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Das Grüne Band Entlang des Todesstreifens

Fast 40 Jahre lang war es die Grenze zwischen West- und Ostdeutschland und ein Todesstreifen. Heute ist es ein Refugium für bedrohte Tier- und Pflanzenarten, das sogenannte Grüne Band.
06.06.2022, 12:00 Uhr
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Von Jörn Hildebrandt/jöh

Fast 40 Jahre lang war es ein Todesstreifen mit hohen Mauern, Stacheldraht und Wachtürmen: Wo einst die DDR und die alte Bundesrepublik aneinander stießen, erstreckt sich ein Gelände, das zwischen 20 und 200 Meter breit und fast 1400 Kilometer lang ist. Er reicht im Norden von Travemünde in Schleswig-Holstein bis zum Dreiländereck bei Hof in Bayern. Viele, die aus der DDR fliehen wollten, wurden am Grenzstreifen erschossen, doch das Grüne Band ist auch ein Ort des Trennungsschmerzes und der Überwachung: Anwohner wurden nahe der Grenze zwangsausgesiedelt und Familien getrennt, und wer am Grenzstreifen lebte, wurde häufig bespitzelt.

Doch wo ein dunkler Schatten der Geschichte fiel, gab es auch Licht: Der ehemalige Grenzstreifen entwickelte sich zu einem Refugium der Natur, in dem mehr als 1200 bedrohte Tier- und Pflanzenarten in einem Biotopverbund leben. Bereits als die Mauer im Jahre 1989 fiel, wurde der Streifen auf Initiative des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Bayern zum sogenannten Grünen Band erklärt, in dem zahlreiche Flächen unter Naturschutz stehen oder gestellt wurden.

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Natur hautnah erleben

Eine besondere Form, Natur und Geschichte hautnah zu erleben, bietet das Evangelische Bildungswerk Bremen an: Entlang des Grünen Bands führt es in Etappen Bildungsreisen durch – das Besondere: Die fünf Seminarleiter sind alle Bremen-Norder. Zu ihnen gehört Dierk Tams, der früher als Lehrer und in der Erwachsenenbildung tätig war. Er leitet derzeit eine Tour, die entlang der Unteren Mittelelbe, bis hinunter nach Hitzacker, führt. „In Boizenburg an der Elbe haben wir uns eine Außenstelle des Konzentrationslagers Neuengamme angesehen, und in einem Kunst- und Technikmuseum konnten wir uns ein Bild davon machen, welche Bedeutung die Herstellung von Fliesen für die Bewohner hatte“, sagt Dierk Tams.

Auf der Tour werde jedoch auch der außerordentliche Reichtum der Natur gezeigt: „Wir haben eine Teilnehmerin, die alle Pflanzen kennt und uns viel Neues zeigt, und beim Wandern haben wir an einer Stelle 16 Störche auf einmal gesehen“, berichtet Tams. Wohl wegen dieser Kombination aus Kultur und Natur käme die Bildungsreise bei den Teilnehmern außerordentlich gut an, so Dierk Tams.

90 Kilometer auf dem Kolonnenweg

Die mehr als 1000 Kilometer lassen sich natürlich nicht auf einer Bildungsreise erwandern: „Wir zerlegen deshalb die lange Strecke in 15 bis 16 Teilstücke, und in jedem halben Jahr wird ein neuer Abschnitt entlang des ehemaligen Grenzverlaufs erarbeitet“, sagt Dieter Niermann, Leiter des Evangelischen Bildungswerks Bremen, der selber auch Seminarleiter ist. "Jede Gruppe wandert 80 bis 90 Kilometer und sucht dabei ein oder mehrere Quartiere auf. Als Wanderweg wählen wir meist den Kolonnenweg, auf dem damals die Fahrzeuge der Nationalen Volksarmee (NVA), also der Streitkräfte der DDR, unterwegs waren“, sagt Niermann.

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Geschichte spielt eine Rolle

Bei den Besichtigungen vor Ort spielt natürlich die jüngste Geschichte eine besondere Rolle, die zum Beispiel am Point Alpha in Hessen dokumentiert wird: Dort hatten die USA einen Beobachtungsstützpunkt an der innerdeutschen Grenze eingerichtet, der heute ein Museum ist. „Besonders gut kommen die Gespräche mit Zeitzeugen an“, sagt Dieter Niermann, „ein Ehepaar hat zum Beispiel einen alten Bahnhof in einem aussterbenden Dorf gekauft und als Ferienwohnung hergerichtet“, sagt er. "Die beiden sind mehrere Kilometer mit unserer Gruppe gewandert, und man ist miteinander ins Gespräch gekommen.“

Nicht ganz einfach sei die Quartiersuche in der dünn besiedelten Gegend, so Niermann. Die einzige Großstadt am Grünen Band sei Lübeck, und deshalb mache er vor jeder Bildungsreise eine Vorexkursion, in der er sich um Unterkünfte, aber auch um Kontakte zu möglichen Zeitzeugen kümmere. Und wegen Corona werden derzeit alle Teilnehmer in Einzelzimmern untergebracht.

„Wir werden wohl insgesamt sieben Jahre brauchen, um das gesamte Grüne Band zu erwandern“,

sagt Dieter Niermann, „und am Ende wird allen Teilnehmern ein Reisebericht zur Verfügung gestellt“.

Die Resonanz auf diese neue Form der Bildungsreise sei so gut, dass einige Teilnehmer auf jeden Fall bei sämtlichen Touren entlang des Grünen Bandes mitmachen wollen, so Niermann.

Info

Wandern und Begegnungen von Mensch zu Mensch

Arbeitnehmer, die im Bundesland Bremen tätig sind, haben in einem Zeitraum von zwei Jahren grundsätzlich Anspruch auf zehn Tage Bildungszeit. In dieser Zeit sind sie von der Arbeit freigestellt, damit sie an einer Weiterbildungsveranstaltung teilnehmen können, die nach dem Bremischen Bildungszeitgesetz anerkannt ist. Dazu gehören auch die fünftägigen Seminarwochen des Evangelischen Bildungswerks, die am Grünen Band entlang führen.

Die nächste Bildungszeit mit dem Titel „Vom Todesstreifen zur Lebenslinie“ findet von Montag, 20. Juni, bis Freitag, 24. Juni, statt und bewegt sich zwischen Bad Sooden-Allendorf und dem südlichen Harzrand.

Anmeldungen sind möglich unter www.kirche-bremen.de/kirche-in-bremen/landeskirche/forum-kirche/evangelisches-bildungswerk/angebote-lernen/bildungszeit.

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