„Ein Stück Familienheimat“: So lautet der Titel eines neuen Romans, der in Teilen in Bremen-Nord und umzu spielt. Geschrieben wurde er von Gudrun Elisabeth Bartels. In Platjenwerbe geboren, lebt die Autorin seit 30 Jahren im München. In ihrem Buch erzählt sie die fiktive Geschichte einer jungen Frau, die mehr über die Vergangenheit ihrer Familie erfährt. Neben dieser in Jetztzeit angelegten Rahmenhandlung werden in Rückblenden die Erlebnisse einer Mutter und ihrer Kinder auf der Flucht während des Zweiten Weltkriegs geschildert.
Um authentisch schreiben zu können, lies Bartels die Nordbremer Region Teil ihrer Geschichte werden. „Ich habe genommen, was ich kenne“, so Bartels. So finden sich Anspielungen auf den Friedhof in Lesum oder die Rotdornallee. Aber auch ein wenig Bremer Innenstadt ist dabei, genauso wie Ritterhude. Zum Beispiel gehen zwei Protagonisten in einer Szene über den Wümmedeich. „Die Orte werden nicht direkt genannt, aber wer aus der Gegend kommt, wird sie erkennen“, verspricht die Autorin. Ein wenig habe sie die Plätze fiktiv angepasst, aber mit etwas Ortskenntnis sei das kein Problem. Auch nach drei Jahrzehnten im Süden der Bundesrepublik verbindet Bartels viel mit der Region, nicht nur, weil ihr Vater noch immer noch in Platjenwerbe wohnt. Ebenso wichtig sind ihr jedoch die Schauplätze in Berlin, denn dort lebten ihre Großeltern und dort wurde ihre Mutter geboren. Um sie dreht sich der in Teilen fiktive Familienroman.
Briefe als reale Fixpunkte
Während des Krieges wurde Gudrun Elisabeth Bartels Mutter zusammen mit ihren zwei Brüdern und der Mutter nach Ostpreußen evakuiert. Der Vater (Bartels Großvater) befand sich im Kriegseinsatz und geriet später in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Die Familie erlebte eine Odyssee, die über Polen, Sachsen und zahlreiche weitere Stationen verlief. „Das war für alle eine sehr belastende Zeit. Meine Mutter war damals sieben Jahre alt und hat ihr Leben lang viel über diese Zeit gesprochen“, berichtet die Autorin. Bartels Großmutter dagegen versucht das Erlebte in den Briefen zu verarbeiten, die sie ihrem Mann an die Front sendete. Darin berichtete sie von Bombennächten, den verschiedenen Unterkünften und von den Herausforderungen, die die Familie zu meistern hatte. Die Briefe überstanden den Krieg. „Meine Mutter hat sie aufbewahrt und akribisch sortiert. Auch daran sieht man, wie sehr sie das Ganze beschäftigt hat“, erklärt Bartels, die die Briefe vor einigen Jahren von ihrer Mutter erhielt.
Bomben, Schutzbunker, Ängste, Flucht und der Kriegsalltag: Durch das Geschriebene könne man sich sehr authentisch in das hineinfühlen, was die Familie erlebt hat, findet die Autorin. Deshalb bilden die Briefe realen Fixpunkte, um die Gudrun Elisabeth Bartels eine fiktive Rahmenhandlung gewebt hat. So beginnen die Kapitel teilweise mit Brieftexten, die manchmal ganz manchmal in Teilen wiedergegeben werden. Die Idee, auf diese Art Heute und Gestern, Fakt und Fiktion miteinander zu verknüpfen kam Bartels, als sie die Briefe erhielt. „Ich gehöre zur Kriegsenkelgeneration und hatte immer das Gefühl von Heimatlosigkeit. Ich war immer auf der Suche nach einem Platz im Leben“, erklärt sie und zieht eine Verbindung zur Epigenetik. So zeigen Studien, dass Traumata Veränderungen an der DNA auslösen können, die über Generationen weitervererbt werden. Sie sorgen beispielsweise für eine erhöhte Anfälligkeit für stressbedingte Krankheiten, Angstreaktionen auf bestimmte Trigger wie Geräusche oder Ereignisse, Ruhelosigkeit oder auch eine verminderte Resilienz. „Unbewusst trägt man so etwas von früher weiter“, fasst Bartels das Phänomen zusammen.
Zwei Jahre schrieb Gudrun Elisabeth Bartels an ihrem Roman und ließ die Figuren ein Eigenleben entwickeln. „Ich hatte nur ein paar Ansätze und habe einfach angefangen zu schreiben“, erinnert sie sich. Herausgekommen ist ein 450 Seiten umfassender generationenübergreifender Familienroman, der die Kriegsjahre 1940 bis 1945 sowie rund ein halbes Jahr Rahmenhandlung in der Jetztzeit umfasst. Zielgruppe sind laut der Autorin alle, die Familienromane mögen und sich für Geschichte besonders im Zusammenhang mit Ostpreußen und dem Zweiten Weltkrieg interessieren. Aber auch alle, die sich mit Themen wie Traumatisierungen und Kriegsenkelgeneration beschäftigen. „Das Ganze ist keine leichte Kost, aber wieder sehr aktuell“, findet Bartels. Mit Blick auf die aktuellen Ereignisse sei es umso wichtiger, sich die Vergangenheit und ihre Auswirkungen auf das heute immer wieder ins Gedächtnis zu rufen.