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Prozess in Hamburg Mutmaßlicher Bremer Terror-Unterstützer vor Gericht

Ein 29-jähriger Tschetschene aus Bremen soll bei den Kämpfen der Islamisten in Syrien beteiligt gewesen sein. In Hamburg steht er vor Gericht.
23.06.2018, 19:08 Uhr
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Mutmaßlicher Bremer Terror-Unterstützer vor Gericht
Von Jürgen Hinrichs

Die jungen Männer sind übermütig vor Freude, sie scherzen und lachen, albern herum als wären sie Kinder, knuffen und umarmen sich. Das sind lustige Szenen, doch eigentlich ist es todernst. Viele aus der Gruppe werden nicht zurückkehren, gefallen in dem Kampf, den sie kämpfen. Es sind Angehörige des Daesch, die sich an diesem klaren, windigen Morgen auf den Weg an die Front machen. Das Ziel ist Kobanê, eine Stadt in Syrien, die zu der Zeit, es ist September 2014, unter kurdischer Kontrolle steht.

Am Sammelort des Konvois steht ein Mann etwas abseits an einer Hauswand und nimmt an dem Trubel nicht teil. Er sagt anders als seine Kumpel nichts in die Kamera, es wird gefilmt. Später, bei der Abfahrt, sitzt er auf der Ladefläche eines Pickups und hat eine Kapuze über den Kopf gezogen, so als wollte er nicht erkannt werden. Identifiziert hat man ihn trotzdem.

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Es ist ein Mann aus Bremen, der im September vergangenen Jahres von einem Spezialeinsatzkommando der Polizei und Beamten des Staatsschutzes festgenommen wurde und gegen den nun vor dem Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg verhandelt wird. Der Vorwurf: Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland.

Es ist der zweite Fall dieser Art mit Bezug zu Bremen. Im Juli vergangenen Jahres war der Bremer Harry S. wegen ähnlicher Anschuldigungen zu drei Jahren Haft verurteilt worden. Auch damals war das Gericht in Hamburg zuständig. Es gibt einen Vertrag mit Bremen, dass die aufwändigen Staatsschutzsachen beim Hanseatischen Oberlandesgericht konzentriert werden.

"Tschetschenen kämpfen nicht gegen Tschetschenen"

Im Gerichtsgebäude gelten strenge Sicherheitsregeln. Jeder Besucher wird peinlich genau durchsucht, die Journalisten dürfen nur Block und Stift behalten, müssen alles andere vorher abgeben. Der Prozess im Saal 288 findet hinter Panzerglas statt. Wer als Zuhörer da ist, kann trotzdem alles genau verfolgen.

Der Mann auf der Anklagebank ist 29 Jahre alt, er macht einen aufgeweckten Eindruck und unterhält sich zwischendurch angeregt mit seinen beiden Verteidigern. Sein Deutsch ist perfekt, nur der Akzent verrät, dass er ursprünglich aus dem Ausland kommt. Aslanbek S., so sein Name, ist als 15-Jähriger mit seinen Eltern von Grosny nach Deutschland geflohen. Eine tschetschenische Familie, die es in dem kriegsgeplagten Land nicht mehr aushielt.

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Laut Anklageschrift ist S. im März 2014 über die Türkei nach Syrien gereist, um sich dort einer Kampfgruppe des Daesch anzuschließen, die hauptsächlich aus Tschetschenen bestand. Er habe sich unter anderem an den Kämpfen um Kobanê beteiligt und sei im Besitz einer Kalaschnikow gewesen. Im Januar 2015 sei er über die Türkei zurück nach Deutschland gekommen, nach Bremen, wo er mit Frau und zwei Kindern in Grambke lebt. Die stärksten Beweise für die Anschuldigungen sind zwei Videos aus dem Terrorcamp, die an diesem Prozesstag vor Gericht gezeigt werden.

