Die Zahlen sprechen für sich: Zum 900. Mal wird die Initiative Nordbremer Bürger gegen den Krieg an diesem Freitagabend in der Vegesacker Innenstadt für den Frieden demonstrieren. Für Frieden im globalen Maßstab. Sozialer Friede, Friede mit Natur und Umwelt und vor allem: keinen Krieg, keine Rüstungsexporte. Und ihre Spendendose wird einmal mehr herumgereicht werden. Mehr als 40 000 Euro kamen so in den vergangenen 18 Jahren zusammen und wurden an unterschiedliche Hilfsprojekte überwiesen.
Der grobe Fahrplan ist jeden Freitag gleich. Erstens: ein Referat zu einem aktuellen Thema. Zweitens: offenes Mikrofon, auch Beiträge von Passanten erwünscht. Drittens: ein Lied zum Abschluss der Kundgebung. Und im Anschluss geht es ins Gustav-Heinemann-Bürgerhaus zur Nachbesprechung und Planung kommender Treffen. Es wird Kaffee aus Plastik-Bechern mit Blumenmuster gereicht, solange der Vorrat reicht. Die Gruppe hat Wortführer, genauso wie weniger aktive Mitglieder. Eine Schriftführerin strukturiert die Debatte wie eine Bürgerschaftssitzung. Sie erteilt oder entzieht das Wort und mahnt, wenn nötig, nicht abzuschweifen. Und von Zeit zu Zeit haben sie prominente Gäste. Sahra Wagenknecht, Hans-Christian Ströbele und Schauspieler Rolf Becker zum Beispiel. „Wir sind eine Friedensgruppe mit stark linker Ausrichtung“, sagen sie von sich selbst.
Anstoß gab der Afghanistan-Krieg
Am 9. November 2001 trafen sie sich zum ersten Mal an der Ecke Gerhard-Rohlfs-Straße und Breite Straße. Ein historisches Datum in Deutschland und ein Bezug auf den Anschlag auf das World Trade Center in Amerika. Der führte letztendlich zum Afghanistan-Krieg – und damit zur Gründung der Bürgerinitiative. Mehr als fünfzig Menschen sollen damals mit ihnen demonstriert haben. Zu besonderen Anlässen kamen auch mal mehr als hundert. Heute sind sie in der Regel zwischen 15 und 20 Aktivisten, aber dafür umso organisierter.
Angesichts der nicht weniger werdenden Nachrichten über bewaffnete Konflikte, Kriege und Krisengebiete mag man sich fragen, was das Ganze soll. „Die Gruppe hat es nicht geschafft, gehört zu werden“, stellt dann auch ein Mann am Rande einer ihrer Demonstrationen fest. Er nimmt gelegentlich an den Kundgebungen teil, ist aber kein Mitglied der Initiative. Doch er teilt einige ihrer Auffassungen. Doch wofür stehen sie? Was macht die Gruppe aus?
Klar ist: „AFDler oder NPDler sind bei uns nicht willkommen“, sagen sie. Und: „Unser Antrieb ist die Friedensarbeit.“ Doch auch innerhalb der Initiative gibt es unterschiedliche Standpunkte zu vielen Positionen. Zu heterogen ist sie zusammengesetzt, als dass zu sämtlichen Fragen Einigkeit herrschen könnte. Mitglieder mit kirchlicher Prägung, linke Sozialdemokraten, auch Sozialisten sind dabei. Und so arrangiert man sich, findet Minimalkonsense. Zu den Anschlägen auf die Türme des World Trade Centers aus dem September 2001 zum Beispiel. In der Initiative habe man sich darauf geeinigt, dass die amerikanischen Geheimdienste mindestens davon gewusst hätten, sagt ein Gründungsmitglied auf einer Kundgebung zum Thema Afghanistan. Die Theorie: Die Zerstörung der Türme sei wissentlich geschehen, um die Ausrufung des Nato-Bündnisfalls durch die USA legitimieren zu können.
Es ist eins der Motive, die sich durch Reden und Diskussionen der Initiative zieht: Truppen, westliche und insbesondere die aus den USA, werden von einigen Mitgliedern konsequent als Besatzer, Regierungen als Kriegstreiber bezeichnet. Doch: Eine offizielle Position zu den verschiedenen politischen Weltmächten gebe es in der Gruppe nicht. Im Gegenteil. Gerade was die Haltung zu den USA, Russland oder China angeht, herrscht oft keine Einigkeit. Oder wie sie sagen: Erheblicher Dissens.
Und trotzdem: Kann es nicht auch Szenarien geben, die bewaffnete Interventionen erfordern? Ja. Aber nur in Ausnahmefällen, finden sie. Die Beendigung des NS-Regimes sei so ein Fall – weil Deutschland damals zuerst angegriffen hat. Auch die Anti-IS-Koalition im Nahen Osten, finden manche, sei notwendig gewesen. Und wie soll Menschenrechtsverletzungen sonst begegnet werden? Oder Staaten, in denen Terrorgruppen das Sagen haben? Die Antwort: Durch Verhandlungen, egal mit wem. Denn Verhandlungspartner könne man sich nicht aussuchen. Und eigene Vorstellungen von Staatlichkeit erst recht nicht anderen Kulturen überstülpen.
Es wird viel und kontrovers diskutiert bei der Friedensinitiative. Die Vision von einer Weltpolizei statt nationaler Armeen beispielsweise. Oder einer anderen Mandatierung internationaler Militäreinsätze. Und am Ende ist man sich einig, mehr oder weniger, dass es vor allem darum gehen muss, nationale politische Entscheidungen zu beeinflussen. Konfliktlöser wollen sie nicht sein, können sie auch gar nicht. „Aber“, sagen sie, „wir setzen unsere Konzeption gegen den Weg, der aktuell gegangen wird – und das ist schon ganz schön cool.“
Und deshalb werden sie wohl auch weiterhin freitags auf die Straße gehen, bei Wind und Wetter, jede Woche aufs Neue. Und sie sammeln weiter Spenden. Für Kindersoldaten in Burma, Bergbauern auf Kuba oder den Bau von Frauenhäusern auf Haiti.