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Ortsamtsleiter Ulrich Schlüter "Jede Schule ist eine Zukunftsinvestition"

Der Osterholzer Ortsamtleiter Ulrich Schlüter sieht für das kommende Jahr besonders im Bereich der Kita- und Schulversorgung Schwerpunkte in der Ortspolitik.
06.01.2022, 05:00 Uhr
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Von Christian Hasemann

Herr Schlüter, das Coronavirus bestimmte auch das Jahr 2021, aber welche anderen Themen haben Sie im abgelaufenen Jahr besonders bewegt, und warum?

Drei große Themen waren aus meiner Sicht prägend. Dies ist zum einen das Hochwasser in zwei Bundesländern in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Ich fand es beeindruckend, wie groß die Solidarität der Menschen mit den vom Hochwasser betroffenen Gebieten war und ist. Ich bedanke mich insbesondere beim THW Ost, dass diese dort ehrenamtlich über Wochen mitgeholfen haben.

Ein weiteres Thema beschäftigt mich rund um die Corona-Pandemie. Nämlich die Frage, wie solidarisch die Mitbürger in Deutschland sind im Zusammenhang von Freiheitsrechten und der Frage, sich zum Beispiel impfen zu lassen oder auch „Einschnitte“ in ihre Freiheitsrechte zuzulassen, um andere Menschen zu schützen. Alle Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft sind aufgefordert einer „Spaltung“ der Gesellschaft entgegenzuwirken, um gemeinsam die Folgen der Pandemie zu überwinden.

Was ist das dritte Thema?

Mich beschäftigen der jüngste Armutsbericht und auch die Frage, was passiert eigentlich mit den 20 Prozent männlichen jungen Erwachsenen ohne Schulabschluss in den benachteiligten Gebieten? Wer kümmert sich darum, dass diese jungen Männer einen Platz im ersten Arbeitsmarkt finden? Nach wie vor finde ich es unzureichend, Menschen aufgrund ihrer Auffälligkeit rund um den Hauptbahnhof zu verdrängen, aber gleichzeitig kein Konzept in der Tasche zu haben, was wirklich mit den 4.000 bis 5.000 Drogenabhängigen in Bremen passiert. 

Was ist Ihre Kritik?

Dieser Personenkreis steht am Rande der Gesellschaft, ohne dass er wirklich wahrgenommen wird
und Ideen entwickelt werden, um diese Problematik anzugehen. Dies ist nicht nur eine Frage der inneren Sicherheit, sondern vor allem eine soziale aber auch arbeitsmarktpolitische Fragestellung.

Das zweite Jahr Corona liegt hinter uns – was hat gut geklappt in Osterholz, wo sehen Sie Verbesserungsbedarf?

Ich hätte mir gewünscht, dass wir von den zuständigen Behörden in den Ortsämtern besser informiert würden, wo gerade Corona-Ausbrüche stattfinden. Wir haben weder von den Schulen noch von  den Kitas und auch von den sozialen Einrichtungen auf direktem Wege diesbezügliche Informationen bekommen. Allerdings muss man auch sagen, dass selbstverständlich die Handlungsmöglichkeiten vom Ortsamt und Beirat eingeschränkt sind. Trotzdem gibt es entsprechende Informationsrechte der Beiräte, die insoweit auch von den vorgenannten Behörden einzuhalten sind.

Unternimmt die Stadt genug, um Impfungen auch in sozial schwachen Ortsteilen zu bekommen?

Sicherlich haben wir auf entsprechende Anfrage hin auch positive Veränderungen erfahren. Ganz zu
Anfang sind die Gesundheitsfachkräfte zu nennen, die uns gerade bei der Bekämpfung der Pandemie
sehr gut unterstützt haben.

Was brauchen gerade die sozial schwächeren Ortsteile wie Tenever, um mit der Corona-Pandemie fertig zu werden?

Nachdem vor Kurzem die sogenannten Impftrucks in den Win-Gebieten (Wohnen in Nachbarschaften) vorübergehend eingestellt wurden, hatte ich mich an die zuständigen Stellen gewandt, diese auch in den nächsten Wochen und Monaten fortzusetzen. Ich hatte dies damit begründet, dass wir nach wie vor in unseren Hochhausgebieten viele Mitbürger haben, die keinen Hausarzt haben beziehungsweise wo der Hausarzt keine Impfungen durchführt.

