Das Jahresprogramm im Kito hat mit einem kleinen Jubiläum begonnen: Genau zehn Jahre ist es her, dass Anny Hartmann ihren ersten Jahresrückblick mit dem Titel „Schwamm drüber?“ präsentierte und damit zugleich ihre sukzessive Wandlung von der Comedy hin zum politischen Kabarett einläutete – nachdem die diplomierte Volkswirtin zuvor bereits eine sichere Sparkassenanstellung gegen ein Dasein als Bühnenkünstlerin eintauschte.
Neun Jahresrückblicke später steht die Kölnerin abermals im Kito auf der Bühne. Fast ließe sich von einer Tradition sprechen – „aber irgendwie haben wir letztes Jahr einmal ausgesetzt. Umso mehr freue ich mich, dass Sie alle wieder gekommen sind. Ich habe Sie sehr vermisst“, begrüßt Hartmann die etwa 140 Anwesenden, die sowohl für ein gut gefülltes Kito sorgen als auch gemeinsam eine in allen Belangen recht heterogene Publikumsstruktur ergeben.
Und schon geht es los mit einem Rückblick auf ein turbulentes Jahr, dessen Ereignisse in ihrer Gesamtheit vermutlich für mindestens fünf abendfüllende Kabarettprogramme ausgereicht hätten. So muss sich Hartmann indes auf wenige Höhe- beziehungsweise Tiefpunkte der jeweiligen Monate reduzieren, zumal sie sich angesichts dieses „schwierigen“ Jahres auch selbst die Regel auferlegt hat, aus jedem Monat des vergangenen Jahres auch eine gute Nachricht zu präsentieren.
Quizeinlagen für das Publikum
Wer Anny Hartmann einmal auf der Bühne erlebt hat, weiß sowohl um ihre thematischen Vorlieben für Politik, Fußball und Feminismus als auch um ihren Hang zum direkten Publikumskontakt. So gehört das „Zitate raten“ auch an diesem Abend wie gewohnt zum Programm, richtige Antworten aus den Publikumsreihen werden wie gehabt mit einem zugeworfenen Stück Schokolade belohnt.
Allzu schwer macht es Hartmann ihren Zuhörern dabei nicht: „Von wem stammt das Zitat: 'Es ist besser, nicht zu regieren als falsch zu regieren?'“ lautet ihre erste Quizfrage ans Publikum. Eben jener Ausspruch des FDP-Vorsitzenden Christian Lindner avanciert in diversen Variationen dann auch zu einem Running Gag des Abends, beispielsweise gemünzt auf Aussagen von Teilnehmern fremdenfeindlicher Demonstrationen in Chemnitz: „Auch hier wäre es wohl besser gewesen, nicht zu demonstrieren, als falsch zu demonstrieren.“ Auch von dem vormaligen VW-Chef Winterkorn und dem Blackrock-Aufsichtsratvorsitzenden Friedrich Merz vermutet Hartmann angesichts deren Einlassungen, von den Verwicklungen ihrer Unternehmen in Diesel- und Cum-Ex-Skandale nichts gewusst haben zu wollen, dass auch diese es offenbar bisweilen bevorzugen, „nicht zu beaufsichtigen als falsch zu beaufsichtigen“.
Weiter geht der rhetorische Parforceritt vorbei an Themen wie dem Bayrischen Polizeiaufgabengesetz, dem Ende des NSU-Skandals und den Ereignissen um das Bundesamt für Migration hin zur Flüchtlingspolitik. Ferner werden politische Köpfe, vorwiegend aus dem konservativen Lager, nicht von Kritik verschont.
Zu den großen Aufregerthemen, die im vergangenen Jahr temporär die Medienwelt beherrschten, vertritt Hartmann indes oft eine etwas andere Auffassung als die allgemeine Lesart – so beispielsweise zu dem gemeinsamen Foto des damaligen Fußball-Nationalspielers Mezut Özil mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan: „Dazu, dass wir Erdogan mit Waffen beliefern und mit präsidialen Ehren empfangen, hat kaum einer eine Meinung, geschweige denn eine Haltung, aber über dieses Foto regen sich alle auf.“
„AfD ist nicht ausländerfeindlich“
Hartmann scheut sich nicht, eindeutig Stellung zu beziehen – beispielsweise in der Frage, ob eine Partei wie die „über alle Maaßen gut informierte“ AfD ausländerfeindlich sei: „Eindeutig nicht – die haben ja nichts gegen Schweden, Belgier oder Holländer, sondern ausschließlich gegen Nicht-Weiße – diese Partei ist also eindeutig rassistisch.“
Hoffnung für die nahe Zukunft erkennt Hartmann allerdings in der aufgeschobenen Rodung des Hambacher Forsts: „Daran sieht man, dass es durchaus etwas bringt, wenn eine halbe Million Menschen für ein gemeinsames Ziel demonstriert – also ab auf die Straße!“