Älteren Zeitgenossen wird der Ruf womöglich noch in den Ohren liegen: „Alles rauskommen! Es gibt einen Sog.“ Eine Warnung, die Hermann Plebanski immer dann lautstark ausstieß, wenn sich auf der Weser ein großes Frachtschiff näherte. „Ein Pott“, sagt Walter Sassenberg. Der Vegesacker erinnert sich noch gut an den warnenden Ruf. Auch an den Ort, von dem er ausging. Und an Hermann Plebanski sowieso. „Der war eine Institution im Strandbad Schönebecker Sand.“ Dem Schwimm-Meister entging nichts. Und wenn es nötig war, brummte er den badenden Jungs auch mal eine Strafarbeit auf. Zum Beispiel „Papier aufsammeln – Plastik gab es damals noch nicht“, berichtet der 83-Jährige. Und warum? „Auf dem Weg zum Strandbad wuchs Wilder Rhabarber“, den pflückten sie ab und trugen die Blätter als Kopfschmuck. Eine „strafbare Unsitte“, sagt Walter Sassenberg.
Das Strandbad – Geschichte. Genauso wie der Strand an der Weser, unterhalb des Stadtgartens und der Strandlust. Schon der Name des legendären Ausflugslokals lässt vor dem inneren Auge das Badevergnügen am weißen Sandufer wieder aufleben. Schon vor über 100 Jahren genoss die feine Gesellschaft dort ihre Mußestunden. „Der Strand war wunderbar“, schwärmt Walter Sassenberg und steckt schon mittendrin in seinen Erinnerungen an die 1950er-Jahre, an „Bullerwasser“ und „Moker“. So nannten die Kinder damals die Steine, die die Weser bei Ebbe frei gab. „Unter ihnen saßen Glasaale, die wir gefangen haben.“
Im Lauf des Gesprächs pendeln auch wieder die alten Fähren. Der „kleine Willi“ oder die „Hol Ober“, die die Badegäste auch zum Strandbad Schönebecker Sand brachte, auf die Landzunge zwischen der Weser und der Lesum-Mündung. Für den jungen Walter war damals zunächst die „Willi“ interessant. Die kleine Fähre setzte unterhalb der Schulkenstraße über die Weser nach Lemwerder, wo es nämlich, dort wo sich heute die Lürssen-Werft befindet, auch einen Strand gab. Inklusive Holzhaus, das Eis, Getränke und Süßigkeiten anbot. Dorthin ging es damals mit den Eltern, später auch mit den Nachbarskindern. Und einmal, „erzählt der Senior, „wäre ich da beinahe ertrunken“. Das Schwimmen hatte er erst mit zwölf Jahren gelernt. Was ihn aber nicht davon abhielt, sich vorher schon im Wasser zu tummeln und sich an ein Ruderboot zu hängen, das zur Hälfte auf den Strand gezogen war. Dumm nur, dass zwei Jungs das Boot just in dem Moment wieder ins Wasser schoben. Glücklicherweise hätten sie noch rechtzeitig seine Notlage bemerkt. Beim Strand in Lemwerder gab es eine Besonderheit, berichtet Walter Sassenberg: „Bei Ebbe guckte ein U-Boot aus dem Wasser, das dort versenkt wurde.“ Die großen Jungs seien immer rübergeschwommen und hätten darauf herumgeturnt.

Walter Sassenberg erinnert sich an die Strände und den Wassersport an der Weser.
Beide Strände waren nicht bewacht. Wohl aber der Strand Schönebecker Sand auf der Landzunge, die urkundlich schon um 1500 erwähnt wurde. Anfang Juni 1935 wurde dort das Strandbad eröffnet, diente während des Zweiten Weltkriegs als Flakstellung und drohte anschließend zu verfallen und ausgeplündert zu werden. Der Sportgemeinschaft Aumund-Vegesack (SAV) sei es zu verdanken, dass es anders kam. SAV-Mitglieder krempelten ihre Ärmel hoch „und retteten in unermüdlichem Einsatz Gebäude und Anlage vor dem Garaus“, heißt es in der Festschrift zum 100-jährigen Bestehen der Sportgemeinschaft. Die Neueröffnung des Badbetriebs unter SAV-Regie fiel in den Sommer 1946. Schon der nächste Sommer sei ein „Supersommer“ gewesen – „mit Sonne und Wärme von Mai bis Oktober“. Wie auch der Sommer 1959. In dem Jahr hatte der Abiturient Walter Sassenberg gerade seine Ausbildung im „Haus des Reichs“, dem Sitz des Senators für Finanzen, begonnen. „Zum Glück hatte ich in dem Sommer Blockunterricht“, erzählt er. „Ich war fast jeden Nachmittag auf dem Schönebecker Sand. Nur nicht, wenn Werder im Weserstadion spielte.“
Bad-Aus wegen Weservertiefung
So viele Erinnerungen, die im Lauf des Gesprächs hochgespült werden. An Kinderfeste im Strandbad, an die Grün-Weißen-Nächte oder an Strandmeisterschaften der Köpfspiele, bei denen zwei Mannschaften gegenseitig Bälle in ein angedeutetes Tor köpfen mussten. Das Floß, zu dem man hinausschwimmen konnte, kommt Walter Sassenberg auch in den Sinn. „Es war eine wackelige Angelegenheit, andere herunterzuschubsen oder sogar zu versuchen, das Floß umzudrehen.“ Und wehe Hermann Plebanski bekam davon Wind. Damals konnten sie am Lesum-Ufer noch die aufgetürmten Kantjes-Fässer der Heringslogger sehen, was mächtig die Fantasie anregte: „Einmal zwei, drei untere Fässer rausziehen...“
Unweit des Schönebecker Sands legte der Vegesacker auch seine Fahrtenschwimmer-Prüfung ab. Dabei musste er gegen die Ebbeströmung ankämpfen, ohne großartig vom Fleck zu kommen. Und weil es kein Drei-Meter-Brett gab, stand abschließend ein Kopfsprung aus einem Ruderboot auf dem Prüfungsprogramm. Ebenfalls beeindruckend sei auch das Fackelschwimmen in der Weser gewesen. Als klar war, dass das Strandbad schließen muss, hatte sich die Sportgemeinschaft Aumund-Vegesack bei dieser Veranstaltung für den Bau des Fritz-Piaskowski-Bades stark gemacht – und dies auch erreicht.
Mit dem Ende der Badesaison 1967 kam das Aus für das Strandbad. Die Weservertiefung stand an. Außerdem habe es Uferabbrüche gegeben, berichtet die SAV in ihrer Festschrift. Und nicht zuletzt sei die Wasserverschmutzung so groß gewesen, dass „Gefahr für die Gesundheit“ bestand. Anstelle der Weserstrände lockten nun Freibäder wie zum Beispiel das Heidbergbad in Lesum, das allerdings auch schon wieder Geschichte ist. Es wurde vor 20 Jahren geschlossen und ist einem Wohngebiet gewichen.