Zudem wird es wichtig sein, auch in den Hochhausvierteln, insbesondere aber in Tenever, Blockdiek und Schweizer Viertel, wohnortnahe Corona-Testzentren vorzuhalten. Auch muss überlegt werden, ob man beispielsweise nicht den Streetworkern ermöglicht, kostenfrei Masken und Corona-Tests an Bedürftige abzugeben. In vielen sozial schwächeren Ortsteilen sind nach wie vor die Deutschkenntnisse sehr begrenzt, sodass es notwendig ist, wichtige Informationen rund um die Corona-Epidemie auch mehrsprachig bekannt zu geben und möglichst auch in einfacher Sprache. 

Ein anderes Thema, das bewegt: Neubaugebiete. Der Ellener Hof wächst und auch an anderen Stellen wird gebaut in Osterholz. Worauf kommt es nun an?

Erst einmal freue ich mich darüber, dass an vielen Stellen im Stadtteil Osterholz gebaut wird. Investitionen in den Stadtteil sind Investitionen in die Zukunft. Zudem verdeutlichen diese Bautätigkeiten auch, dass es insgesamt mit dem Stadtteil vorangeht. Wichtig ist, die Neubürgerinnen und Neubürger mitzunehmen. Jedem Neu-Osterholzer und jeder Osterholzerin empfehle ich, sich den örtlichen Vereinen und Institutionen anzuschließen, um so sehr schnell seine Nachbarn kennenzulernen, aber vielleicht auch die deutsche Sprache zu erlernen, und auch die Sitten und Gebräuche der neuen Umgebung kennenzulernen.

Zwei Schulneubauten sind in Osterholz geplant, was bedeutet das für den Stadtteil?

Natürlich bedeuten die neue Grundschule, aber auch die Oberschule, dass der Druck auf die übrigen
Schulen, sich zu erweitern, geringer wird. Sollten sich diese Schulbauten tatsächlich im südlichen Teil
des Ortsteiles Osterholz realisieren lassen, so bedeutet dies eine Entlastung für den Schulstandort Osterholz. Allerdings gibt es auch bei den anderen Schulen im Stadtteil kritische Stimmen und Befürchtungen, dass beispielsweise einzelne Lehrer abgeworben werden oder wechseln und die Situation insgesamt in den Schulen dadurch nicht einfacher wird. Dies ist sicherlich eine wichtige Aufgabe der Schulbehörde, die Ideen und Vorstellungen der weiteren Schulen im Stadtteil Osterholz mit einfließen zu lassen und Lehrer, Eltern und die jeweiligen Schulgremien mitzunehmen genauso wie den Beirat Osterholz. Es gilt aber auch hier der Grundsatz, dass jede neue Schule eine Investition für unsere gemeinsame Zukunft ist.

Die Helmut-Schmidt-Berufsschule soll hingegen komplett umziehen. Ist das ein Verlust für den Stadtteil?

Die Helmut-Schmidt-Berufsschule bedeutet die Möglichkeit für junge Menschen, auch über einen Berufsschulabschluss weitere Qualifikationen zu erhalten. Wie bereits das Beiratsmitglied Andrea Schönfelder auf der Beiratssitzung formulierte, ist nicht sicher, dass die Jugendlichen ein solches Angebot im Bremer Westen auch annehmen werden. Es gibt die Befürchtung, dass etliche dort auf der Strecke bleiben werden.

Gibt es auch Chancen?

Andererseits wird natürlich bei einem Wegzug der Schule das Schulgebäude zumindest als Zwischennutzung anderen Schulen im Stadtteil Möglichkeiten bieten, um so Überhänge räumlich unterzubringen. Allerdings wurden bereits vonseiten der verantwortlichen Pädagogen Vorbehalte geäußert hinsichtlich der Nutzbarkeit einer Berufsschule für jüngere Schuljahrgänge. Auch diese Bedenken müssen noch mit den Gremien vor Ort, aber auch der Schulbehörde diskutiert werden, bevor ein solcher Umzug und eine Zwischennutzung stattfinden können.

Auf welche Bauprojekte schauen Sie mit Spannung? Wo sollten Osterholzer in kommenden Jahren genau hinschauen?

Sicherlich werden weitere Gebäude im neuen Ellener Hof architektonisch, aber auch inhaltlich, den
neuen Ortsteil prägen. Gleichzeitig wird auch in Kürze mit dem sogenannten Schweizer Foyer begonnen, wo insbesondere am Marktplatz Osterholz ein herausragendes Gebäude mit verschiedenen sozialen Nutzungen, aber auch dem Ortsamt und dem Quartiersmanagement Schweizer Viertel realisiert wird.

