Zum Schluss geht es noch durch die Waschstraße – und die Regio-S-Bahn sieht aus wie gerade ausgeliefert. Dabei ist es vermutlich nur eine Pause im Graffiti-Laufkreis. Irgendwann und irgendwo wird auch dieser Zug wieder in einem unbedachten und -bewachten Augenblick Opfer der Spraydose. Und wieder heißt es dann: „Ich fühl mich so schmutzig (Die Entfernung dieses Graffitis kostet Ihr Geld und unsere Nerven)“, wie auf weißen Spruchblasen in blauen Lettern geschrieben steht. Graffiti samt diesem oder ähnlichen Stickern sind gefühlt an jedem dritten Zug, auch der RS-1 beim Stopp in Vegesack, wie überhaupt auf ihrer Tour durch Bremen-Nord zu sehen.
Zum Thema Geld: Bei der Nordwestbahn ist der durch Graffiti verursachte Schaden in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Nach 150.000 Euro 2016 und 180.000 Euro im Folgejahr stieg der Schaden 2018 auf 240.000 Euro. Die letzte Polizeimeldung zu diesem Thema stammt erst von Anfang Februar: Da erwischte die Bundespolizei zwei junge Männer aus Wuppertal, die eine Nordwestbahn in Vegesack auf einer Fläche von rund 120 Quadratmetern besprüht zu hatten.

Eine beschmierte Bahn in Vegesack: Zugführer melden Graffitis, damit die Wagen bei der Reinigung eingeplant werden können.
Zurück zu den Nerven, was die anbelangt, so ist unter anderem besonders Philipp Zaunbrecher gefordert, Instandsetzungsplaner im Ausbesserungswerk Bremerhaven-Wulsdorf. Er trägt dafür Sorge, dass an jedem Sonntag Platz in der Halle ist, um beschmierte Züge zu reinigen. Der Graffiti-Einsatz dauert mindestens von 7 bis 12 Uhr, bei Bedarf wird ausgeweitet. „Wir fangen nicht selten um 6 Uhr an und arbeiten dann bis 17 Uhr.“
Bei Bedarf wird – wie bei unserem Besuch – auch ein Mittwochstermin anberaumt. Ein halbes Dutzend Mitarbeiter der IO Innovative Oberflächenreinigungssysteme GmbH aus Westerstede sind im Dienst. Bislang wird die Reinigung nämlich von externen Fachleuten erledigt. Aber, sagt Zaunbrecher, „ab März, April stellt die Nordwestbahn selbst zwei Leute zusätzlich ein, die sich täglich von 11 bis 17 Uhr mit der Entfernung von Graffiti befassen“. Mit dem Einsatz dieser beiden hoffe man, auf 30 bis 40 Quadratmeter zusätzlich gereinigter Fläche zu kommen.

Philipp Zaunbrecher, Instandsetzungsplaner im Ausbesserungswerk Bremerhaven, kümmert sich unter anderem darum, dass jeden Sonntag Platz in der Halle ist, damit Züge gereinigt werden können.
30 bis 40 Quadratmeter von den aktuell im Schnitt gezählten 800 Quadratmetern beschmierte Waggonfläche, skizziert der Instandsetzungsplaner die Schadensfläche. „Im Spitzenwert kann das auch schon mal bei 3000 Quadratmeter liegen.“ Wobei man bei einem auf ganzer Länge vollgesprühten Wagen folgende Rechnung aufmachen kann: 17 mal 2 Meter, also 34 Quadratmeter. Bei 25 Euro Reinigungskosten je Quadratmeter kommen allein auf einer Seite eines Zugsegments gut 850 Euro zusammen.
Zwei S-Bahn-Züge stehen in der Wulsdorfer Halle. Der linke Zug ist schon in der Reinigung. Vorher ist er noch zur Vorwäsche durch die Waschstraße gefahren worden. Jetzt steht er entlang eines Spaliers von ausgelegten Gummimatten und gut einen Meter langen Auffangbehältern, in denen Lösungsmittel und Graffitifarbe aufgefangen werden.
Das Reinigungsteam aus Westerstede arbeitet in weißen Schutzanzügen. Keine Gnade jetzt also fürs Graffiti – egal, ob's gefällt, gar Kunst sein mag, oder einfach nur eine Duftmarke, mit der illegal operierende Sprayer, Scratcher oder Writer ihre ästhetischen oder politische Botschaften hinterlassen. Und manchmal auch ihr Signum (Tag), das nur Eingeweihte kennen – oder auch die Polizei.
Denn das ungebetene Auftragen von Graffiti auf einen Wagen der Nordwestbahn ist rechtlich gesehen eine Sachbeschädigung, die gemäß Paragraf 303 Strafgesetzbuch eine Geldstrafe bis hin zu zwei Jahren Freiheitsstrafe nach sich ziehen kann. Ganz abgesehen von Schadensersatzansprüchen der geschädigten Eigentümer. Nicht selten ermittelt die Polizei nach Schadensaufnahme auch per Vergleich von Tags aus vorangegangenen Fällen. Wobei: Vor Gericht muss jeder einzelne Fall nachgewiesen werden.
„Jeder Triebfahrzeugführer ist gehalten, den Schaden umgehend in der Werkstatt zu melden,“ sagt Philipp Zaunbrecher, „die Graffiti werden markiert, der Zug wird dann in die Wochenplanung mit einbezogen“. Auf die Frage, ob man künstlerisch wertvolle Graffiti nicht ausnehmen könne, antwortet er: „Das haben wir schon probiert. Aber das hält die Sprayer nicht davon ab, auch die zu übermalen.“ Überhaupt sei es keine Frage, ob Kunst oder nicht. „Das Zeug müssen wir entfernen. Das wird von den Aufgabenträgern Niedersachsen und Bremen vorgeschrieben.“ Die Vertragspartner legten eben Wert darauf, dass kein Schandfleck durchs Land fährt. Wann kommen die Sprayer? „Definitiv nachts und an Wochenenden“, denn montags liefen die meisten Meldungen auf. Man habe es mit dem Einsatz von Wachpersonal versucht, das habe aber keine signifikante Verbesserung gebracht.
Inzwischen ist die Reinigungsmannschaft diesem Verbesserungsdefizit mit einer Spezialpaste zu Leibe gerückt, angeliefert im 5-Liter-Kanister). Die riecht nicht gerade toll, obwohl als geruchsneutral angepriesen, sei aber, so wird versichert, nicht gesundheitsschädlich. Nachdem die Graffiti-Farbe aufgeweicht ist, wird sie abgezogen. „Die Paste ist extra für Graffiti entwickelt worden“, erklärt Zaunbrecher, „und es gibt dadurch keine Auswirkungen auf den Lack“.
Auf der Fläche wird gerieben, gewischt und abgezogen wie auch an den Fenstern, deren und der Türen Einfassungen ... bis in den kleinsten Winkel. Ausgespart werden dabei die in der Halle eingefahrenen Trittbretter, die dann aber beim „Nachspülen“ in der Waschstraße ausgefahren sind.