Bald strömen sie wieder – Zehntausende, die sich in Vegesack das Festival Maritim nicht entgehen lassen wollen. Die Seamusic mit ihrer Mischung aus Rock, Folk, Punk und Shantys kommt an. Auf den Bühnen stehen dann – neben internationalen Chören – auch Shanty- und Seemanns-Chöre aus dem Bremer Norden, die ebenfalls ihre Fans haben. Aber auch noch etwas anderes: die Sorge nämlich, dass es sie auf absehbare Zeit nicht mehr geben wird. Weil die Zahl ihrer Sänger sinkt. "Wir waren mal 40, jetzt sind wir nur noch neun Sänger und zwei Musiker", bedauert zum Beispiel die erste Vorsitzende des Schulschiff Deutschland-Chors, Hanna Struthoff. "Shanty-Chöre haben massive Nachwuchssorgen", bestätigt auch die Vorsitzende des Kreis-Chor-Verbands Bremen, Kirsten Bodendieck.
Das waren noch Zeiten, als die Shanty-Chöre aus dem Bremer Norden im ZDF aufgetreten sind, erinnert sich Friedrich Lüeße, Vorsitzender des Beckedorfer Schifferknotens. "Bis in die 1980er-Jahre gab es einen Run auf die Shanty-Chöre", erzählt er. Als er in den Chor eintrat, sei er der 46. Sänger gewesen. "Heute sind wir – wenn wir Glück haben – neun singfähige Männer." Aber, gibt der Vorsitzende zu bedenken, "wir haben unseren Sound halten können. Wer uns zuhört und die Augen schließt, könnte denken: Da singt ein großer Chor". Als einen solchen kann man den Schifferchor Rekum bezeichnen. Noch. Chor-Vorsitzender Dagobert Bothe mag sich deswegen aber nicht beruhigt zurücklehnen. "Wir waren mal über 40 Sänger und sind jetzt 30", berichtet er. Er habe den Chor darauf eingestimmt, dass man neue Wege gehen müsse.
Frauen würden gern, aber dürfen nicht
An die denkt auch Birgitt Kropp, die den Seemanns-Chor Vegesack dirigiert. Obwohl der mit seinen 40 Aktiven – davon neun Musikerinnen und Musiker, die mit ihren Instrumenten den Gesang begleiten – recht gut aufgestellt ist. "Aber", sagt die Leiterin, "wenn der Chor weiter bestehen soll, werden wir überlegen müssen, wie wir neue Sänger gewinnen." Oder Sängerinnen? Diese Frage ist für die meisten Shanty-Chöre eine Provokation. Sie haben in ihren Reihen zwar weibliche Vorsitzende, Frauen, die Akkordeon spielen, und Chorleiterinnen. Aber das Singen soll doch nach wie vor reine Männersache sein. Möglicherweise mit der Konsequenz, dass der Chor eines Tages nicht mehr existiert. "Dieser Gefahr müssen wir ins Auge blicken", sagt Friedrich Lüeße. Was aber ein großer Verlust wäre, meint auch der Bremer SPD-Kulturpolitiker Elombo Bolayela. Shanty-Chöre tragen schließlich die maritime Tradition nach außen. Es brauche eine breite Unterstützung, damit es sie weiterhin gibt, sagt der Nordbremer, dem daran gelegen ist, dass sich junge Menschen den Chören ebenso anschließen wie Frauen. Von denen gebe es sogar Nachfragen, berichtet Birgitt Kropp. Und wer beim Festival Maritim all die internationalen – im Übrigen auch jungen und ganz und gar nicht biederen – Chöre erlebt, in denen selbstverständlich Sängerinnen zu den Ensembles gehören, muss sich fragen: Warum geht das nicht auch im Bremer Norden?
Wegen der Historie, sagt der Vorsitzende vom Beckedorfer Schifferknoten. "Shantys sind traditionell Männergesang." Daran ist schwer zu rütteln, weiß Dagobert Bothe vom Schifferchor Rekum. Der Vorsitzende schlägt seinen Sängern regelmäßig vor, "Frauen dazuzunehmen", aber "die älteren Herrschaften", die in vielen Shanty-Chören in der Mehrheit sind, würden das ablehnen. "Obwohl es sich gut anhört, wenn Frauen mitsingen." Und einen positiven Nebeneffekt hätte es auch. "Ist doch gut möglich, dass diese Frauen auch ihre Partner mitziehen", gibt Dagobert Bothe zu bedenken. Birgitt Kropp ist auch schon darauf angesprochen worden, einen reinen Frauen-Shanty-Chor ins Leben zu rufen. Sie kann sich aber ebenso vorstellen, mit einem anderen Shanty-Chor zusammen zu singen.
Viele Vorbehalte
Das wäre eine weitere Möglichkeit, das Aus der Chöre zu verhindern: die Fusion. Kommt aber auch nicht gut an. "Jeder Chor hat seine eigenen Noten und Lieder", wendet Friedrich Lüeße ein. Bei ihnen gehöre auch "The Wellerman" dazu. Ein Hit. "Wenn wir den an der Schlachte in Bremen singen, wippen auch die jungen Menschen mit." So eine Fusion, die bringe erstmal Kuddelmuddel. "Da muss sich ein Chor erst wieder finden, zusammenwachsen und blühen und gedeihen." Auch die Chorleiter müssten ihre Arbeit anpassen. Der Schulschiff Deutschland-Chor hatte so einen Zusammenschluss mal probiert, erzählt die Vorsitzende. "Es hat aber nicht geklappt." Viele Chöre fürchten bei einer Fusion auch um ihren Namen, weiß Birgitt Kropp. Dabei müsse das gar nicht sein. "Auch Chöre, die sich für Konzerte zusammenschließen, können doch jeweils eigenständig bleiben", findet sie.
Über Fusion müssen die "Logger’s Men" nicht nachdenken. Die sechs Sänger, die in Vegesack proben, verstehen sich als Shanty-Gruppe, nicht als Chor. Sie wollen gar nicht groß wachsen. "Zwei, maximal drei neue Sänger würden wir gern noch aufnehmen", sagt Reinhard Worthmann. Die "Logger's Men" singen die Arbeitslieder der Seemänner ehemaliger Großsegler a cappella und ohne Chorleiter. Für Instrumente hätten die Seeleute gar nicht die Hände frei gehabt. "Die waren am Fall, an der Pumpe, an der Winsch. Ein Vorsänger, der Shantyman, erzählte singend eine Geschichte und die Crew antwortete im rhythmischen Refrain, um Segel zu setzen, zu bergen, Anker zu hieven." Nur in der kargen und seltenen Freizeit hätten die Seeleute zu Harmonika, Flöte, Fiddle, Gitarre oder Banjo gegriffen. Auch diese Forebitter-Shantys hätten sie im Repertoire – "wenn auch nicht mit dieser Instrumentenvielfalt". Ganz bewusst nicht dazu gehören "maritime Lieder, die als sentimentaler Ausdruck der Heimatliebe überwiegend in der Nachkriegszeit entstanden sind", sagt Reinhard Worthmann. Bei ihnen gebe es "keine weißen Möwen, die irgendwo hinfliegen".