Was für Neubauten braucht es noch?

Schon seit vielen Jahren bemüht sich die Freiwillige Feuerwehr um einen Neubau, der allerdings nicht
vor 2029 kommen wird. Hier gilt es, auch der Feuerwehr die notwendige Unterstützung zu geben, dass auch diese wichtige Institution dauerhaft in Osterholz erhalten bleibt. Zudem wird im sogenannten Nordquartier in Tenever ein neuer Gebäudekomplex entstehen mit einem neuartigen Supermarkt, aber auch Wohnungen und einer Tiefgarage. Diese Gebäude werden in dieser Form in Bremen völlig neuartig sein und ein besonderer architektonischer Höhepunkt in Tenever werden.

Im Weserpark hat die Oase wiedereröffnet, zugleich gibt es dort zwei neue Restaurants, der Bau von Möbel Höffner steht bevor – kann der Stadtteil davon profitieren?

Die Informationen hinsichtlich der Wiedereröffnung der Oase sind so nur unvollständig. Da es dort zwei Gesellschafter gibt, gibt es auch unterschiedliche Informationen für das Ortsamt. Anders ist dies bei den beiden Restaurants „The Ash“ und die „Osteria“, die beide ein Highlight insbesondere im Sommerhalbjahr bieten. Der Bau von Möbel Höffner war lange angekündigt und wird eine Besonderheit darstellen. Sowohl Möbel Höffner, aber auch über Radio Bremen ist uns signalisiert worden, dass zum Beispiel im neuen Möbelhaus auch an den ehemaligen Radio Bremen-Standort erinnert wird.

Mit welchen Themen werden sich der Beirat und das Ortsamt im kommenden Jahr noch befassen müssen?

Wie bereits angedeutet, werden sicherlich die Frage des ausreichenden Schulraums, aber auch der
Kita-Plätze zumindest das erste Halbjahr 2022 prägen. Es gilt dort wichtige Beschlüsse zu fassen,
sodass die Schulen und Kitas auch weitergebaut werden können. 

Was wünschen Sie sich für Osterholz im kommenden Jahr?

Ein Beiratsmitglied hat vor wenigen Tagen die Frage gestellt „Brauchen wir in Osterholz wirklich die Cafés wie Café Abseits, Café Blocksberg, Café Schweizer Viertel oder Café im Mehrgenerationenhaus?“. Diese Frage hat mich tatsächlich nachdenklich gemacht. Ich möchte dies mit einem eindeutigen Ja beantworten. Gerade diese neuen Cafés sind die früheren Eckkneipen, wo geraucht und wo auch Bier getrunken wurde, wo aber auch Nachbarschaften zusammengekommen sind. Derzeit wird es deutlich wie selten zuvor, wenn Nachbarschaften aufhören aufeinander acht zu geben, wenn jeder an sich denkt, aber nicht an die Gesundheit des anderen.

Das heißt?

Wir brauchen niederschwellige Treffpunkte, wo man bei einem Kaffee und einem Stück Kuchen miteinander ins Gespräch kommt und über Dinge der Nachbarschaft diskutiert. Wenn dabei auch noch eine Tageszeitung gelesen wird, informieren sich Menschen über das Geschehen im Stadtteil, aber auch darüber hinaus. Gerade in den letzten zwei Jahren, wo das Für und Wider rund um die Pandemie in den öffentlichen Medien diskutiert wurde, wurde deutlich wie wichtig freie Rundfunk und freie Presse sind. Wir können froh sein, dass bei uns dies funktioniert und nicht von „oben“ vorgegeben wird. Wir sollten diese Möglichkeit auch allen nahebringen, auch denen, die bisher davon keinen Gebrauch machen.

Das Gespräch führte Christian Hasemann.

Zur Person

Ulrich Schlüter

Seit 22 Jahren ist Schlüter Ortsamtsleiter in Osterholz und damit einer der dienstältesten Ortsamtsleiter in Bremen. Der 60-Jährige hat in Bielefeld und Göttingen Jura studiert und als Rechtsanwalt in Bremen gearbeitet. 1999 wurde Schlüter erstmals zum Ortsamtsleiter für den Stadtteil Osterholz gewählt.

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