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Engagierte Bürger in Bremen Hilde-Adolf-Preis: Was das diesjährige Gewinner-Projekt auszeichnet

Die Stadtteil-Kümmerer in Obervieland reparieren Bänke und Spielgeräte, machen sauber und helfen ihren Mitmenschen. Für ihr Engagement erhalten sie nun den renommierten Hilde-Adolf-Preis.
04.09.2025, 18:30 Uhr
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Von Anke Velten

Wenn Horst Bendig zu seinen täglichen Spaziergängen aufbricht, hat er immer seinen Beutel mit Schabern und Bürsten dabei. Der 79-jährige Ingenieur ist ein „Stadtteil-Kümmerer“. Die zurzeit 16 Männer und vier Frauen aus dem Bürgerhaus Obervieland kümmern sich nicht nur um die Sauberkeit und Nutzbarkeit von öffentlichen Sitzbänken, Spielplatzmobiliar und Plätzen ihres Stadtteils, sondern auch um die Bedarfe seiner Bewohnerinnen und Bewohner. Für dieses gemeinnützige Engagement wurde das Nachbarschaftsprojekt am Donnerstag im Haus der Bürgerschaft mit dem Hilde-Adolf-Preis ausgezeichnet.

Auf die Frage, wie das alles angefangen hat, fällt sofort ein Name. „Ohne Torsten würden wir nicht hier sitzen“, betont Sven Wilhelm Andersen, 70 Jahre alt. Torsten Marold arbeitet seit 2018 als Haustechniker im Bürgerhaus. Er fand irgendwann, dass sich die Männer aus dem Stadtteil ruhig ein bisschen mehr nützlich machen könnten. „Die Frauen machten hier ganz viel. Die Männer ganz wenig“, erklärt der 63-Jährige. Bürgerhaus-Leiter Stefan Markus musste nicht lange überredet werden. Gemeinsam entwickelten beide die Idee, ein Projekt ins Leben zu rufen, das mit handwerklichen Arbeiten im öffentlichen Raum vor allem Männer ansprechen und in die Gemeinschaft holen sollte. Finanzielle Unterstützung für Werkzeug und Material gab es vom Beirat Obervieland und aus dem kommunalen WiN-Topf (Wohnen in Nachbarschaften).

Beginn zu viert

„Anfangs waren wir zu viert, unser erstes Projekt war eine Bank an der Haltestelle Links der Weser“, erzählt der gelernte Tischler. Im Laufe der Jahre wurden in der Bürgerhaus-Werkstatt 30 Bänke rundum überholt – immer in Absprache mit den eigentlich zuständigen Stellen. Jährlich reinigen die Stadtteil-Kümmerer außerdem rund 50 Bänke. Zudem entfernen sie Modder und Grünspan von Spielplatz-Rutschen und -Schaukeln – mitunter reparieren sie die Geräte auch. Die Arbeit werde nicht weniger, erklärt Marold. Es gebe immer mehr Müll und Vandalismus, gleichzeitig ziehe sich die öffentliche Hand immer mehr zurück. „Wir haben schon Bänke mit Freischneider und Heckenschere freigelegt, die man gar nicht mehr sah, weil sie so zugewuchert waren“, erzählt er.

Unter den 20 Stadtteil-Kümmerern im Alter zwischen Anfang 40 und Anfang 80 sind viele gestandene Handwerker, aber auch ganz andere Berufe vertreten. Und längst sind die Männer nicht mehr unter sich. Elke Klemme erzählt, dass sie im Bürgerhaus groß geworden sei – und vor 50 Jahren in der hauseigenen Werkstatt Unterstützung beim Bau einer Gartenbank bekam. „Die gibt´s immer noch“, erklärt die 82-Jährige. Vor zwei Jahren schloss sie sich den Stadtteil-Kümmerern an. „Wir machen alles, was anfällt“, sagt sie. „Ich find´s toll!“

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Das Engagement ist freiwillig und unverbindlich – und funktioniert dennoch hervorragend. „Jeder macht, was er kann und will, und kommt, wenn es zeitlich passt“, erklärt Udo Christoffers. Wichtige Termine im Bürgerhaus-Kalender seien die „Sperrgut-Tage“. Sieben Mal im Jahr können Bürgerinnen und Bürger Möbel, Hausrat und Haushaltsgegenstände abgeben, die sie nicht mehr benötigen, die aber zu gut zum Wegwerfen sind. „Da ist immer etwas dabei, was jemand anderes noch gut gebrauchen, aber sich vielleicht nicht leisten kann“, so der 72-jährige Feinmechaniker. In der Bürgerhaus-Werkstatt wurden auch schon Fahrräder und Kindermöbel repariert. Die Stadtteil-Kümmerer erzählen vom Glück der Obervielander Kinder, die das Paar Inline-Skates und das Kinderrad geschenkt bekamen, die in der Werkstatt überholt worden waren.

Pavel und Maxim, zwei Handwerker aus der Ukraine, sind in Obervieland zu Stadtteil-Kümmerern geworden. „Wir wurden im Stadtteil sehr herzlich aufgenommen“, erklärt der 42-jährige Pavel. „Und darum kam ich hierher und fragte: Was kann ich tun?“ Einen solchen Willen, der Gesellschaft aktiv etwas zurückzugeben, erlebe er bei den Nachbarn mit Migrationshintergrund sehr oft, sagt Torsten Marold.

"Eine sinnvolle Arbeit"

Die gute Gemeinschaft ist es, die René Noack zum leidenschaftlichen Stadtteil-Kümmerer gemacht hat. „Ich habe mich hier sofort wohlgefühlt“, erzählt der 40-Jährige. „Hier wird jeder angenommen, egal, woher du kommst und was du bist.“ Außerdem sei es eine sinnvolle Arbeit, sagt Noack. „Und man erfährt mehr Wertschätzung als an manchem bezahlten Arbeitsplatz.“ Dankbarkeit erlebten die Ehrenamtlichen durchaus, wenn sie mit ihren roten Westen im Stadtteil unterwegs seien, bestätigt Elke Klemme. Doch die innere Genugtuung, den Kindern auf Spielgeräten zuzusehen, die zuvor von den Stadtteil-Kümmerern instandgesetzt und gereinigt wurden, ist für Torsten Marold der schönste Lohn. Er sagt: „Ich freue mich dann ganz still“.

In Erinnerung an Bremens früh verstorbene Sozialsenatorin werden mit dem Hilde-Adolf-Preis seit 2005 beispielgebende Leistungen des bürgerschaftlichen Engagements und der Bürgerbeteiligung ausgezeichnet. Das Preisgeld in Höhe von 3000 Euro wird von der Bremer Tageszeitungen AG/WESER KURIER gestiftet. Eberhard Muras, der Hilde Adolf persönlich kannte, ist davon überzeugt, dass die diesjährige Wahl ganz in ihrem Sinne wäre. „Nicht meckern und fünf Briefe an die Behörden schreiben, sondern selbst etwas Gutes tun, ohne es an die große Glocke zu hängen: Sie würde hier sitzen und es genauso machen“, erklärt der Vorstandsvorsitzende der Bürgerstiftung Bremen. „Es braucht aber immer jemand, der damit anfängt“, sagt Stadtteil-Kümmerer Andersen. „Ohne Torsten wären wir nicht hier, sondern allein Zuhause vor dem Fernseher.“

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