Das Leben am Fluss hat Menschen immer gereizt. Flüsse fungieren als Landesgrenzen, Wasserwege, Nahrungsquelle, liefern Kühlwasser für Fabriken, locken Wassersportler und Erholungssuchende. Auf 42 Kilometern fließt die Weser von Hemelingen bis Rekum durch das Stadtgebiet Bremens. Vor allem der Charakter von Bremen-Nord ist geprägt durch Schiffbau, Walfang, Fischerei, Kahnschifffahrt und Lotswesen. Hier entstand der ältesten künstliche Hafen Deutschlands - vermutlich um 1620. Dieter Meyer-Richartz, ist Kapitän und Vorsitzender des Vereins "Maritime Tradition Vegesack Nautilus", der die hiesigen auch die Signalstation an der Weserpromenade betreut. "Ich bin Vegesacker in fünfter Generation", sagt der 83-Jährige. Zeitlebens hat er sich mit der Seefahrt befasst, hat es vom Schiffsjungen zum Kapitän geschafft und ist über die Weltmeere gefahren.
Der Vegesacker kennt aber auch die Weser wie seine Westentasche. "Von hier bis zum Bunker in Farge-Rekum misst die Nordbremer Wasserlinie zehn Kilometer", sagt Dieter Meyer-Richartz allerdings erst nach einem prüfenden Blick auf eine Karte. "In der Mitte der Weser verläuft die Grenze zu Niedersachen", sagt er und fügt schnell hinzu: "Zumindest der überwiegende Teil. Es gibt auch auf der anderen Uferseite ein kleines Stück Bremen."
Im Jahr 1986 hat Meyer-Richartz sogar die Uferlinie Vegesacks vermessen. "Mit einem Maßband", wie er sagt. Das Ergebnis: Die Strecke zwischen dem Podest des Lesum-Anlegers via Schulschiff zur Hafenbrücke und von dort zur Hafenkneipe „Grauer Esel“ bis zum „Utkiek“ und schließlich zum früheren Gelände der "Bremer Bootsbau" beträgt 1852 Meter. "Das entspricht einer Seemeile", sagt Meyer-Richartz. Kurzum: Vegesacks "Maritimer Meile".
Hier und andernorts wimmelte es bis Mitte des 19. Jahrhunderts von Lachsen. Damals hätten die Mägde so viel Lachs zubereitet, dass er den Leuten schon zu den Ohren rauskam, weiß der Vegesacker. Mit zunehmender Verschmutzung der Weser seien die Tiere abgewandert. "Seit der Wiedervereinigung ist die Weser wieder sauber und der Fischbestand hat sich erholt, aber die Lachse sind nicht zurückgekehrt."
Als Kind hat Meyer-Richartz - trotz der Gezeiten und der Bugwellen vorbeifahrender Schiffe - in der Weser gebadet. "Das war und ist hier verboten", betont er, "aber wir sind als Teenager in der Weser geschwommen - mit Abdrift, wenn Binnenkähne vorbeikamen." Die Strömung habe damals aber maximal eine Geschwindigkeit von zwei Stundenkilometern gehabt. "Heute sind es etwa 3,5 Stundenkilometer." Manchmal seien sie sogar auf die Kähne geklettert und von dort in die Weser gesprungen. Meyer-Richartz: "Die Kapitäne haben vorne gestanden und geschimpft, aber die konnten uns ja nix."
Als Verkehrswege sind die Flüsse schon immer attraktiv gewesen. "Trotz der Piraterie. Schließlich konnte man über das Wasser vielmehr Ladung von A nach B schaffen", so der Kapitän. Die hiesigen Kahnschiffer hätten dafür den Tidenhub genutzt. Wegen der Gezeiten mussten sich die Anrainer aber immer mit künstlichen Wällen und Dämmen gegen Hochwasser schützen.
Etliche Sturmfluten sind dokumentiert. Tausende Menschen kamen ums Leben. Als besonderes tragische Katastrophe ging die Sturmflut in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 in die Annalen ein. Das Fazit einer Nacht: 61 Deichbrüche und 340 Tote an Weser und Elbe. Allein in Bremen starben sieben Männer und Frauen. In Farge wurden Anwohner gerettet, die bereits bis zum Hals im eiskalten Wasser standen.
Diese Sturmflut war ein Schlüsselereignis für den Küstenschutz. Sturm peitschte, die Wellen türmten sich auf und die Deiche liefen über. Nach der Katastrophe wurden vorhandene Deiche ertüchtigt und neue Schutzwälle und Spundwände errichtet. Eine Mammut-Aufgabe, die bis heute andauert. Dieter Meyer-Richartz: "Der Tidenhub war bis zum Bau des Weserwehrs bis Verden spürbar. Nach der schweren Sturmflut 1962 wurde das Wehr in Hastedt gebaut, aber der Tidenhub ist hier immer noch vier Meter."
Rolf Noll, Vorsitzender des "Vegesacker Kutter- und Museumshaven-Vereins", verweist auf die Markierungen am benachbarten Restaurant "Grauer Esel". "Da konnte man von innen schon oft die Fische durch die Fensterscheiben beobachten", sagt der 81-Jährige. Tatsächlich stehen die beiden Gasthäuser "Grauer Esel“ und "Havenhaus“ bei Sturmfluten regelmäßig unter der Wasserlinie, haben aber einen speziellen Hochwasserschutz aus Stahltoren und Panzerglasfenstern - auch eine Konsequenz aus der Sturmflut von 1962.
"Ich war bei der letzten Flut draußen auf der Klappbrücke am Vegesacker Hafen, aber die war kurz darauf nicht mehr begehbar", sagt der Rolf Noll und erklärt: "Die Flutwelle kam ganz langsam angerollt. Sie entsteht bei sehr, sehr starkem Nordwestwind." Die Spundwand am Haven Hööft habe etwa 35 Zentimeter unter Wasser gestanden. "Wir hatten plötzlich einen sehr viel größeren Hafen", sagt Noll mit einem Augenzwinkern und ergänzt: "Die Bootsstege waren plötzlich höher als die Hafenkante." Die Rammpfeiler hätten die Schiffe aber gut fixiert, ich musste allerdings abhauen, sonst hätte ich nasse Füße gekriegt."