„Gestatten: Schneider“, stellen sich die Musikanten im "Horizont" zunächst ihren Zuhörern vor – als sei dies nach langer heimischer Live-Abstinenz vonnöten. Doch diese erinnern sich noch gut und vollenden: „Rübenschneider!“. Die hiesigen Punk'n'Roller gaben sich aus einem besonderen Grund die Ehre in der Alten Hafenstraße: Handelte es sich bei dem Auftritt doch um eine Releaseparty für ihr aktuelles Albums „Angry Beet Shredder“. Dieses veröffentlichten „Rübenschneider“ schon vor zweieinhalb Jahren. Ursprünglich war die entsprechende Releaseparty für den 4. April 2020 angesetzt – damals noch in der alten 'Horizont'-Location. "Diese mussten wir am 18. März absagen, weil zu dem Zeitpunkt gar nichts mehr ging. Aber jetzt sind wir ja hier, noch nicht mal ganz 1000 Tage später“, gibt Frontmann „Matzek Rübenschneider“ im bandtypischen Humor zu Protokoll.
Zu diesem passt es auch, dass der Konzertabend gleich in mehrfacher Hinsicht eine etwas skurrile Note aufweist: Als sei ein um knapp zweieinhalb Jahre verspätetes Releasekonzert nicht bereits bemerkenswert genug, erweist sich auch die improvisierte, ebenerdige Bühne inmitten zahlreicher Pokale und hübsch gerahmter Erinnerungsfotos auf den ersten Blick nicht eben zwingend als „Punkrock-prädestiniert“.
Ein Umstand, der die Punk'n'Roller zu einer weiteren potentiell skurrilen Note verleitet: Ausgerechnet „Rübenschneider“, deren Punk'n'Roll über weite Strecken so herrlich roh und rotzig klingt, als läge ihr Proberaum nicht in Lüssum im Jahre 2022, sondern im englischen Bristol in den ausklingenden Siebzigerjahren – der Hochzeit der ersten Punkwelle also – zeigen sich in Sachen technischer Ausrichtung völlig im digitalen Zeitalter angekommen und verzichten sowohl auf analoge Verstärker als auch ein herkömmliches Schlagzeug.
Stattdessen nimmt Drummer „Olek Rübenschneider“ an einem E-Drumkit platz, seine Bandkollegen jagen ihre Saitenintrumente durch kompakte Fußpedale direkt ins Mischpult – und erzeugen auf diese Weise tatsächlich einen angenehm rumpelnden, erstaunlich authentischen und keineswegs zu lauten Sound, mit dem das Quartett neben fast allen Songs ihres aktuellen Albums auch zahlreiche Songs ihres Erstlings „Bauernhausmusik“ durch die Boxen drückt.
Wie man beide Alben einfach voneinander unterscheidet, erklärt „Matzek Rübenschneider“ nebenbei: „Das eben war ein Song von der Neuen, also der Schwarzen – jetzt kommt wieder einer von der alten, also der Roten“. Die Aussage bezieht sich natürlich auf die Farbgebung der Cover.
Allerdings überlassen es „Rübenschneider“ nach wie vor grundsätzlich ihren Zuhörern, ob sie die Arbeit der Musikanten auch finanziell honorieren möchten: Beide Alben stehen auf zahlreichen Internetportalen auch zum Gratis-Download bereit; sind als herkömmliche CD-Alben jedoch sowohl über die Homepage der Band bestellbar als auch in ausgewählten Geschäften wie „Tiny Vintage“, „Hot Shot Records“ und auch dem „Horizont“ erhältlich.
Gemäß dieser Attitüde schaffen es „Rübenschneider“ auch an diesem Abend, trotz etwas unorthodoxer Rahmenbedingungen authentisches Punk'n'Roll-Feeling zu erzeugen und mit fortlaufender Spielzeit auch das anfangs noch etwas reserviert wirkende Publikum im gut gefüllten „Horizont“ mehr und mehr aus der Reserve zu locken. Altes und Neues Songmaterial ergänzt sich im Programm zu einem nahtlosen Fluss. Ein Resultat der Bandphilosophie, die „Matzek Rübenschneider“ wie folgt erklärt: „Wir verfeinern unseren Stil grundsätzlich nicht, sind keine Virtuosen und geben uns auch keine Mühe. Das Wichtigste ist für uns der Zusammenhalt und dass es innerhalb der Band weder Streit noch Stress gibt“.
Solchen gibt es auch am Konzertabend im Horizont nicht. Stattdessen sorgen „Rübenschneider“ für einen soliden Punkrockabend, der zwar ohne jegliche Pogo-Einlagen auskommen muss, die zahlreichen Zuhörer dennoch rundum zufrieden stellt: „Endlich mal wieder wie früher“, lautet ein Kommentar einer Zuhörerin.