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Praktische Integration Schnuppern an deutschen Berufsbildern

Für ein Flüchtlingsprojekt arbeiten Airbus, SOS-Kinderdorf und das Schulzentrum Neustadt zusammen. Jugendliche aus Syrien, Afghanistan und Somalia wird die Perspektive zu einer Ausbildung aufgezeigt.
18.03.2018, 08:38 Uhr
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Von Gerald Weßel

Hans Hampe hätte es wohl kaum vermutet, was in seiner ehemaligen Werkstatt heute passiert. Denn in seiner einstigen Schlosserei haben jetzt das SOS-Kinderdorf, Flüchtlinge aus Afrika und Westasien, das Schulzentrum Neustadt und die Firma Airbus zusammengefunden. Sie alle sind Teil eines Integrations- und Ausbildungsprojekts, das 2015 begann und nun mit dem ersten Jahrgang zu Ende geht.

Seinen Anfang nahm das Vorhaben im Zuge des vor zwei Jahren stark wachsenden Zuzugs von Flüchtlingen. Hans-Günther Sanders, Neustädter Pastor im Ruhestand, kümmerte sich ehrenamtlich im Tandem mit seinem Kollegen George Okoro für die SOS-Kinderdörfer um das Thema. So traf er täglich auf junge Menschen, die nichts zu tun hatten. Ihre Zukunft war bestenfalls ungewiss. Der Integrationslotse griff zum Telefon.

Gerhard Urban, Ingenieur in der Luft- und Raumfahrt bei Airbus, nahm den Hörer ab und war sofort Feuer und Flamme. Ihm war der Anblick der Zelte auf dem Stadtwerk nur allzu geläufig, da er selbst auch in der Neustadt wohnt, und sah die Herausforderung: Den geflüchteten Jugendlichen musste eine Perspektive geboten werden, die mehr ist als einfache Hilfstätigkeit. "Das Risiko, in schlechte Milieus abzurutschen, ist einfach zu groß", begründet er auch heute noch seine Sorgen. Außerdem sei "Deutschland kein Spaßland", betont er. Es sei ein "Land der Arbeit mit höchsten industriellen Standards".

Daraus ergab sich ihr Plan: Zusammen mit dem Schulzentrum Neustadt sollten die Jugendlichen eine Ausbildung in Elektrotechnik, Programmierung und den Grundlagen der Robotik bekommen. Airbus sollte seine Fachexpertise, Personal und einiges an Mitteln bereitstellen und das Schulzentrum Neustadt integrierte das Gesamtprojekt im bestehenden System der Schulbildung für Flüchtlinge. Die Schule übernahm hierfür den theoretischen und sprachlichen Unterricht. Blieb nur noch das vorgeschriebene vierwöchige Praktikum, dass Airbus für den Großteil der Jugendlichen selbst anbieten wollte.

Allerdings fehlte ein Arbeitsort, an dem die jungen Männer vor einigen Wochen ihr Praktikum beginnen konnten. Das Gelände von Airbus war tabu. Wegen Sicherheitsauflagen dürfen die Flüchtlinge es nicht betreten – die deutschen Pässe fehlen. So machte sich Sanders auf die Suche nach einer geeigneten Lokalität in Bremen. Er wurde bei Susanne Laubsch fündig. Sie kannte er schon als Jugendliche und sie war inzwischen die Vermieterin des Hauses in der Neustadt, wo einst ihr Vater, Hans Hampe, zusammen mit seiner Frau, Gisela Hampe eine Schlosserei besaß. So wurde die leerstehende Werkstatt kurzerhand wiederbelebt. Mutter und Tochter stehen heute hier inmitten eines regen Betriebes. Jüngere und ältere Männer wuseln um sie herum, am Tisch vor ihnen wird gelötet und geprüft.

Im ehemaligen Büro von Gisela Hampe gleich nebenan wird programmiert, was die Chips als Hardware einmal verarbeiten sollen. Dabei war dies ja gar nicht geplant. Eigentlich sollten nur die Platinen hier gefertigt werden, doch in letzter Minute fiel für drei der Geflüchteten der externe Praktikumsplatz weg, sodass Ersatz gefunden werden musste. "Das können wir doch auch", sagte sich Gerhard Urban. Sein im Ruhestand befindlicher Kollege Heinrich Fischer, der bereits die Internationale Raumstation ISS mit Hard- und Software bestückte, richtete die Arbeitsplätze zum Programmieren ein. "Die Flexibilität ist das Geheimnis des ganzen Projektes", kommentiert Pastor Sanders.

Mohammed Abdullah kam alleine aus Syrien und ist froh, dass inzwischen auch seine Familie hier ist. Ihm und Ali Reza aus Afghanistan haben das Praktikum gut gefallen. Es habe nicht nur viel Spaß gemacht, sondern sie hätten auch sehr viel gelernt. Auch Mohammed Jawadi aus Afghanistan sowie Mohammed Hassan Mohammed aus Somalia sind froh über die Chance. Was danach kommt, wissen sie aber alle noch nicht.

Die Berufsorientierung für die jungen Männer wird im Sommer abgeschlossen sein. Sie erlangen auf diesem Wege den Hauptschulabschluss, und daran müsste sich eigentlich direkt eine Berufsausbildung anschließen. Am besten in der Fertigungstechnik oder Elektronikentwicklung. Doch hierfür wird der Abschluss nicht reichen. Das weiß auch Gerhard Urban. "Da ist man zu kurz gesprungen", sagt der Ingenieur. Dabei wären die Jugendlochen nach seiner Ansicht "bestens geeignet". Hier müsse man nun schauen, wie man den Jungen die Möglichkeit geben könnte, den Realschulabschluss zu machen. Aber das sei herausfordernd. "Die Berufsschule ist schwer, vor allem aufgrund der Englischanteile", sagt Urban. Auch für Heinrich Fischer ist die Sprachbarriere das größte Hindernis. Hinzu kommt die Jugendlochen mit der sehr deutsche Art des Arbeitens nach Plänen und Listen verständlicherweise noch nicht so vertraut sind. "Es mangelt an strukturierter Arbeitsweise", sagt Fischer.

Christin Wienert aus der Neustadt und Spenderbetreuerin bei den SOS Kinderdörfern in Bremen und Worpswede ist für die von den Ehrenamtlichen geleistete Arbeit für die Flücthlinge sehr dankbar. "Nur dank ihnen können wir überhaupt so viel tun", sagt sie. "Eine Kultur der absoluten Wertschätzung", sieht Hans-Günther Sanders. Bei Silvia Hauschild, die das Projekt vom Schulzentrum Neustadt betreute, verhinderte ein Fahrradunfall ihren Beitrag zum Anschluss des Projekts. Alle Beteiligten wünschen ihr gute Besserung.

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