Ein letztes Mal Hamburg besuchen und an den Landungsbrücken stehen: Dieser Wunsch ist für Ute Jendrek in Erfüllung gegangen. Für die sterbenskranke Frau aus Bremen möglich gemacht hat das der Verein Lebenswunsch. Was der Tag an der Elbe für die Betroffene und ihre Familie bedeutet hat, lässt ein Foto erahnen.
Ein besonderes Familienfoto
Auf dem Bild stehen sie eng beisammen: In der Mitte ist Ute Jendrek zu sehen. Mit einer Mütze auf dem Kopf gegen die steife Brise an der Elbe sitzt sie auf einer Krankenliege, warm eingepackt unter einer grellgelben Decke. Um sie herum scharen sich ihr Mann Matthias, ihre zwei erwachsenen Töchter mit Partnern und ihre Enkelkinder. Der Dreijährige sitzt auf einem Bobbycar, das jüngste Familienmitglied ist in einem Tragetuch mit dabei. Die Familie lächelt in die Kamera, Ute Jendrek zeigt ein strahlendes Lachen. Für einen Moment an diesem Tag im Mai scheint der nahe Tod vergessen und nur das Beisammensein wichtig zu sein.
Viele schöne Erinnerungen verknüpft das Ehepaar Jendrek mit seinen früheren Hamburgbesuchen. Unternehmungen mit Freunden und Familie, Konzerte in der Elbphilharmonie, leckeres Essen, Flanieren an der Elbe. Ein letztes Mal Hamburg also soll es sein, auch wenn die Krankheit der 62-Jährigen immer weniger Kraft zum Leben übrig lässt.
Rettungssanitäter sind dabei
Kurz vor der Aufnahme des Familienfotos haben zwei mitgereiste Rettungssanitäter die 62-Jährige die steilen Treppen zu den Landungsbrücken hinuntergetragen und genau dorthin gerollt, wo der Blick auf die Elbphilharmonie am schönsten ist. Es gibt – natürlich – ein Fischbrötchen auf die Hand. Und auch ein Regenschauer kann die Gruppe nicht vorzeitig vertreiben. "Ich bin zum letzten Mal hier", sagt Jendrek. Sie bleiben.
Auf dem Heimweg machen die Sanitäter dann noch einmal kurz halt und öffnen die Türen des Krankenwagens ganz weit – so kann die Bremerin auch noch einen Blick auf die "Michel" genannte St.-Michaelis-Kirche erhaschen. "Sie hat Hamburg sehr geliebt, das war ihr Diamantentag", sagt der heutige Witwer Matthias Jendrek. Ein Tag von unschätzbarem Wert – auch für den Rest der Familie.
Hilfe beim Abschiednehmen
Natürlich sei es ihm schwergefallen, den Gedanken an den bevorstehenden Abschied für diesen Moment beiseite zu schieben. Heute sei er aber dankbar, dass die Familie diesen Tag noch gemeinsam erleben durfte. Wenige Wochen später ist seine Frau im Hospiz Sirius in Arsten gestorben. "Ohne dieses Erlebnis würde mir heute wirklich etwas fehlen", sagt Jendrek. Das Schönste daran sei gewesen, "dass alles genauso abgelaufen ist, wie es sich meine Frau vorgestellt hat". Rückblickend habe der Tag in Hamburg ihm selbst auch dabei geholfen, "zuzulassen, dass die Situation nun einmal so ist". Ohne die Hilfe des Vereins Lebenswunsch, so sagt er, wäre es nicht möglich gewesen, seiner Frau diesen letzten Wunsch zu erfüllen.
Von Stadionbesuch bis Pferdestreicheln
Von dem Verein und seiner Arbeit erfahren hat die Familie Jendrek über eine Pflegekraft im Hospiz. Sie hören von dem Angebot, sterbenskranken Menschen Wünsche zu erfüllen. Ein letzter Stadionbesuch beim Lieblingsverein. Ein letzter Ausflug ans Meer oder auf ein Konzert der Lieblingsband. Wenigstens einmal in einem Segelflugzeug mitfliegen, wenn schon keine Zeit mehr bleibt, wie geplant den Flugschein zu machen. Oder auch einfach noch einmal ein Pferd streicheln, den Grabstein eines geliebten Menschen besuchen oder bewusst Abschied nehmen vom eigenen Haus, in dem ein Leben mit schwerer Krankheit zuletzt nicht mehr möglich war. "Wir versuchen eigentlich immer, alles möglich zu machen", sagt Peter Löhmann aus dem Vereinsvorstand.
Meistens muss es schnell gehen
Nur wenige Tage, nachdem der Wunsch formuliert war, hatte der Verein die Fahrt im Rettungswagen nach Hamburg bereits organisiert. "Wenn ein Wunsch von Gästen in einem Hospiz an uns herangetragen wird, muss es erfahrungsgemäß meistens sehr schnell gehen", sagt Löhmann. Der Verein habe sich zum Ziel gesetzt, besonders die erlebte Freude am Lebensende in den Vordergrund zu stellen und über die Hospizarbeit zu informieren.
Er engagiert sich seit sechs Jahren ehrenamtlich für den Verein und ist im Vorstand für den Bereich Bremen verantwortlich. Der gemeinnützige Verein ist im gesamten Nordwesten aktiv und kooperiert mit zahlreichen Hospizen und Palliativstationen. Die Ausflüge und Aktionen, um todkranken Menschen einen letzten Wunsch zu erfüllen, werden mit Spenden finanziert.
Hilfe mit Herz
Ausschlaggebend für sein Engagement sei ein Erlebnis während seiner früheren Berufstätigkeit bei der Sparkasse Bremen gewesen, erzählt Löhmann. Für ein Programm für Führungskräfte habe ihn sein Arbeitgeber einen Monat lang freigestellt, damit er bei einer sozialen Einrichtung hospitieren kann. In Löhmanns Fall ein Hospiz, "in dem ich miterlebt habe, was Wertschätzung wirklich bedeutet, das hat meine Sichtweise und auch meinen Führungsstil völlig verändert", sagt der ehemalige Banker.
Für ihn sei nach wie vor bemerkenswert, "wie herzlich die Menschen sind und wie viele uns bei der Wunscherfüllung helfen wollen". Von Pflegekräften und Rettungssanitätern, über Veranstalter und Gastronomen bis hin zu Prominenten – "die Hilfsbereitschaft ist sehr groß, da geht einem richtig das Herz auf", sagt Löhmann. Etwa 300 Wünsche habe der Verein bisher seit seiner Gründung im Jahr 2017 erfüllt. "Und weitere Anfragen sind jederzeit willkommen."