Sie versuchen, möglichst unsichtbar zu bleiben. Deshalb werden sie im Alltag kaum wahrgenommen: Frauen, die keinen festen Wohnsitz oder geschützten Wohnraum haben. Das Leben auf der Straße ist immer prekär, gewaltvoll und letztendlich lebensbedrohlich. Aber im Winter und in Coronazeiten sei es für obdachlose und wohnungslose Frauen noch gefährlicher als ohnehin schon, sagt Leonie Amende vom Verein "Liela" – und ruft zum Hinschauen auf.
Das habe ihr Mut abverlangt, sagt die 24-jährige Studentin ganz offen. Die verdeckte Wohnungslosigkeit von Frauen "ist ein hartes Thema". Als ihr eine Freundin, die über ihr politisches Engagement mit Frauen ohne festen Wohnsitz in Kontakt gekommen ist, von deren Nöten und Problemen erzählt hat, "fand ich es richtig erschreckend", gesteht Leonie Amende. "Das hat mich richtig wütend gemacht".
Mehr Zwangsprostitution von Minderjährigen
Spontan fällt der jungen Bremerin die Zunahme der Zwangsprostitution von Minderjährigen ein. Frauen ohne festen Wohnsitz gehen eher eine Zweckbeziehung ein, um ein Dach über dem Kopf zu haben. Das nutzen männliche "Bekannte" oft aus: Sie belästigen wohnungslose Frauen sexuell, drohen ihnen Gewalt an oder verabreichen ihnen gezielt Drogen, um sie gefügig zu machen und sie zur Prostitution zu zwingen. Das sind für Leonie Amende unzumutbare und unerträgliche Zustände.
Von der direkten Begegnung sei die Freundin so aufgewühlt gewesen, dass sie speziell Frauen auf der Straße helfen wollte, berichtet sie. Deren Schilderungen lösten im Freundes- und Bekanntenkreis so starke Betroffenheit aus, dass rund 30 Bremerinnen und Bremer aus unterschiedlichen Generationen und Berufen im Oktober vergangenen Jahres den Verein "Liela" gegründet haben. Der Name lässt sich einfach aussprechen, die gleichklingende Farbe ist das Symbol für den Feminismus.
Akzeptierende Sozialarbeit ausbauen
Der Verein mit Clara Schröder als Vorsitzende und Charlotte Schmitz als zweite Vorsitzende und ein mittlerweile auf etwa 20 Personen angewachsenes Unterstützerkollektiv setzen sich nach Leonie Amendes Aussage dafür ein, eine Lücke im sozialen Hilfesystem in Bremen zu schließen – im Sinne von akzeptierender Sozialarbeit. Schätzungen zufolge sind ein Viertel der Menschen auf der Straße Frauen. "Aber es gibt zu wenig Angebote nur für sie", stellt die Studentin fest.
Obdachlose oder auch wohnungslose Frauen haben besondere Bedürfnisse – und andere als männliche Obdachlose. Aber auf sie ist das Gros der vorhandenen Bremer Anlaufstellen ausgerichtet. "Nur wenige Frauen gehen dorthin", bestätigt eine Szene-Kennerin, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Sie hätten nach eigenen Gewalterfahrungen Angst davor, dort auf potenzielle Täter zu treffen. Die ständige Angst und Unsicherheit belastet ihr zufolge Frauen auf der Straße sehr: von Schlafentzug bis hin zu ernsten psychischen Problemen.
Sicherer Schutzraum
Folglich ist das erste konkrete Ziel des gemeinnützigen Vereins, eine sichere Anlaufstelle für sie zu schaffen: den "Liela"-Punkt. Dieser Tages- und Abendtreff sollte im Zentrum liegen, damit er schnell und gut zu erreichen sei, erklärt Leonie Amende, die sich als Schatzmeisterin bei "Liela" engagiert.
Das neue niedrigschwellige Hilfsangebot für Frauen ohne festen Wohnsitz soll keine ausgrenzen. Auch von Alkohol oder Drogen berauschten Frauen soll Zutritt zum Schutzraum gewährt werden, berichtet die Masterstudentin. "Sie dürfen dort aber nicht konsumieren." Ferner sollen Gäste Einlass haben, "die als Frauen gesehen werden".
Darüber hinaus halten die Vereinsmitglieder deutlich längere Öffnungszeiten für wichtig, wie Leonie Amende ausführt. Wohnungslose und obdachlose Frauen sollen dort ihre Grundbedürfnisse abdecken können: Essen, Trinken, Kleidung, Menstruations- und Hygieneprodukte bekommen. Darüber hinaus möchte das "Liela"-Kernteam ihnen Zugang zu Computer und WLAN ermöglichen und sie sollen sich eine Postadresse einrichten können.
Der Treffpunkt sollte möglichst viele Stunden an allen sieben Tagen besetzt sein, sagt die Masterstudentin und betont: "Nicht durch Ehrenamtliche, sondern durch geschultes Personal." Das sei wichtig, weil viele Frauen auf der Straße nicht die Ressourcen hätten, um den Weg zurück in einen geregelten Alltag allein bewältigen zu können. Aber das ist letztlich die Perspektive, die "Liela" Betroffenen geben möchte.
Partizipation als Grundpfeiler
Deshalb strebt der Verein einen partizipativen Aufbau des "Liela"-Punktes an, sprich freiwillige Zusammenarbeit. Wohnungslose Frauen sollen auf eigenen Wunsch und anonym sozialpädagogische Beratung erhalten können und ebenso an fachspezifische Einrichtungen weitervermittelt werden, zum Beispiel an eine Drogenberatung und therapeutische Angebote. Denn erst, wenn sie sich sicher fühlen, haben sie laut dem "Liela"-Kollektiv den Kopf für eine Zukunftsplanung frei.
Unterstützer-Netzwerk im Aufbau
Um den "Liela"-Punkt als sicheren Schutzort überhaupt umsetzen zu können, bemühen sich die Vereinsmitglieder nach Leonie Amendes Auskunft, ein weites Netzwerk zu spannen. Sie gehen auf Kooperationspartner zu, beispielsweise andere Träger oder Beratungsstellen. Sie haben sich bereits dem Bündnis "Menschenrecht auf Wohnen" angeschlossen und kooperieren mit dem Studiengang Soziale Arbeit an der Hochschule Bremen. Ebenso wichtig seien Direktkontakte zu Frauen, die selbst auf der Straße leben, ergänzt die Bremerin, und zu Streetworkerinnen und -workern.
Konstruktive Gespräche gebe es zudem mit der Sozialbehörde, berichtet Leonie Amende von der Suche nach Finanzierungsmöglichkeiten. Die "Liela"-Schatzmeisterin kann schon einen ersten Erfolg vermelden: "Ende Dezember kam der Fördermittelbescheid für ein 'startsocial'-Stipendium." Bei diesem bundesweiten Wettbewerb werden viermonatige Beratungen durch Fach- und Führungskräfte an ehrenamtliche Initiativen vergeben.