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Rat-und-Tat-Zentrum Bremen Seit 40 Jahren gegen Diskriminierung und für Vielfalt

Seit 40 Jahren berät das Rat-und-Tat-Zentrum queere Menschen. VIeles hat sich in dieser Zeit verändert. Gleich geblieben ist die DIskrimierung von queeren Menschen, sagt Geschäftsführer Christian Linker.
21.11.2022, 05:00 Uhr
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Von Matthias Holthaus

„Mit den neuen Räumlichkeiten haben wir richtig Glück gehabt“, sagt Christian Linker von „Rat-und-Tat-Zentrum – Zentrum für queeres Leben". Die neuen Räume befinden sich seit Oktober 2021 in der Hollerallee 13 und sorgen neben dem Haus im Viertel in der Theodor-Körner-Straße 1 für ein weitreichendes Beratungsangebot. Ein Glücksfall, betont Christian Linker noch einmal – denn: „Etwas Barrierefreies in Bremen zu finden, ist eine Katastrophe“. Zu wenig Platz sei im Haus im Viertel, außerdem gebe es zu viele Barrieren – im Viertel, aber auch im Gebäude selbst: „Das ist ein Altbremer Haus und mehr als 150 Jahre alt“.

Mehr als 150 Jahre hat das Rat-und-Tat-Zentrum jedoch noch nicht auf dem Buckel – sein erstes Domizil fand es im Dezember 1982 in der Straße Auf den Häfen. Es wird also demnächst 40 Jahre alt, doch trotz des Umzugs drei Jahre später ins Viertel und der Erweiterung in der Hollerallee bleibt die Kernaufgabe des eingetragenen Vereins bestehen: die kompetente, kostenlose Beratung queerer Menschen in allen Lebensbereichen – für alle Menschen, die sich nicht heteronormativ definieren.

Aufklärungsarbeit in Schulen

Nicht nur baulich, auch personell hat sich im Laufe der Zeit etwas getan: Unlängst habe durch den Beschluss der Bürgerschaft eine Stelle für die Aufklärungsarbeit in Schulen geschaffen werden können. „Das ist aber ein Tropfen auf den heißen Stein angesichts der Anzahl der Schulen in Bremen“, sagt Christian Linker. Ehrenamtliche Mitarbeitende übernähmen zwar ebenfalls diese Aufklärungsarbeit. „Doch in Schulklassen, in denen Menschen bereits gewaltbereit sind, sind Grenzen erreicht. Dort geht es um Gewaltprävention, und Ehrenamtliche sind da überfordert.“

Gewalt und Sicherheit von Menschen der queeren Community sind demnach weiterhin zentrale Themen, auch angesichts der jüngsten gewalttätigen Vorfälle in öffentlichen Verkehrsmitteln. „Insbesondere Transpersonen haben große Angst im öffentlichen Raum, und das hat sich in den vergangenen Wochen noch verstärkt“, berichtet er. „Sie verlassen das Haus nicht gerne, und die dunkle Jahreszeit macht die Situation nicht einfacher. Viele Menschen nehmen dann auch lieber das Fahrrad, um eventuellen Situationen zu entkommen. Da merken wir, dass die Verunsicherung zugenommen hat.“

Männlichkeitsbilder und das soziale Umfeld

Zwei Probleme sind dabei seiner Ansicht nach von Bedeutung: „Männlichkeitsbilder und das soziale Umfeld. Die zumeist jungen Männer fühlen sich angegriffen und reagieren mit irrationalen Handlungen.“ Eine Rolle spiele dabei aber auch ein Gefühl der Ohnmacht gegenüber gesellschaftlichen Entwicklungen – so gebe es grundsätzlich Probleme mit orthodox-religiösen Gruppen, unabhängig davon, ob nun das Christentum oder der Islam betroffen ist. „Es geht um die radikale Auslegung der Religionen.“

Probleme mit Gewalt erleben die Mitarbeitenden des Rat-und-Tat-Zentrums aber nicht nur durch die Berichte von betroffenen Ratsuchenden, sondern auch aus erster Hand. Beleidigungen fallen darunter, aber auch regelmäßige Eierwürfe gegen Wände und Fensterscheiben. „Rohes Fleisch und auch Fisch werden in die Luftschächte gesteckt, Buttersäure vor dem Haus versprüht“, berichtet Christian Linker, „das ist Hasskriminalität, und das tun Menschen nur, wenn sie ausreichend motiviert sind. Die Provokation besteht für sie im Dasein, zum Beispiel der Transpersonen.“ Was kann also dagegen getan werden? „Wir können den Menschen, die noch zu überzeugen sind, zeigen, dass Vielfalt in der Gesellschaft keine Belastung darstellt, sondern eine Bereicherung.“

Diskriminierung im Alltag

Dass diese Vielfalt nicht nur Anlass ist für kriminelle Handlungen ist, sondern auch im Alltag belastet, weiß Christian Linker ebenfalls zu berichten. „Die Formen der Diskriminierung können vielfältig sein: Probleme am Arbeitsplatz etwa oder im Bewerbungsverfahren. Als Transperson zum Beispiel ist es nicht einfach, sich zu bewerben. Oder auch bei Ärzten tritt Diskriminierung auf, etwa dann, wenn Patienten mit HIV immer den letzten Termin des Tages bekommen.“

Die Betreuung von HIV- und Aids-Erkrankten sowie die Beratung über dieses Themengebiet war zunächst auch die Hauptaufgabe des Vereins gewesen. Und auch eine psychische Begleitung der Menschen, die chronisch erkrankt seien, sagt Christian Linker. „Die Diagnosen machen viel mit den Menschen. Und auch Diskriminierungserfahrungen führen oft zur Entwicklung oder Verstärkung chronischer Erkrankungen. Das Physische geht mit dem Psychischen Hand in Hand. Und es ist dann ein Teil der Beratung, diese Menschen aufzufangen und zu stärken, damit umgehen zu können.“ Insofern sei der Standort im Viertel auch so wichtig: „Er ist ein Schutzraum für queere Menschen.“ Dieser Schutzraum biete zudem Schutz davor, sich ständig erklären zu müssen. „Dabei sollte man die Leute eher fragen, was sie betrifft. Es kommt darauf an, Stereotype abzulegen und nicht automatisch von sich auf andere zu schließen. Sich nicht selber zum Maßstab zu nehmen, sondern zu akzeptieren, dass andere Menschen anders leben und anders handeln.“

Wünsche für die Zukunft

Eine Therapie kann und möchte das Rat-und-Tat-Zentrum nicht ersetzen. Zwar beschäftige das Zentrum auch Psychologinnen, doch bestehe das Angebot eher in der Begleitung von Prozessen. „Man muss speziell geschult sein, zu erkennen, wenn etwas in der Person ausgelöst wird. Qualifizierte Personen können das unterstützen und einordnen“, so Linker.

Nach 40 Jahren Rat-und-Tat-Zentrum hat Christian Linker immer noch Wünsche: „Dass Diskriminierungen weiter abnehmen und sich die Gesellschaft weiterentwickelt. Und dass Vielfalt als Bereicherung angesehen wird.“

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Info

Informationen über das Rat-und-Tat-Zentrum sind unter www.ratundtat-bremen.de erhältlich.

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