„Ich bin mehrfach überfallen worden, einmal wurden mir drei Pfandflaschen gestohlen. Das hat viel damit zu tun, dass die Menschen unbehandelte Probleme haben“, sagt Markus, der seinen vollen Namen nicht veröffentlich sehen will. „Und die meisten haben Probleme. Psychisch, mit Alkohol oder Rauschmitteln. Jemand, der heroinsüchtig ist, steht unter großem Druck, er braucht jeden Tag 30, 70 oder sogar 100 Euro.“ Markus nimmt keine Drogen, trinkt nicht, und seit das Herz Probleme macht, hat er auch das Rauchen aufgegeben. Früher war er Chef von 140 Leuten und hat gut verdient. Markus kann gut reden und weiß, wovon er spricht: Armut und Obdachlosigkeit. Darum ging es am Reformationstag bei einem „Stadtrundgang zur sozialen Lage in Bremen“
Dazu hatte die evangelische Friedensgemeinde eingeladen, die diesen Herbst ihr 150-jähriges Bestehen feiert. Statt sich als Jubilar selbst zu bespiegeln, „vergewissern wir uns, was unsere Aufgabe wäre, als Menschen denen die Demokratie am Herzen liegt und das Zusammenleben in der Stadt“, sagte Pastor Bernd Klingbeil-Jahr. Rund 50 Menschen hatten sich der Exkursion zu Szenetreffs angeschlossen, unter ihnen die Bremer Bürgerschaftsabgeordneten und Sozialpolitikerinnen Sigrid Grönert (CDU) und Sophia Leonidakis (Linke). Auch Bürgermeister Andreas Bovenschulte, der einer privaten Einladung gefolgt war, marschierte mit. „Gut, dass jemand mit Regierungsverantwortung dabei ist“, meinte der Pastor. Zwischen 500 und 600 Wohnungslose leben nach Schätzung der Inneren Mission in Bremen.
Das ist nicht nur im Winter und vor allem bei Nässe schwierig. Vor allem soziale Kälte sei ein Riesenproblem, sagte Markus: „Das Gefühl der Wertlosigkeit wird einem ständig vermittelt. Und diese Sicht wird übernommen. Ich sehe scheiße aus und stinke. Je weiter das Selbstwertgefühl runter ist, desto schwerer ist es, da wieder rauskommen.“
Markus und der Diakon und Obdachlosen-Streetworker der Inneren Mission, Harald Schröder, übernahmen die Führung ab dem Startpunkt Hauptbahnhof. Station eins: „das größte Pissoir in Bremen“, zwischen Bahnhof und Intercity-Hotel gelegen. „Das wird immer den Obdachlosen angelastet, es sind aber die Fußballfans“, sagte Schröder. Schließlich gebe es „Toilettennot“ im Stadtbereich. Seit Kurzem steht ein Klohaus am Szenetreffpunkt, einer kleinen, mit Gitterzaun abgesperrten Fläche an der Fußgängerbrücke. „Vielleicht sollte man Bananen und Erdnüsse verteilen“ – für Markus sieht das nach Zoo aus.
„Ab acht Grad wird es gefährlich, draußen zu schlafen“
Für ihn und Schröder ist das Konzept „Sichere und saubere Stadt“ der Innenbehörde keine gute Erfindung. Obdachlose würden nachts sogar von Lüftungsschächten vertrieben. „Ab acht Grad wird es gefährlich, draußen zu schlafen“, sagte Markus. Dringend nötig seien Schließfächer, in denen Obdachlose ihre Habseligkeiten sicher verstauen könnten. Nicht alle hatten das auf Anhieb verstanden – wegen des Straßenlärms. „Wenn Sie unter der Brücke schlafen, ist es noch lauter“, sagte Harald Schröder mit Blick auf die Hochstraße, „und Sie sind auf dem Präsentierteller für Überfälle.“
Ziel ist der „Bremer Treff“ an der Tiefer. Die von der Friedensgemeinde mitgegründete Begegnungsstätte für Menschen ohne Wohnung oder in anderen sozialen und seelischen Notlagen befindet sich in guter Nachbarschaft: Unter anderem unterstützen auch St. Johann, das Birgittenkloster und Unser Lieben Frauen Obdachlose. Nicht zu vergessen „viele private Initiativen“, wie Schröder sagte. Zu den bekanntesten zählen die Bremer Suppenengel.