Nichts deutet an diesem Tag auf dem Gelände der Constructor University in Grohn darauf hin, dass dort etwas Besonders – ja, in der noch jungen Vereinsgeschichte der Bremen Venom Historisches – passiert. Während es draußen trotz strahlender Sonne noch recht frisch ist, kommen die 18 Frauen in der Halle beim Aufwärmtraining bereits allmählich auf Temperatur. Bei fünf von ihnen gibt es vermutlich sogar etwas stärkere Hitzewallungen, denn immerhin betreten sie dort auf dem Hallenboden im wahrsten Sinne des Wortes "Neuland". Vor einem neuen Kapitel stehen aber auch die etablierten Spielerinnen, denn der erste und einzige reine Frauenverein im American Football Deutschlands, führt das erste Try-Out nach seinem Umzug von Lilienthal nach Bremen-Nord durch.
Neue Umgebung, neue Mitspielerinnen und vor allem eine völlig neue Sportart – auf die Frischlinge kommt an diesem Vormittag beim Probetraining so einiges zu. Doch die "Giftschlangen", wie sich die Venom-Footballerinnen frei übersetzt nennen, führen ihren Namen an diesem Tag ad absurdum und unternehmen als gute und vor allem zahme Gastgeberinnen alles, damit sich die potenziellen Neuzugänge bei ihrer Premiere auch wohl fühlen. Um den Druck dieser Prüfungssituation zu minimieren, werden die kompletten Übungseinheiten von den Spielerinnen selbst, unter anderem von den drei Teamkapitäninnen Meike Gelhans, Jessica Neugebauer und Annalena Kiehne geleitet. "Wir denken, dass ist für die Rookies einfach weniger einschüchternd", sagt Annalena Kiehne, die für die Venom in der 2. Bundesliga als Quarterback aufläuft.
Wie ihre Mitstreiterinnen ist sie mit den Auftritten ihrer neuen Mitspielerinnen in spe zufrieden. "Ich denke, die machen alle einen guten Eindruck, das Potenzial ist da", sagt Annalena Kiehne. Aber was genau müssen die Neulinge denn überhaupt mitbringen, wenn sie den Schritt in die raue Wellt des American Football wagen wollen? Eine klare Antwort auf diese Frage gibt es auf der Internet-Seite des Vereins. "Du bist motiviert, teamfähig und hast Spaß an Bewegung? Frauen jeden Alters und mit jeder sportlichen Vorerfahrung sind herzlich eingeladen bei uns vorbeizuschauen. Hier können Neugierige die Sportart kennenlernen, die verschiedenen Positionen ausprobieren und mit erfahrenen Spielerinnen ins Gespräch kommen.", heißt es dort.
"Keine sitzt auf der Bank"
Zum Einstieg benötigen die Neulinge zunächst nur normale Sportkleidung. Einzige Vorbedingung ist ein Mindestalter von 16 Jahren. Nach oben sind keine Grenzen gesetzt, solange sich die Interessierten körperlich dazu in der Lage fühlen. Vorkenntnisse sind nicht nötig. "Wir bringen dir alles bei, was du wissen musst", verspricht auch Annalena Kiehne. Für sie gibt es allerdings eine entscheidende Voraussetzung. "Die Spielerinnen müssen richtig Bock auf diesen Sport mitbringen und darum ist es auch unwichtig, welche körperlichen Voraussetzungen sie mitbringen. Wir benötigen die schmalen, schmächtigen für das Pass- und Laufspiel und die starken, mächtigen für unsere Line. Bei uns sitzt keine auf der Bank", sagt sie.
Apropos: Von sitzen kann in diesen zwei intensiven Trainingsstunden nun wahrlich nicht die Rede sein. Direkt nach dem Aufwärmen geht es direkt ans Eingemachte – sprich in ein Mix aus Übungen zu den jeweiligen Positionen. Sei es für die sogenannte Offensive Line, die für den "Schutz" des Quarterbacks, dem zentralen Aufbauspieler, zuständig ist. Oder für die Defensive Line, die möglichst viele "Sacks" einsammeln, also den Quarterback festmachen soll. Trainiert wurden aber auch Übungen mit und gegen den Runningback (zuständig für die Laufspielzüge, mit denen sie möglichst viel Raumgewinn mit dem Ball zu erzielen versuchen) oder den Receiver, der die Pässe des Quarterbacks fängt. Klar, dass es dabei nicht ununterbrochen hochkonzentriert zugeht, sondern bei den Teamkapitäninnen auch der Spaß nicht zu kurz kommt – das gemeinsame Erlebnis ist mindestens genauso wichtig wie der erhoffte Trainingserfolg.
