Vegesack. Der Kontrast könnte kaum größer sein: Geflüchtete Menschen aus arabischen Ländern treffen sich mit deutschen Senioren – unterschiedliche Lebensalter und verschiedene Kulturen treffen aufeinander. Im Sprachcafé im Seniorenheim Vier Deichgrafen kommt es seit Oktober 2018 an jedem Donnerstag zu solchen Begegnungen. Das ist ein Novum, denn vorher gab es so gut wie keinen Austausch zwischen dem Seniorenheim, das vor dem „Schulschiff Deutschland“ liegt, und der weißen Großwohnanlage in Sichtweite.
„In der Grohner Düne hat sich in der letzten Zeit viel verändert“, sagt Iman Al-Najar, die als Integrationskraft in dem Komplex arbeitet und Initiatorin des Sprachcafés ist. „Viele sind ausgezogen, und neue Bewohner sind gekommen. Und ich wollte für mehr Nachbarschaft sorgen und die Grohner Düne stärker nach außen öffnen.“ Als sie Ann-Katrin Sasse, Leiterin des Seniorenheims Vier Deichgrafen der Heimstiftung, fragte, war diese sofort bereit, sich für das Sprachcafé zu engagieren.
Inzwischen treffen sich zwischen 15 und 20 Menschen aus arabischen Ländern, die in der Grohner Düne wohnen, mit mehreren Senioren und haben feste Kleingruppen aus zwei bis drei Teilnehmern gebildet. Finanziert wird das Projekt zunächst für ein Jahr aus Mitteln des Förderprogramms „Wohnen in Nachbarschaften“ (Win).
„Viele Neuankömmlinge in Deutschland möchten gern frei sprechen lernen“, sagt Iman Al-Najar, „und das lernen sie in der Regel in den Deutschkursen nicht, dort geht es vor allem um Grammatik, oder es werden Texte gelesen.“ Beim freien Sprechen werden sie von den Senioren unterstützt, man erzählt sich etwas über das Leben in Deutschland und speziell in Vegesack und ebenso über die arabische Heimat. „Zwar liegen die Lehrbücher immer parat und manchmal kommen auch Fragen aus dem Deutschunterricht zur Sprache, aber das Alltagsgeschehen und das Gegenüber sind meistens einfach spannender“, sagt die Leiterin des Seniorenheims, Ann-Katrin Sasse.
Es gehe vor allem darum, miteinander zu sprechen, sich kennen zu lernen, Berührungsängste ab- und Freundschaften aufzubauen. Gegenbesuche in der Grohner Düne haben auch schon stattgefunden: Bewohner aus dem Haus Vier Deichgrafen folgten zum Beispiel einer Einladung zu einem syrischen Frühstück, und das Andere der orientalischen Kultur war bei diesem Termin plötzlich mit allen Sinnen präsent: „In arabischen Ländern schmiert man sich keine Brötchen“, sagt Ann-Katrin Sasse. Zum Frühstück gehört dort zum Beispiel ein Omelett mit Schafskäse oder auch ein süßer Grießbrei.
Ann-Katrin Sasse bemüht sich, im Gemeinschaftsraum des Seniorenheims eine Wohlfühlatmosphäre zu schaffen, und Iman Al-Najar möchte mit dem Sprachcafé die gute Seite der Grohner Düne zeigen. „Wir sind offen für alle, doch wir haben nur begrenzte Kapazitäten“, sagt Iman Al-Najar, „deshalb kommen aus der Grohner Düne nur Leute, die erst ein bis drei Jahre in Deutschland sind“.
Und wie kam das Sprachcafé bei den Senioren an? „Anfangs waren die Reaktionen gemischt, doch als die ersten Freundschaften entstanden, wurden viele Bewohner hellhörig“, sagt Ann-Katrin Sasse. Viele Teilnehmer der Runden haben sich inzwischen gegenseitig ihre Wohnungen gezeigt, sich privat verabredet und sich auch besucht, wenn mal jemand krank geworden ist.
Um gut miteinander ins Gespräch zu kommen, helfen Hefte mit Themen, die für Neuankömmlinge in Deutschland mit Sprachproblemen relevant sind: Wer zum Beispiel zum Zahnarzt muss oder gesunde Lebensmittel einkaufen will, braucht ein spezielles Vokabular. „Im Sprachcafé wird konsequent nur deutsch gesprochen“, sagt Iman Al-Najar. „Das ist für die Bewohner der Grohner Düne manchmal schon sehr anstrengend.“
Den kulturellen und sozialen Unterschiede zum Trotz gibt auch viele Gemeinsamkeiten: Flüchten zu müssen, das kennen auch einige Senioren aus eigener Erfahrung, wenn sie nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Heimat verlassen und einen leidvollen Weg aus Krieg und Gewalt zurücklegen mussten.
Nada Alsultan, 48 Jahre alt, ist vor vier Jahren aus Syrien geflohen, anfangs nur mit ihren Kindern, später kam ihr Mann nach. Im Bürgerhaus in Vegesack lernte sie, die in ihrer Heimat Lehrerin war, die deutsche Sprache. Ihre Tochter studiert inzwischen in Münster, ihr Sohn in Bremen. Ihre Partnerin im Seniorenheim ist Karin Rostalski, 77 Jahre alt, die mit ihrem Mann Kalle am Sprachcafé teilnimmt. „Für uns sind diese Treffen eine willkommene Abwechslung, das ist weit besser, als nur auf dem Sofa zu sitzen. Und die Leute aus der Grohner Düne sind wissbegierig und freundlich“, sagt Karin Rostalski. Sie zeigt ein Foto, auf dem sie mit Nada Alsultan in einem Restaurant abgebildet ist, das sie gemeinsam besucht haben.
„Wir reden über das, was sich gerade so anbietet“, sagt sie, „und das ist heute das Thema Zähne“. Dabei hilft sie, auch für Syrer schwierige Wörter wie „Zahnarztbesuch“ richtig auszusprechen. Sie hört zu und korrigiert die Betonung, bis das Wort sitzt. „Wir haben uns auch über die Art, wie man in Syrien und in Deutschland Häuser baut, unterhalten und waren über die Unterschiede verblüfft“, sagt Karin Rostalski.
Um die Grohner Düne, die immer noch unter dem schlechten Ruf leidet, noch stärker nach außen zu öffnen, plant Iman Al-Najar schon weitere gemeinsame Aktivitäten zwischen Senioren und Bewohnern der Grohner Düne: „In Kürze wird dort eine neue Küche eingerichtet. Dann werden wir auch gemeinsam kochen“, sagt die Initiatorin des Sprachcafés.