Matthias Maurers Karriere beginnt mit einem Rückschlag: Es ist das Jahr 2009, und hinter dem Materialwissenschaftler liegen zwölf aufregende Monate. Als einer von 8500 Menschen hat er sich bei der Europäischen Weltraumagentur Esa beworben. Sein Traumjob ist nicht irgendein Beruf:
Maurer will Astronaut werden. Und es läuft gut für ihn. Er hat das richtige Fach studiert, ist gesund, spricht Englisch, Spanisch und Französisch. Er schafft es in die nächste Runde, kommt unter die 800 besten Bewerber. Es folgen etliche Tests. Wie ist sein Konzentrationsvermögen? Wie gut kann er im Team arbeiten? Wie reagiert er auf extremen Stress?
Maurer besteht alle Prüfungen: Top Ten. Alle von ihnen hätten das Zeug zum Astronauten, bescheinigt der Esa-Chef den Bewerbern. Der Saarländer macht sich Hoffnung – und wird enttäuscht. Wenig später erhält er einen Anruf: Die Esa nimmt nur sechs Astronauten in ihr Korps aufnimmt. Maurer gehört nicht dazu.
Die Geschichte könnte an dieser Stelle enden. „Wenn ihr aber ein Ziel habt, dürft ihr nicht beim ersten Fehlschlag aufgeben“, sagt Maurer an diesem Dienstag vor etlichen Schülern des Ökumenischen Gymnasiums (ÖG) in Oberneuland. Und liefert sogleich den Grund dafür, warum die Geschichte eben nicht 2009 endet, sondern fortgeschrieben wird.
Denn selbst nach der Absage vor zehn Jahren ist Maurer, der zuvor in einem medizintechnischen Unternehmen gearbeitet hat, von der Raumfahrt begeistert. Das Angebot der Esa, nicht als Astronaut, aber in anderen Projekten zu arbeiten, nimmt er an. Maurer ist glücklich, bekommt einen Job in einer Bodenstation und betreut unter anderem Alexander Gerst bei seinen Experimenten auf der Raumstation ISS. Dann, einige Zeit später, fragt ihn der Esa-Chef: „Matthias, du wolltest doch mal Astronaut werden. Willst du noch?“
„Was für eine Frage!“, sagt Maurer vor den Schülern. Seine Antwort ist allen im Physikraum des ÖG klar, schließlich wurde ihnen ein Astronaut angekündigt. 2017 hat der 49-Jährige das Training abgeschlossen. Er gehört nun zu den wenigen Menschen auf der Welt, die sich hochoffiziell Astronaut nennen dürfen. Doch wann es für ihn ins Weltall geht, ist nicht klar. Noch ist er keiner Mission zugewiesen.
Dennoch haben die Kinder und Jugendlichen an diesem Dienstagvormittag viele Fragen, auch weil einige von ihnen das Raumfahrtprofil am ÖG belegt haben, das vom Bremer Satellitenbauer OHB unterstützt wird. So wollen sie wissen, was der schwerste Teil der Astronautenausbildung für Maurer gewesen ist. Der antwortet geduldig, ruhig und ausführlich. Erzählt vom Überlebenstraining im Meer vor China, von Pulver, um Haie zu verscheuchen, und von tiefen Höhlen, in denen er mit seinen Kollegen übernachten musste.
Am schwersten aber seien die Tage im schwedischen Winter gewesen, an denen der Absturz einer Raumkapsel in Eis und Schnee simuliert wurde. Das sei wichtig, weil bei der Landung auf der Erde das Raumschiff mit den Astronauten immer mal vom Kurs abkommen und fernab der Rettungskräfte landen könne.
Eine verstopfte Toilette half Astronauten
„Ich war sehr froh, als das Training vorbei war“, sagt Maurer. Auch der Alltag auf der Raumstation ist natürlich Thema. Maurer war zwar selbst noch nicht auf der ISS, kennt er ihn aus seiner Ausbildung und seiner vorherigen Arbeit bei der Esa sehr genau. Irgendwann, erzählt Maurer, sei auf der Raumstation das Klo verstopft gewesen. Nach genauer Untersuchung hätten die Astronauten Kalkablagerungen gefunden, die die Toilette verstopften.
Doch niemand wusste, woher der Kalk kam. Erst nach einigen Überlegungen sei klar geworden, dass die Körper der Astronauten Knochen abbauten, weil sie in der Schwerelosigkeit geringer belastet wurden. In Maurers Worten heißt das: „Die Astronauten haben aufgelöste Knochen ins Klo gepinkelt.“ Eine nette Anekdote, aber auch eine, mit der er den Schülern die Bedeutung der Raumfahrt näherbringen will. Denn danach hätten Astronauten geholfen, Mittel gegen Osteoporose zu erforschen.
Doch auch die Schüler beeindrucken Maurer: Vier von ihnen haben an der Moon-Camp-Challenge der Esa teilgenommen, bei der 850 Schüler aus der ganzen Welt Entwürfe für eine künftige Mondbasis eingereicht haben. Die Bremer sind unter die besten 20 Teams gekommen, und auch Maurer, der bei der Esa schon an Mondmissionen gearbeitet hat, sieht viel Potenzial in ihrer Mondbasis. „Das ist ein ausgereiftes Konzept“, sagt er, als er das dreidimensionale Modell auf der Leinwand betrachtet. „Daran müsst ihr unbedingt weiterarbeiten. Dann habt ihr die perfekte Raumstation.“
Auch für die anderen Schüler findet Maurer ermutigende Worte. In seinem Vortrag macht er deutlich, dass es Zeit braucht, um den Weltraum zu erkunden. Wenn es gut laufe, lande der Mensch in den nächsten Jahren wieder auf dem Mond. „Eure Generation“, sagt er, „kann dann zum Mars fliegen und uns alten Säcken erzählen, wie toll es da ist.“
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