Doch alle ziehen voll mit und das Pensum stellt die Neuen schon vor einige Herausforderungen. Größte Hürde für die Rookies ist aber vor allem der Körperkontakt. "Ich habe gemerkt, dass ich da manchmal noch zu zögerlich bin, aber ich möchte ja auch niemanden verletzten", erklärt zum Beispiel Emily Duncan ihren inneren Zwiespalt, nachdem sie zuvor bei einer Übung versucht hatte, den erfahrenen Venom-Runningback Merle zu stoppen. Für die 19-Jährige war das Training in Grohn die erste direkte Berührung mit American Football. Neun Jahre Rudern, davon drei im Leistungsbereich beim RC Hansa liegen hinter der Bremer Studentin, jetzt will sie sich etwas Neuem zuwenden und probiert einiges aus. Zurzeit ist sie noch mitten in der Klausurenphase. "Danach werde ich aber auf jeden Fall wiederkommen", steht für sie fest.
Wiederkommen wird sich auch für die anderen Neulinge lohnen, denn erst ab März auf dem Feld wird es ernsthafter zur Sache gehen. Dann nämlich, wenn in kompletter Schutzausrüstung – also mit Helm, Mundschutz, Shoulderpad, und Schutzpads für die Beine – trainiert wird. Hier, in der Halle der Constructor University, wird der Körperkontakt noch eher angedeutet.
Trainer vorerst im Hintergrund
Und das ist aus Sicht von Andrew Darley auch absolut richtig so. Als Defense Coordinator (DC) gehört er zum Trainerstab der Bremen Venom und hält sich während des Try-Outs dezent im Hintergrund. Ebenso wie Headcoach Justin Krieb, Daniel Kallen (2. Vorsitzender/Defense) und Stefan Feith (Offense), die das Training im Blick haben. "Als Coach habe ich ja nun einmal die Verantwortung dafür, dass ich später niemand auf das Feld lasse, der dazu von ihrer Bewegungsfähigkeit her nicht in der Lage ist", klärt er auf. Auch die fünf Frischlinge in der Halle hat er genau im Auge und er ist sich sicher: "Alle Fünf haben das Zeug, um bei uns mitzumachen. Ich sehe schon jeweils zwei für die Defense Line und zwei für die Offense Line, bei Emily, der Tochter von unserer MVP, Jessica Neugebauer muss ich noch schauen, ob sie aufgrund ihres Alters schon spielberechtigt wäre", sagt Andrew Darley, der früher selber für die Rotenburg Cyclons auflief und dort auch die Jugendabteilung aufgebaut hat.
Fünf Probespielerinnen, fünf potenzielle Neuzugänge – die Ausbeute für die Venom nach diesem ersten Try-Out dieser Saison ist nicht übel. "Weitere Try-Outs werden definitiv folgen", verspricht der erste Vorsitzende der Bremen Venom, Thomas Kroner. Für ihn und seinen Verein sind die Probetrainingsangebote enorm wichtig. Das Team hat zwar eine gesunde Größe, aber auch ambitionierte Ziele. Nach der rasanten Entwicklung in den vergangenen drei Jahren, der das Team zur Vizemeisterschaft in der 2. Liga führte, soll mittelfristig die 1. Liga angepeilt werden. "Das hoffen wir in etwa drei Jahren auch zu erreichen", sagt Kroner, der selber Erfahrung als Erstligaspieler der Potsdam Royals mitbringt und aktuell in Worpswede wohnt.
Kroner, seine Mitstreiter und die Footballerinnen verfolgen weiterhin ihr großes Ziel: Frauenfootball im Norden groß zu machen und neue Maßstäbe zu setzen. Mit dem ersten Try-Out der Saison haben sie einen weiteren Schritt auf diesem Weg zurückgelegt