Bremen.
Wie S. sind auch andere tschetschenische Kämpfer nach Deutschland zurückgekehrt. Nicht wenige von ihnen gelten als sogenannte Gefährder. Nach der Verhaftung von S. hatte Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) auf die Bedeutung dieses Falles hingewiesen: „Ich bin erleichtert, dass es gelungen ist, einen weiteren Gefährder von der Straße zu bekommen. Solche Personen sind ein absolutes Sicherheitsrisiko.“