Vegesack. Als Petra Kubanek zum ersten Mal zur Arbeit ging, war alles noch ganz anders. Beim Bremer Vulkan liefen Schiffe vom Stapel, die Weserpromenade wart ein Sandstrand und der Grundstein zum Bau der Grohner Düne gerade erst gelegt worden. 1972 im August war das, als sie ihre Ausbildung zur Buchhändlerin begann.
Bei "Otto & Sohn", mitten in Vegesack, wo neben Büchern auch Papierwaren angeboten wurden. Die verschwanden allerdings bald aus dem Sortiment. Dafür kamen neue Bücher, die in neuen Regalen auf neuem Teppich standen und professionell beleuchtet wurden. Heute stehen die Bücher nicht mehr zwangsläufig im Regal. E-Books können sich die Kunden auf der Homepage des Geschäfts kaufen und herunterladen. Ins Geschäft zu gehen, das braucht man eigentlich nicht mehr.
Oder eigentlich doch. „Handerotik“ nennt Kubanek das, was vor fast jedem Kauf passiert – ein Buch in die Hand nehmen, blättern, Klappentext lesen. Eigentlich heißt es: „Don't judge a book by its cover“, beurteile ein Buch nicht nach seinem Einband. Aber klar, auch Petra Kubanek schaut als erstes auf das Titelbild. Was ein gutes Buch für sie ausmacht? „Es muss mich fesseln, mich stundenlang ablenken vom Alltag.“ Und das fängt nun mal mit Titel und Aufmachung an. Wovon erzählt wird, ist ihr weniger wichtig. Mordermittlungen oder Liebesgeschichten: Der Erzählstil muss passen. „Und wenn es einem selber gefällt, kann man es auch verkaufen.“
Verkaufen, das hat sie hier bei "Otto & Sohn" gelernt. Vielleicht sogar perfektioniert, in den letzten 47 Jahren. Und deshalb herrscht allenthalben ein bisschen Wehmut, dass Petra Kubanek seit Jahresbeginn nicht mehr zum festen Verkaufsteam der Buchhandlung gehört – "menschlich und geschäftlich", wie Inhaber Martin Mader betont. Wobei, so ganz weg ist sie noch nicht. Sonnabends wird sie weiterhin im Laden sein und verkaufen. Die Trennung vom Berufsleben soll langsam erfolgen. Das braucht sie, um sich abzunabeln.
Kubanek ist in Oldenburg geboren. Der Vater war Berufssoldat. Wurde er versetzt, zog die Familie mit um. Zuletzt nach St. Magnus, wo sie heute noch in ihrer Eigentumswohnung lebt. Es brauchte eine Weile, bis sie sich in der neuen Umgebung wohlfühlte. „Ich dachte, ich gehe wieder weg, sobald ich die Chance dazu habe“, sagt sie rückblickend. „Jetzt bin ich ziemlich verwurzelt hier – dafür, dass ich gar nicht herwollte.“ Denn während ihre Geschwister nach der Schulzeit Bremen verließen, blieb sie und begann ihre Lehre in Vegesack.
Eine Online-Enzyklopädie beschreibt den Beruf der Buchhändlerin wie folgt: „Hauptarbeitsgebiete sind der Einkauf, Verkauf und die Präsentation von Büchern und anderen Medien [...]. Im Beratungs- und Verkaufsgespräch ist neben einem freundlichen und kundenorientierten Auftreten ein breites Allgemeinwissen erforderlich.“ Ganz schön viel für eine schüchterne 16-Jährige, die mit Abstand die Jüngste im Betrieb war und selbst ihre Kolleginnen mit „Sie“ ansprach.
"Ich bin damals wirklich ins kalte Wasser geworfen worden", sagt Kubanek. Kamen Kunden in den Laden, war sie es, die bedienen sollte. Und was ihr früher Angst machte, macht ihr heute am meisten Spaß. „Der direkte Kontakt zu meinen Kunden, das ist eigentlich das Schönste an meinem Beruf. Und dafür bin ich wirklich sehr dankbar!" Aber wie hält man es aus, so lange am gleichen Ort, im selben Laden? Und das, obwohl der Reiz, etwas Neues zu probieren, durchaus da war. "Immer wenn ich das Gefühl hatte, ich sollte vielleicht doch etwas anderes machen, dann hat sich mein Aufgabenbereich verändert oder erweitert", sagt Kubanek. Und dann war da noch die enge Bindung zu den Kundinnen und Kunden. Und das familiäre Betriebsklima. Und da all das immer zum richtigen Zeitpunkt zusammenkam, ist sie heute, wo sie ist und fast schon immer war.
In letzter Zeit haben sich die Abschiede gehäuft. Kunden, deren Eltern schon Kinderbücher bei Petra Kubanek gekauft haben, wünschen ihr alles Gute, Verlagsvertreter bedauern, dass sie nicht noch zwei Jahre länger macht. Aber sie ist glücklich mit ihrer Entscheidung, in Rente zu gehen, auch wenn sie erst 63 Jahre alt ist. Sie ist zusammen mit ihren Weggefährten gealtert, das verbindet, klar. Aber im Buchhandel gehe niemand verloren, sagt sie. Irgendwie bleibt man immer in Kontakt, soll das wohl heißen.
Schon vor einigen Jahren hat sie ihre Stunden reduziert. Zwei Tage weniger Arbeit die Woche bedeuten zwei Tage mehr Zeit für sich. Schon das, sagt sie, hat sich super angefühlt. Und darum hat sie keine Angst vor dem Ruhestand. Es gibt kein Loch, in das sie fallen könnte. Dafür genügend Dinge, die sie noch erledigen will. Kleinigkeiten eigentlich, keine großen Reisen. Stattdessen ausschlafen, spontan mit dem Rad ins Blockland fahren. Vor allem aber gesund bleiben, Sport machen und die Rente genießen. Und dann wird sich zeigen, ob sie etwas vermisst. Aber so richtig glaubt sie nicht daran.
Das Geschäft mit den Büchern ist schwerer geworden in Zeiten von großen Online-Händlern. Der Black Friday zum Beispiel, die Rabattschlacht zum amerikanischen Erntedankfest, läuft am stationären Buchhandel vorbei. Denn Bücher sind in der Regel preisgebunden. Dabei war Schnelligkeit nie ein Problem, sogar früher nicht. Wunschtitel ihrer Kunden bestellte Kubanek damals per Handzettel. Die Lieferdauer ins Geschäft: meist nur ein Tag. Wenn der Strom ausfiel, funktionierte die Kasse per Handkurbel. „Heute könnte man wahrscheinlich noch nicht einmal zusperren, weil selbst die Türen automatisch sind“, sagt sie. Vieles hat sich verändert seit damals, 1972. Aber Petra Kubanek, die ist noch immer da. Zumindest sonnabends.
Am Sonnabend, den 18. Januar lädt die Buchhandlung "Otto & Sohn" zum Abschied ihrer langjährigen Mitarbeiterin Petra Kubanek in die Breite Straße 21. Der Sektempfang beginnt um 11 Uhr.