S. hat die Vorwürfe von Anfang an bestritten und tut das weiterhin. Er sei nie Mitglied des Daesch gewesen. Seinen Aufenthalt in dem Camp, von dem aus die Terroristen in den Kampf gezogen sind, erklärt er mit der Nähe zu seinen Landsleuten. Als ein Sachverständiger, der als Islamwissenschaftler für das Bundeskriminalamt arbeitet, in der Gerichtsverhandlung kategorisch ausschließt, dass der Daesch jemanden in seinen Reihen duldet, der nicht unmittelbar zu der Organisation gehört, und dass es möglicherweise den Tod bedeuten könnte, als Außenstehender so ein Camp zu besuchen, sagt der Angeklagte nur den einen Satz: „Tschetschenen kämpfen nicht gegen Tschetschenen.“

Die Fahrt im Konvoi kann er nicht leugnen. Lauter schwer bewaffnete Männer, die sich mit Kampfesrufen verabschieden, und er gehörte dazu. S. beharrt trotzdem darauf, nicht nach Kobanê aufgebrochen zu sein. Sein Pickup habe an der nahen Straßenkreuzung eine andere Richtung genommen, weg von den Kämpfen. Sehen kann man das auf den Bildern nicht.

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Der Sachverständige erläutert in seiner Aussage die besondere Rolle der Tschetschenen in den Reihen des Daesch: „Sie stehen in dem Ruf, hartgesottene Kämpfer zu sein.“ Es seien Tatmenschen, die nicht viele Worte machten. Ob S. einer dieser Kämpfer war und ob er in Syrien an den Angriffen der Islamisten beteiligt war, bleibt bislang offen. Beweise dafür gibt es keine. Die Generalstaatsanwaltschaft nimmt als Indiz eine schwere Verletzung des Angeklagten an der Wade. Eine Schusswunde, glauben die Ankläger.

Genau sagen lässt sich das allerdings nicht, die Ursache der Verletzung könne auch eine andere sein, hatte ein Gutachter ausgesagt. In Bremen hatten die Sicherheitsbehörden S. bereits viele Monate vor seiner Festnahme auf dem Kieker. Es seien sehr intensive Ermittlungen gewesen, hatte Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) im September vergangenen Jahres erklärt. „Ich bin erleichtert, dass es gelungen ist, einen weiteren Gefährder von der Straße zu bekommen. Solche Personen sind ein absolutes Sicherheitsrisiko“, sagte der Senator.

"Solche Personen sind ein absolutes Sicherheitsrisiko"

Das Risiko besteht weiterhin, wie aus Sicherheitskreisen verlautet. Erst vor Kurzem waren zwei Tschetschenen mit islamistischem Hintergrund vom Bremer Landgericht wegen Schutzgelderpressung, Raubes, gefährlicher Körperverletzung und des unerlaubten Besitzes von Kriegswaffen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden.

Die Polizei hatte schon früh darauf hingewiesen, dass es bei den tschetschenischen Dschihadisten eine enge Verknüpfung zwischen islamistischem Extremismus und allgemeiner organisierter Kriminalität gebe. Ermittlungserfolge seien in diesem Bereich aber äußerst schwierig zu erzielen, weil es sich um ein stark abgeschottetes Milieu handele. Aus dieser Gruppe heraus sollen neben Aslanbek S. weitere Tschetschenen von Bremen nach Syrien gereist sein, um für den Daesch zu kämpfen. Von einem ist den Behörden bekannt, dass er tot ist.

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Bei S. waren es nicht nur die Ermittlungen in Bremen, die zur Festnahme und dem Gerichtsverfahren geführt haben. Hinzu kamen die Videos, die vom norwegischen Geheimdienst zu den deutschen Strafverfolgungsbehörden gelangt sind. Schließlich noch die Aussage von Harry S., dem Mann, der bereits wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt wurde. Er trat als Zeuge vor dem Staatsschutzsenat auf und erklärte, den Angeklagten zu 100 Prozent auf Fotos aus Syrien wiedererkannt zu haben.

In früheren Vernehmungen hatte Harry S. erzählt, Aslanbek S. zweimal in dem arabischen Land getroffen zu haben, doch das kann nicht sein, wie ihm die Kriminalbeamten erklärten. Die beiden Männer waren nach Erkenntnissen der Ermittler zu unterschiedlichen Zeiten in Syrien. Der Gerichtsprozess gegen Aslanbek S. ist bis in den August hinein angesetzt.

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