Der Himmel über Bremen ist weit – wenn gerade mal keine Regenwolken übers Land ziehen. Für Kai Becker und seine Kollegen reicht er sogar bis an die polnische Grenze: Becker ist Fluglotse und arbeitet in der Radarkontrollzentrale der Deutschen Flugsicherung (DFS) am Bremer Flughafen. Von dort aus überwachen Becker und seine Kollegen rund um die Uhr den gesamten Luftraum zwischen Borkum und Berlin. In dieser Woche feiert das Kontrollcenter Bremen sein 50-jähriges Bestehen.
Den Himmel – zugegeben – sehen sie nicht von ihrem fensterlosen Arbeitsplatz. Dafür aber jedes Flugzeug über Nord- und Ostdeutschland: Passagierflugzeuge, Geschäftsflieger, Militärjets, Privatmaschinen – alles, was unterhalb von 7500 Metern unterwegs ist, haben sie bei "Bremen Radar" auf dem Schirm. Bremen ist eines von drei Kontrollzentren für den unteren Luftraum über Deutschland, zuständig für fast die gesamte nördliche Hälfte des Landes. Vier internationale Flughäfen liegen in ihrem Verantwortungsbereich – Bremen, Hannover, Hamburg und Berlin, dazu 14 Regionalflughäfen und elf Luftwaffenstützpunkte. Bis zu 1800 Flüge am Tag müssen die Lotsen koordinieren.

Im Kontrollzentrum Bremen sitzt Fluglotse Kai Becker mit seinen Kollegen an langen Konsolen voller Radarbildschirme, auf denen sie den Flugverkehr über Nord- und Ostdeutschland überwachen.
Becker lässt sich auf den Bürostuhl vor einer der unzähligen Konsolen fallen; neben ihm nehmen der Trainee Jesse Buchholz und sein Ausbilder Platz. Für die nächsten zwei Stunden sind sie für den Sektor "Friesland" zuständig – den Himmel über Bremen im engeren Sinne sozusagen, der etwa von Leer bis Nienburg reicht. Ein Dutzend Flugzeuge tummelt sich gerade in dem Bereich: vom kleinen Sportflieger, der auf Sicht und damit auf eigene Verantwortung fliegt, bis zum Lufthansa-Airbus auf dem Weg von München nach Bremen, der gerade am unteren Rand des Bildschirms auftaucht, Rufzeichen DLH – für Lufthansa – Five Tango Romeo. In den Wolken verlässt sich der Pilot des A320 blind auf das, was die Fluglotsen von "Bremen Radar" ihm sagen.
Drei Meilen Mindestabstand
"Wir wissen ungefähr 20 Minuten im Voraus, wer in unseren Sektor einfliegt", erklärt Becker. Sein Job ist es dann, die Flugzeuge zu staffeln – also so zu sortieren, dass sie sich nicht in die Quere kommen: Drei Meilen (knapp fünf Kilometer) Abstand nach links und rechts oder mindestens 1000 Fuß (300 Meter) in der Höhe – das sind die Regeln. Zwei Lotsen teilen sich die Arbeit für jeden Sektor: Einer hält den Kontakt zu den Piloten, einer zu den benachbarten Sektoren. Teamwork ist Trumpf bei den Fluglotsen.
Am 6. April 1974 quäkten zum ersten Mal die Anweisungen von "Bremen Radar" über den Äther – in dieser Woche vor genau 50 Jahren. Die Bezirkskontrollstelle Hannover der damaligen Bundesanstalt für Flugsicherung (BfS) war zu klein geworden; am Flughafen Bremen verfügte der Bund über ein eigenes Grundstück – also wurde dort neu gebaut. Als die mittlerweile privatisierte Deutsche Flugsicherung 30 Jahre später die Zahl ihrer Kontrollzentralen reduzieren wollte, mussten sogar die Berliner Fluglotsen nach Bremen umziehen: Seit 2006 ist das Center auch für den Großteil des ostdeutschen Luftraums zuständig. Der Himmel über Bremen wurde immer weiter.

Drei Meilen (knapp fünf Kilometer) Abstand nach links und rechts oder mindestens 1000 Fuß (300 Meter) in der Höhe – das sind die Abstandsregeln für Flugzeuge, damit diese sich nicht in die Quere kommen.
Heute arbeiten fast 500 Menschen in der DFS-Niederlassung Bremen, davon drei Viertel Fluglotsen und Flugdatenbearbeiter, der Rest Ingenieure und Verwaltungspersonal. Pro Schicht sitzen etwa 50 Lotsen an den Radarbildschirmen der Kontrollzentrale – maximal zweieinhalb Stunden am Stück, dann ist Pause. Es gibt einen Fitnessraum, Ruheräume für ein kurzes Nickerchen und eine Kantine, die fast den ganzen Tag geöffnet hat. "In der Nachtschicht sind dann Tupperdosen sehr in Mode", sagt Becker.
Hartes Auswahlverfahren für Fluglotsen
Er selbst hat seine Ausbildung 2013 bei der DFS begonnen, seit 2016 ist er Fluglotse. Die Auswahlkriterien sind hart: Konzentrationsfähigkeit, Stressresistenz, räumliches Vorstellungsvermögen und Teamfähigkeit sind bei den Bewerbern gefragt und werden in einem mehrtägigen Auswahlverfahren auf die Probe gestellt. Nur fünf Prozent der Bewerber bekommen schließlich einen Ausbildungsplatz an der DFS-Akademie. Ihnen winken ein Top-Gehalt und der Ruhestand mit 55 – länger dürfen Fluglotsen nicht arbeiten.

Pro Schicht sitzen etwa 50 Lotsen an den Radarbildschirmen der Kontrollzentrale.
Der Lufthansa-Airbus aus München befindet sich mittlerweile im Landeanflug auf Bremen, knapp 20 Kilometer von der Runway entfernt. "Five Tango Romeo established on final" – mit dieser Meldung übergeben die Radarlotsen die Maschine an ihre Kollegen im Tower. Nur der kleinste Teil der Fluglotsen arbeitet dort, wo die meisten sie vermuten würden: Im rundum verglasten Kontrollturm eines Flughafens mit Blick auf den weiten Himmel über Bremen, Hamburg oder Berlin. Mehr als 80 Prozent sitzen in den Kontrollzentren der DFS und sehen ein Flugzeug nur als Rufzeichen auf ihrem Bildschirm. "Es ist schon etwas abstrakt, was wir hier machen", räumt Becker ein. Früher, als er nach der Schicht noch mit der Straßenbahn nach Hause gefahren ist, stiegen an der Haltestelle vor dem Terminalgebäude die Urlauber mit ihren großen Koffern ein – die Menschen also, die er gerade noch sicher vom Himmel zurück auf die Erde gelotst hatte. Manchmal huschte dann doch ein kleines Lächeln über sein Gesicht.